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Punkt, Pathogenese, Strich Simon Baier über Maria Eichhorn im Kunsthaus Bregenz

Maria Eichhorn, „Baudiagramm, 12 Pendel, 8 Ruten“, 2014, Kunsthaus Bregenz, Ausstellungsansicht

Im Kunsthaus Bregenz werden die ausgestellten Werke allzu oft von der markanten Architektur Peter Zumthors dominiert. Und der zurückgenommenen Ästhetik Maria Eichhorns mochte man kaum zutrauen, dem etwas entgegen zu setzen. Doch in ihrer Ausstellung, die hier diesen Sommer zu sehen war, behaupteten sich die Arbeiten nicht nur gegen die bauliche Herrschaftsgeste, sondern auch gegen den Zugriff der Institution.

Simon Baier entdeckt in Eichhorns Spielart der Konzeptkunst und Institutionskritik, von der „Maria Eichhorn Aktiengesellschaft“ bis hin zu ihrer für Bregenz entstandenen Arbeit mit esoterischer Forschung zur Erdstrahlung, eine Art hartnäckige Dauer.

Die Conceptual Art zeigt sich heute beinahe ausschließlich aus der Perspektive dessen, was sie nicht erreicht hat: die Auflösung des Kunstwerks in einen immateriellen Code und seinen Entzug aus den Zwängen der Ästhetisierung. Was von ihr bleibt, ist sicher das Gegenteil: Objekte und ein appropriierbarer Stil. Maria Eichhorns Werk, das sich in den 1990er Jahren zu entwickeln beginnt, wird oft dieser Bewegung subsumiert; ein Umstand, der sicherlich aus historischer Perspektive bereits problematisch erscheinen muss. Gleichzeitig scheint sich ihr Werk tatsächlich, jenseits des Sprachgebrauchs solcher oft losen Zuschreibungen, in diese Tradition einzuschreiben; ihre komplexen Vermeidungen der Produktion verkäuflicher Objekte stehen dafür genauso ein wie die für sie charakteristische Ausdünnung ästhetischer Mittel. Die Bregenzer Ausstellung ihres Werks, die sich über drei Stockwerke erstreckt, beginnt dabei – nimmt man die für den Anlass erstellte, jüngste Arbeit als Ausgangspunkt – mit einer Volte, mit der sich diese Geschichte verkompliziert. Für „Baudiagramm, 12 Pendel, 8 Ruten“ (2014) hat Eichhorn den im Bregenzer Umland wohnenden Radiästhesisten Michael Berbig beauftragt, ein Diagramm für das Museum anzufertigen, das den dortigen Verlauf von Erdstrahlung einerseits und kosmischer Strahlung andererseits angeben soll und das auf den Boden des Ausstellungsraums gezeichnet wurde. Die esoterische Forschung, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts den Höhepunkt ihrer Popularität erreicht, versucht mithilfe von Ruten und Pendeln solche Strahlungen ausfindig zu machen und in Verbindung damit Wasser-adern zu lokalisieren. Sie findet schließlich in den 1950er Jahren ihre hier gezeigte diagrammatische Aufzeichnungsform im orthogonalen Raster, das als Globalgitternetz dem Planeten insgesamt unterliegen soll. [1]

In der Ausstellung ist ein solches Raster in den Primärfarben auf den Boden gezeichnet. Eichhorn hat dabei Berbigs eigene Farben leicht, aber doch signifikant, durch den Ausschluss von Grün dem historischen Register des Modernismus angepasst, an dessen paradoxale Erfindung des Rasters als Grundstruktur des Bildes sie so ironisch erinnert. [2] Zudem komplettiert sie es durch Kreise, welche die für den Besucher potenziell pathogenen Schnittpunkte der Strahlungen markieren. Die Klebestreifen am Boden sind dabei durch Leihgaben Berbigs ergänzt, dessen Sammlung metallener Ruten und Pendel an den Wänden eher wie ethnografische Objekte aufgereiht sind. Die Form des Rasters – verstanden als paradigmatische Schwelle zwischen Malerei und ihrer historischen Aufhebung in einer objektivierbaren, immateriellen Struktur – ist so zweifach von Eichhorn gelöst. Sie ist einerseits Berbig übergeben, der wiederum als bloßes Medium einer Rute agiert. Als konzeptuelle Form ist das Raster so jedoch auch durch eine obskure Praxis gebrochen, auf die sich die Institution zu öffnen gezwungen ist, die sich, wie das Ästhetische selbst, den Falsifizierungsregeln moderner Wissenschaftlichkeit entzieht. Auch wenn sich das Werk hier nicht als verkäufliches festigt, weil es in großen Teilen aus den Leihgaben Berbigs besteht, zeigt es Objekte, die noch dazu vom bloßen Mittel zum visuell interessanten Ding aufsteigen. Die Untersuchung, die dabei am Museum vollzogen wird, schließt dabei aber – nimmt man die Institutionskritik als Maß – jedes positivierbare Ergebnis, sei es soziologisch oder ökonomisch, aus. Anstatt also das Werk an das Museum als gesellschaftliche Institution zu binden, öffnet es sich überraschenderweise im Ganzen auf eine Dauer, die seine eigene Gegenwart sprengt. Denn wenn das, was sich als Effekt kosmischer Strahlung als bizarre Spielfeldmarkierung auf den Boden malt, an den Verfall von Thorium, Uran und Kalium gebunden ist – wie es Radiästhesie vertritt –, weist es bis auf den Urknall zurück. Es geht aber damit auch über jede bloß humane Perspektive als dessen Zukunft hinaus.

Tatsächlich trifft eine solche Bindung an einen jede mögliche Erfahrung übersteigenden Prozess für alle weiteren in der Ausstellung gezeigten Werke zu. Zum einen ist dies sicherlich in der für Eichhorn zum signature piece geronnenen „Maria Eichhorn Aktiengesellschaft“ (2002) der Fall. Diese bestimmt bekanntlich ihr Kapital von 50 000 Euro dazu, sich nicht vermehren zu dürfen, um es so als papiernes Ausstellungsobjekt der Zirkulation und dem Tausch zu entziehen. Die juristische Form der Aktiengesellschaft ist dabei so gegen sich gewendet, dass ihre Aktien nicht gekauft werden können, sondern der Gesellschaft selbst gehören, ohne dass sie diese benutzen könnte. Der bloße Verlauf der Zeit zwingt dabei die Gesellschaft, neue Aufsichtsratssitzungen, Jahresabschlüsse und Lageberichte zu verfassen, die als bedrucktes Papier das Exkrement ihres Körpers bilden – eines Körpers, der dadurch seine Form unablässig verändern muss und in jeder Ausstellung in für ihn neu gebauten weißen Wänden und eingelassenen Vitrinen gezeigt wird. Eichhorns Hinweis, dieses Werk solle „wie ein Renaissancegemälde Jahrhunderte fortbestehen und altern“ [3], zeigt ebenfalls auf eine longue durée, die gleichfalls allein materiell, aber nicht als ästhetische Erfahrung bestimmt ist. Ortsbindung ist damit, wenngleich bisweilen vorhanden, weniger ein fundierendes Element in Eichhorns Œuvre – vor allem, weil sie sehr oft das Buch den Werken als gleichberechtigte Form an die Seite stellt. [4] Die Institution erscheint deshalb eher als ein hohler, austauschbarer Raum, dessen genuiner Zweck damit infrage steht, insbesondere auch dann, wenn eine Vollständigkeit des Werks an diesem Ort von Anfang an ausgeschlossen ist.

Maria Eichhorn, „Filmlexikon sexueller Praktiken“, 1999/2005/2008/2014, Kunsthaus Bregenz, Ausstellungsansicht

Die Arbeiten „Filmlexikon sexueller Praktiken“ (1999/2005/2008/2014) und „Vorhang (Denim)“ (1989/1997/1998/2014), die sich das zweite Stockwerk des Kunsthauses teilen, verbindet mit der „Aktiengesellschaft“ ebenfalls eine serielle Struktur, die auch hier mit jeder Ausstellung durch einen neuen Teil – einen Film oder einen Vortrag – ergänzt wird. In beiden Fällen ist diese Struktur an ihr Sujet gebunden: die sich erweiternde Sammlung von kurzen 16-mm-Filmen zur Sexualität, weil sie auf ein Feld bezogen ist, dessen Objekte und Handlungen nicht biologisch bestimmbar und damit als endliche Menge anzugeben sind, sondern – durch ihre Bindung an ein Unbewusstes – einer infinit metonymischen Drift unterworfen sind. Im Fall der Vortragsreihe zur Anti-Atomkraft-Bewegung, deren Videodokumentation als Teil des Werks neben dem Vorhang aus Jeansstoff gezeigt wird, ist es dagegen noch einmal ein Material – atomare Strahlung –, an dessen extrem lange Halbwertzeit der Protest als Reaktion letztlich geknüpft ist. Der von Eichhorn ihren Arbeiten supponierte Träger ist also sicherlich primär nicht die Institution oder das Kunstsystem. Es ist aber auch nicht eine immaterielle Idee. Was sich in den Werken zeigt, ist vielmehr eine Linie, entlang der sich das, was als Physis angegeben werden kann, mit vergesellschafteten Menschen kreuzt: die Sprache, der Körper, das Gesetz und spezifischer: die Ökonomie, die Wissenschaft, die Politik und die Sexualität.

Innerhalb dieser Felder scheinen die Kunstwerke gleichfalls nicht an einer action directe interessiert. Wenn überhaupt, drängen sie sich selbst an den Rand ihrer Artikulation. Die Depotenzierung ökonomischen Werts in Eichhorns „Aktiengesellschaft“ spiegelt sich so in den klinischen, kaum dreiminütigen Close-ups der Filmprojektionen des „Lexikons“, deren Visualisierung dessen, was sexuell sein könnte, gänzlich aus dem Bereich erotischer Affektion gerückt ist, um ihr eigenes Kapital implodieren zu lassen: gesichtslose Körperteile vollziehen, gleichmäßig beleuchtet, was sein muss. [5]

Die Ausstellung als Schnitt durch materielle Prozesse, die ihre Sichtbarkeit übersteigen, ist damit nicht nur an eine auktoriale Schwundstufe und eine Werkform gebunden, die sich als fragmentarisch zeigt. Sie hat, denke ich, unmittelbar etwas mit der in ihr vorherrschenden Deprivation ästhetischer Fülle zu tun. Alles, was als plastisches Mittel Verwendung findet – Farbe, Linien, Vorrichtungen der Präsentation, der blaue Vorhang oder das Filmbild selbst –, ist einer extremen Skepsis unterworfen. Dies zeigt sich nicht nur dort, wo diese Mittel versuchen, einer wiedererkennbaren Ästhetik zu entgehen. Selbst Material und Farbe des Jeansvorhangs, so suggestiv deren Konnotationen auch sein mögen, lassen jede Semantisierung ins Leere laufen, weil die Künstlerin ihre Auswahl als Ergebnis einer illusionslosen écriture automatique erklärt, die der subversiven Kraft des Unbewussten nicht mehr traut. Sie wird nur als stumme Aleatorik benutzt. [6] Vor allem aber fusionieren solche Mittel der Gestaltung mit der Architektur und der Ästhetik des Museums selbst; die spärliche Füllung der Räume lässt den Manierismus Zumthors mit ihr verkleben. Der Film ist direkt auf die hier sonst bereits alles als Bild bestimmende Sichtbetonwand projiziert, die ihn wolkig untermalt. Der blaue Vorhang verdeckt zwar eine solche Wand, um sie als Fläche konventioneller Hängung dem Gebrauch zu entziehen, verwandelt aber alles vor ihr in ambivalent theatralen Raum, dem Eichhorn von Zumthor selbst entworfene Sitzmöbel als Verstärker noch dazugegeben und genau vor dem Vorhang platziert hat. Die Ausstellung entzieht sich so nicht, sondern unterwirft sich dem Terror eines alles andere als minimalen Designs, das vor dem Hintergrund der wenigen strategischen Verdoppelungen und Verschiebungen als brüchige Schminke sichtbar wird.

Die Austrocknung einer eigenen sinnlichen Präsenz zielt also nicht auf deren Negation, sondern übergibt das Gezeigte einer doch zweifelhaften Atmosphäre der Architektur. Sie lässt aber auch die eigene Anwesenheit darin frustrierend werden. Die Schwächung der Werke vor ihrem räumlichen Kontext weist damit sicher auch auf andere Möglichkeiten einer nicht musealen Sichtbarkeit hin. [7] Verträge einer Aktiengesellschaft zu lesen wie Vorträgen auf Monitoren mit Kopfhörern anzuhören, braucht keine Immobilie. Mir scheint vor dieser Beobachtung das „Baudiagramm“ im obersten Stockwerk, das mit den auf den Boden gezeichneten Kreuzungspunkten der Linien von Erd- und kosmischer Strahlung die Orte potenzieller körperlicher Beeinträchtigung im Museum angibt, nicht eines sardonischen Humors zu entbehren. Nirgends ist diese jeder Selbstverständlichkeit beraubte Figur des Besuchers besser bestimmt als durch die in der Filmprojektion des Lexikons vorgegebene Pflicht des Konsumenten, eine Wahl der sexuellen Handlung zu treffen, die er zu sehen wünscht. Damit die Projektion in Gang gesetzt wird, muss ein Angestellter der Institution darum gebeten werden. Was sich damit ereignet, ist gleichfalls nicht das Phantasma einer Aktivierung des Betrachters, sondern vielmehr die Einsicht in die Vorschrift, etwas zu sehen zu bekommen; eine Vorschrift, in die das eigene Verlangen danach von Anfang an eingeschrieben ist. Die Projektion trägt deshalb Enttäuschung in sich, selbst wenn sie nicht eingeschaltet wird. Sie ist damit aber auch das Modell eines sich hier ausbreitenden Raums absoluten Unvermögens, das nur schwer auszuhalten ist.

Simon Baier

„Maria Eichhorn“, Kunsthaus Bregenz, 10. Mai bis 6. Juli 2014.

Anmerkungen

[1]http://www.rutengeher.com/erdstrahlen/gitternetze/hartmanngitter/ (gesehen am 03.10.2014).
[2]Rosalind Krauss hat diese Erfindung kanonisch als paradoxal charakterisiert, weil das Raster einerseits an einen Autor und dessen Originalität gebunden wird und gleichzeitig eine ihn übersteigende, objektive Struktur ist, die auch dem Modernismus selbst vorausgeht. Vgl. Rosalind Krauss, „Die Originalität der Avantgarde“, in: Dies., Die Originalität der Avantgarde und andere Mythen der Moderne, Amsterdam/Dresden 2000, S. 204–211.
[3]Maria Eichhorn in einem Interview mit Yilmaz Dziewior, in: Ders. (Hg.), Maria Eichhorn, Kunsthaus Bregenz, 2014 (im Erscheinen).
[4]Dies ist z. B. im Fall der Dokumentation zum Werk „Aktiengesellschaft Maria Eichhorn“ (2002) exemplarisch der Fall.
[5]Letztlich reihen sich auch die als Video archivierten politischen Vorträge, die zu „Vorhang (Denim)“ (1989/1997/1998/2014) gehören, in diese Perspektive ein, die nicht nur aus einem Kontext unmittelbarer politischer Aktion oder einem möglichen Dialog herausgerückt, sondern in der Ausstellung selbst mit eben diesem Vorhang und seiner sie überformenden Theatralität konfrontiert sind.
[6]Siehe dazu Maria Eichhorns Selbstaussage im Interview mit Yilmaz Dziewior, a. a. O.
[7]Die in Bregenz verteilten Billboards, die Eichhorns Werke und auch den geplanten Katalog als Teil der Ausstellung noch einmal zeigen, machen eine solche mögliche Trennung von einem architektonischen Innenraum und seinem Display deutlich, auch wenn sie im Gegenzug den Ort der Werbung annehmen müssen. Es gibt einfach keinen richtigen Ort für Kunst, was, aus der Perspektive Eichhorns, so scheint mir, ihre Stärke bleibt.