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IN GEMEINSCHAFT MIT MONSTERN Elisabeth Heymer über Leiko Ikemura bei CFA, Berlin

„Leiko Ikemura: Momstars“, CFA, Berlin, 2024

„Leiko Ikemura: Momstars“, CFA, Berlin, 2024

Aus den Andeutungen weicher Linien türmen sich Figuren auf, die zwischen adoleszenter Kindlichkeit, furchterregender Monstrosität und uneindeutiger Mütterlichkeit changieren. Das Unheimliche und das Familiäre scheinen in Leiko Ikemuras Schau „Momstars“ nicht weit voneinander entfernt zu sein. In der vor kurzem bei Contemporary Fine Arts in Berlin gezeigten Ausstellung forcieren hybride, surreale Wesen einen apokalyptischen Modus, erlauben aber, wie Elisabeth Heymer darlegt, gleichzeitig die Umdeutung gewohnter Narrative. Neben der Gegenüberstellung von älteren und neueren Arbeiten hebt Heymer in ihrer Rezension ebenfalls Referenzen zu anderen Malerei-Kolleg*innen und zu Ikemuras eigener Lebensgeschichte hervor.

„Momstars“ heißt die Schau von Leiko Ikemura bei CFA in Berlin. Das Wortspiel verbindet die Mutter mit dem Star, löst zusammengezogen aber noch eine andere klangliche Assoziation aus: Die Mutter als Monster – ein Mamamonster? Monster wirken furchterregend, vor ihnen gruselt man sich. Im Momstar scheint so auch der Abgrund der Mütterlichkeit und Schwangerschaft auf. Zu Beginn der Ausstellung sieht man sich mit einer Serie von Malereien konfrontiert, die alle solche Monster zu zeigen scheinen, Figuren, die zwischen Mädchen, Alien, Hexe und Kobold changieren. Ikemura hat diese Serien Mums genannt; den Proportionen nach eher kindliche Figuren mit großen Köpfen und gedrungenen Körperformen. Die Bilder schließen an das Interesse der Künstlerin für adoleszente Mädchenfiguren an, denen sie sich im Medium der Skulptur seit den 1990er Jahren gewidmet hat. Es handelt sich dabei um Figuren, die sich in einem nicht klar definierten Übergangsstadium zwischen Kind und Erwachsenem befinden. Einige der Figuren tragen kleinere Wesen. Ihre Konturen erscheinen auf der Leinwand verschwommen, die Farbe wurde stark vom Untergrund aufgesogen, was den Figuren eine geisterhafte Präsenz verleiht. Ikemura arbeitet hierfür mit der traditionellen Technik der Eitempera. Die Leinwände selbst sind nicht grundiert und aus teilweise grober, ungefärbter Jute, deren Gewebe auf den Gemälden sichtbar bleibt.

Leiko Ikemura, „Goyesca“, 2015

Leiko Ikemura, „Goyesca“, 2015

Das Motiv einer fürsorglichen Mutter-Kind-Beziehung kippt schnell. Der Titel des Werks Goyesca (2015) und seine Motivik verweisen auf Francisco de Goyas Gemälde Saturn verschlingt seinen Sohn (1819–1823), das die Ungeheuerlichkeit des die eigenen Kinder verschlingenden Gottes zeigt. Wie bei Goya ist der Hintergrund von Ikemuras Arbeit schwarz, und wird die größere der beiden Figuren in flammendem Rot dargestellt. Der Kopf der kleineren Figur ist noch sichtbar; der Prozess des Verspeisens gleicht eher einem Am-Kopf-Saugen. Das Geschlecht dieser Figur lässt sich nicht genau bestimmen, ist sie Mutter oder Vater? Oder zielt Ikemura vielmehr darauf, Mutterschaft nicht mehr nur als rein auf cis weibliche Personen anzuwenden und stattdessen zu erweitern? Die Beziehungen dieser „Mütter“ zu ihren Kindern ist weniger von Harmonie als von Dissonanz geprägt. Das Einverleiben des eigenen Kindes lässt an das Abgründige der Mutterschaft als Bedrohung, die eigene Autonomie aufzugeben, denken. Ikemura setzt dagegen die Kreation eines Kindes als Metapher für die künstlerische Kreativität an sich und bricht damit einen Topos der Kunstgeschichte, die den Frauen vor allem die Rolle des fleischlich-sinnlichen Modells zusprach, das dem männlich-geistigen Künstler die Vorlage für seine Kreation eines Kunstwerks gab. Ikemuras Fähigkeit, figurative und abstrakte Tendenzen in der Malerei zu vereinigen, zeigt sich im Gemälde der Big Mom von 2023, wo vor einem dottergelben Hintergrund schemenhaft eine an die Madonna mit Kind erinnernde Gestalt sich in bunten, überlagernden expressiven Farben aufzulösen scheint. Es erinnert an Cecily Brown ebenso wie an den abstrakten Expressionismus einer Helen Frankenthaler. Das Ausloten der Möglichkeit, die Figuration aufzulösen, bestimmt dann auch den hinteren Teil des Galerieraums. Das großformatige Gemälde Guernica of Our Time (2023) macht über seinen Titel erneut eine kunsthistorische Referenz auf. Auf der mit Tempera in düsteren Farben bemalten groben Jute dräut Chaos, ein dynamisches Geschehen, das auf kriegerische Auseinandersetzungen und Explosionen verweisen mag. Nicht nur das Erbe eines abstrakten Expressionismus, sondern auch japanische Kalligrafie kann man in diesen Arbeiten erahnen. Picasso reagierte mit seinem Gemälde auf den deutschen und italienischen Bombenterror gegen die unbefestigte baskische Stadt während des Spanischen Bürgerkriegs. Auch Ikemura setzt sich mit den Kriegen ihrer Gegenwart auseinander. Immer wieder hat sie sich in Länder und Städte begeben, die von dramatischen Umwälzungen und dem Ende von Diktaturen geprägt wurden. Picasso hatte verfügt, dass sein Bild erst in einem demokratischen Spanien ausgestellt werden dürfe. Als Ikemura in den 1970er Jahren in Spanien lebte, befand sich Picassos Gemälde noch im Museum of Modern Art in New York. Sie war Zeugin vom Ende der Franco-Diktatur und der Ankunft des Bildes in Spanien 1981. Die Umwälzungen der Wiedervereinigung Deutschlands erlebte sie unmittelbar mit, als sie 1991 nach Berlin zog.

Leiko Ikemura, „Guernica of our time“, 2023

Leiko Ikemura, „Guernica of our time“, 2023

Ikemura, Jahrgang 1951, wuchs selbst im Nachkriegsjapan, nach der Niederlage eines imperialistischen Regimes auf und erlebte eine Gesellschaft, die sich mit diesem gewaltvollen Erbe nicht auseinandersetzte. Eine Serie abstrakter Malereien, entstanden während der Coronapandemie, sind denen in diesem Galerieraum stilistisch sehr nahe. Sie tragen den Titel Kuro Ame (2022), womit sich die Künstlerin auf den Regen bezieht, der nach dem Abwurf der Atombombe in Hiroshima niederging. Die Stimmung einer lebensfeindlichen Umgebung, die von Lichtpunkten durchsetzte Dunkelheit, zeigt sich bis in die Gestaltung der von Ikemura gestalteten Wandfarben: Ein schwefeliges Gelbgrün ziert die Stirnwand des Raumes. Die Wand rechts vom Eingang, an der die kleine Monsterparade hängt, ist durch schlierige Streifen verwaschenen Graus gekennzeichnet, als sei die Farbe tränenartig an der Wand heruntergeronnen. Das Skulpturenpaar Rocket Girl I und II (2023) zeigt kauernde, nach vorn gebeugte Figuren. Während die eine aus farbig gefasster Keramik geformt ist, ist die andere aus fleischfarbenem Wachs, und dünne blaue Linien ziehen sich wie Nähte über die Oberfläche. Das Material ist ein Novum für Ikemura. Tatsächlich markieren die Arbeiten ein Zwischenstadium: Die Wachsform ist die Vorlage für den Bronzeguss, ein traditionelles Verfahren, mit dem die Künstlerin häufig arbeitet und bei dem sie mit farbiger Patina experimentiert. Daher sind auch die Kanten, an denen die Figur aus einzelnen Teilen zusammengesetzt ist, sichtbar. Die beiden Skulpturen zeigen so auch Ikemuras Arbeitsprozess und bringen ihre scheinbare Unfertigkeit zum Ausdruck, was sich als Konstante im Schaffen der Künstlerin erweist. Die Oberflächen wirken wie eine Übertragung ihrer Maltechnik auf die Skulpturen; sie bleiben rau und zerklüftet. Auf den Rücken der Mädchen sind phallische Raketen geschnallt, die aus dem Rückgrat zu wachsen scheinen. Gleichzeitig gesellt sich ein reptilienhaftes Wesen auf ihre Schulter. Auch hier gibt es also eine merkwürdige Gemeinschaft. Die nach vorn geneigten Skulpturen gewähren Einblick in ihr Inneres, der Kopf ist nach oben offen. Arbeit an der Skulptur ist immer auch ein Schaffen im Raum. Für die Schau wäre es ein Gewinn gewesen, wenn sich diese interessanten Bezüge zwischen Ikemuras plastischen Arbeiten und ihrer Malerei an noch mehr Beispielen hätten nachvollziehen lassen, denn neben den beiden Wachsfiguren gibt es nur im Obergeschoss noch eine einzige plastische Arbeit in Keramik, eine vogelartige Figur, die auch den Titel des begleitenden Katalogs ziert. In diesem Obergeschoss sind Arbeiten aus den 1980er Jahren zu sehen, neben großformatiger Malerei ebenfalls eine Serie kleinerer Zeichnungen. Sie laden dazu ein, motivische Bezüge zu den Werken im Untergeschoss herzustellen. Das Thema der hybriden Wesen taucht auch hier wieder auf: verschiedene miteinander verwachsene Spezies; auf einer kraftvollen Zeichnung ein menschenartiger Kopf, aus dessen Hals, einer Hydra gleich, mehrere schlangenartige Köpfe wachsen – sie wirken aber nicht erschreckend, sondern eher wie freundliche Parasiten, die sich einen Blutkreislauf mit ihrem Host teilen. Hier scheint es um Koexistenz zu gehen oder vielleicht auch um die gebrochene Identität eines immer aus Teilen zusammengesetzten Ichs. Man kann aber auch hier einen Bezug zu den Moms aus dem Untergeschoss herstellen, wenn man auch ungeborene Kinder, die über die Nabelschnur mit Nährstoffen aus dem Körper ihres Wirts – der Mutter – versorgt werden, wie im Körper heranwachsende Parasiten liest. Dass es Ikemura gelingt, ambivalente, ja, konträre Gefühle in ihrem Werk zu fassen, macht die ganz eigene Poesie ihrer Kunst aus. Eine frühe großformatige Zeichnung mit dem Titel Landing (1981) hinterlässt eine nachhaltige Wirkung. Sie zeigt ein Flugzeug, das eine Bruchlandung auf einem offenen Feld hinzulegen scheint. Die Flügel sind schief, die Spitze bohrt sich in den Boden, und eine schwarze Fontäne schießt am Punkt des Zusammentreffens von Flugzeugnase und Erde hervor. Formale Bezüge lassen sich zu den an der Wirbelsäule verwachsenen Flugzeug- oder Raketenartigen Gebilden der Rocket Girls aus dem Untergeschoss herstellen.

Leiko Ikemura, „Landing“, 1981

Leiko Ikemura, „Landing“, 1981

Die frühen Werke Ikemuras sind apokalyptisch – darin treffen sie sich auch mit den jüngst entstandenen. Surreale Fantasiewesen, spinnenartigen Tieren gleich, aber mit vielen übereinandergetürmten, fratzenhaften Köpfen und flügelartigen Beinen, scheinen sich bedrohlich auf die Betrachter*innen zuzubewegen. Das Bild evoziert die Umdeutung der Spinne als mütterlich umsorgende Figur wie bei Louise Bourgeois und wendet sie ins Bedrohliche – aber auch Werke des Surrealismus wie die von Max Ernst und seinem Alter Ego, dem Vogelwesen Loplop, kommen in den Sinn. Im Kontext der männlich dominierten figurativen Malerei der 1980er Jahre in Deutschland hat Ikemura sich behauptet und großformatige Bilder geschaffen: Gruppen von Menschenkörpern, teilweise mit Tierköpfen, aber eben auch Schlangen und vogelartige Mischwesen bilden (alb-)traumhaft anmutende Szenen, als seien sie in bizarre Rituale eingebunden. Ähnlich wie Rosemarie Trockel ging Ikemura selbstbewusst ihren eigenen Weg neben den männlichen Kollegen der sogenannten Jungen Wilden. Eine oft bemerkte Qualität ihrer Werke ist die archaische Wirkung, als wären sie der Zeit enthoben. Was diese Ausstellung mit alten und neuen Arbeiten deshalb besonders interessant macht, ist die Möglichkeit einer historisierenden Perspektive: Welche Motive greift die Künstlerin erneut auf, auch wenn sich ihre Technik in der Zwischenzeit stark verändert hat? So vermittelt die Show selbst ein Stück weit die schillernde und in beständiger Verwandlung befindliche Charakteristik, die die einzelnen Werke der Künstlerin auszeichnet. Monster lassen sich als Bedrohung von außen auffassen. Von ihnen will man sich unterscheiden, vor ihnen hat man Angst, gegen sie will man sich verteidigen. Doch Ikemuras Arbeiten zeigen immer wieder in neuen Konfigurationen, dass sie genauso auch in uns leben, sie sind uns zugleich am nächsten. Wir selbst sind als Mutter, Künstler*in, Mensch monströs, kommen also um das Zusammenleben mit den Monstern in uns nicht herum. Weniger lässt sich die Idee der Mutter als Star, wie es der Ausstellungstitel nahelegt, in den Werken entdecken. Die in der Gesellschaft gemeinhin positiv und idealisiert besetzte Rolle der Mutter, die sich selbstlos um ihre Kinder sorgt, die für ihre Mutterschaft gefeiert wird, ist gerade nicht das Thema dieser Werke. Die mit den Raketen ausgerüsteten Mädchen künden von Aufrüstung und Wehrhaftigkeit, doch sie sind auch – den berühmten Haraway’schen Cyborgs gleich – mit ihnen verwachsen. Diese Raketen auf äußere Feinde zu feuern, würde auch ihre eigenen Körper zerfetzen. Mit den sie begleitenden Wesen bilden die Raketenmädchen aber bereits eine lebens- und verteidigenswerte Gemeinschaft, die über die Grenzen von Geschlecht und Spezies hinausgeht. So tragen sie bei allem Schrecken auch ein utopisches Moment von unwahrscheinlicher Koexistenz in sich.

„Leiko Ikemura: Momstars“, Contemporary Fine Arts, 16. März bis 20. April 2024.

Elisabeth Heymer ist Kunsthistorikerin und lebt in Berlin. Ihre Dissertation beschäftigt sich mit dem Thema „Die Bühne der Kritik. Zum Verhältnis von Theater und Malerei bei Julius Meier-Graefe (1867-1935)“. Zuletzt war sie als Digital Curator am Georg Kolbe Museum beschäftigt.

Image credit: 1. und 4. Courtesy Contemporary Fine Arts, Foto Nick Ash; 2. Courtesy Contemporary Fine Arts, Foto Lea Gryze; 3. Courtesy Contemporary Fine Arts, Foto Roman März.