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„Feste Verhältnisse" Matthias Dell über Tatjana Turanskyjs Berlin-Film „Eine flexible Frau“

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Filmstill. "Eine flexible Frau". 2010, Tatjana Turanskyj

Eine Frau auf einem Stoppelfeld irgendwo am Rande von Berlin: die Haare hochtoupiert, die High Heels in der Hand. Die schicke Kleidung, die glitzernden Ohrringe künden von den Ambitionen der vergangenen Nacht, das Gesicht im warmen Sonnenschein des angebrochenen Tages steht auf Kater. Es ist die Nacht nach dem Geburtstag der Frau, Greta, wie erst am Ende des Filmes „Eine flexible Frau“ zu erfahren ist, aber der Kater verdankt sich nicht allein einer durchfeierten Nacht, sondern bezieht sich auf eine Existenz, die ihre Hoffnungen vorerst eingebüßt hat. Der Geburtstag ist hier nicht wie im bürgerlichen Raster, in dem Greta sich bewegt, Feier des Erreichten, sondern Ausdruck von Verlorenheit. Greta, die von der porös-kindlichen Mira Partecke gespielt wird, läuft trunkenen Schrittes über das Feld, ein wenig wie ein Wesen, das hier nur gelandet ist, ohne zu wissen, wo es hingehören sollte. 

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Filmstill, "Redupers- Die allseits reduzierte Persönlichkeit", 1977, Helke Sander

Auch wenn Tatjana Turanskyjs Film „Eine flexible Frau“ einen experimentelleren, artifizielleren Stil pflegt, der eher an die Videos der Künstlerin Ulrike Ottinger denken lässt, erscheint es nicht unpassend, sich Helke Sanders nüchtern-schwarzweiße, feministische Standortbestimmung „Redupers – Die allseits reduzierte Persönlichkeit“ von 1977 in Erinnerung zu rufen. Sanders Film, in dem sie selbst die Hauptrolle der Fotografin Edda spielt, mit dem von Turanskyj in Kongruenz bringen zu wollen, macht die Fragen sichtbar, die sich in dreißig Jahren nicht erledigt, sondern nur verändert haben.

Es geht hier wie da um die Position der Frau in einer Berufswelt, die von Männern dominiert wird, und es geht um Berlin. Bei Sander sieht der Weg zum Reichstag noch aus wie eine Überlandfahrt, weil da nichts steht außer dem Gebäude, das der Krieg zu einem Denkmal gemacht hat. Das Zentrum von „Redupers“ ist das Charlottenburg südlich des Schlosses, die dokumentarisch anmutenden Fahrten durch die Straßen zeigen ein Berlin der Nachkriegszeit, verrußte Gründerzeitantlitze, Eckkneipenträgheit. Die freie Fotografin Edda, allein erziehend, lebt ein prekäres Dasein avant la lettre („seit vier Jahren kein Urlaub, kein Geld im Krankheitsfall“), was dem Film aus heutiger Sicht einen leicht klagenden Ton über die Sozialstaatsfettlebe beizumengen scheint, als die uns die Marktideologien des letzten Jahrzehnts die siebziger Jahre der alten Bundesrepublik inklusive des hochsubventionierten West-Berlins erzählt haben.

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Filmstill, "Redupers- Die allseits reduzierte Persönlichkeit", 1977, Helke Sander

Edda arbeitet in einem Frauenkollektiv, das wegen des günstigen Angebots und der für die Auftraggeber damit verbuchbaren Toleranz gegenüber den Strömungen der Zeit einen Auftrag zur Stadtbildbeschreibung erhalten hat. Heute würde man von Kampagne und Standortmarketing sprechen, damals scheint West-Berlin in seiner Insellage vor allem darum bemüht zu sein, die ihm innewohnenden widerstrebenden Kräfte wie in einer Familie zusammenzuhalten. Die Arbeit am Bild der Stadt ist neben den Problemen mit der Selbstvermarktung (immer wieder scheint in der Off-Erzählung von „Redupers“ die Angst vor der eigenen Courage, der angelernte Pessimismus in Bezug auf die eigenen Fähigkeiten auf) einem sehr bewussten Prozess unterworfen: Welche Bilder von West-Berlin kann man machen, ohne die Perspektive der Touristenfotos lediglich umzukehren beziehungsweise um so etwas wie Gegenöffentlichkeit herzustellen? Das Unerhörte an Sanders Film ist die Offenheit gegenüber der DDR, die durch Radioschnipsel in die Tonspur drängt und der sich der Titel des Films verdankt (als Gegenstück zur im Osten gepriesenen „allseits verwirklichten sozialistischen Persönlichkeit“). Eddas Beitrag zum Projekt des Kollektivs sind die Verbindungen, die in der geteilten Stadt fortexistieren – die gemeinsame Energieversorgung, der private wie offizielle Warenaustausch. Daraus entsteht für Edda ein Problem, das zuerst ästhetischer Natur ist: „Dieser Warenaustausch lässt sich in einem Bild gar nicht ausdrücken.“

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Filmstill. "Eine flexible Frau". 2010, Tatjana Turanskyj

Die Kontinuität solcher Aporien reicht bis in die Gegenwart. „Es geht darum, Bilder zu finden für die Besonderheit dieser Orte“, sagt Greta in „Eine flexible Frau“ einmal, ein Credo das für den Film selbst Geltung beansprucht. Turanskyj ist daran interessiert, die Berlin-Bilder zu dementieren, die in Filmen und Werbespots kursieren. Anders als bei Sander, wo das Gegenüber eine verfilzte Politik ist, muss sich Greta eines diffuseren Drucks erwehren: eines totalen Geists von Wirtschaftlichkeit, der Gestalt annimmt nur in fremden Stimmen, die auf ihn eingeschworen sind – die Servicefreundlichkeit des Call-Centers in dem die arbeitslose Greta anheuern will, die Ratschläge des Arbeitsamts, dass Biografien als Verwaltungsvorgang auffasst, die Existenzen der Freunde, die vom Bewusstsein um die Selbstpromotion durchsetzt sind.

Eine der schlagendsten Verbindungslinien, die sich von „Redupers“ zu „Eine flexible Frau“ ziehen lassen, macht diesen Wechsel von einer politischen in eine ökonomische Determiniertheit deutlich: Edda überlegt, ob sie ihre Mauerfotos nicht kontrastieren müsse mit anderen „abgesicherten Situationen“, wie sie bei Militärstationen oder Privatgeländen erkennbar werden. Dieser Gedanke nimmt der Mauer ihre moralisch beklagbare Einzigartigkeit; in einem fast prophetischen Sinne steckt darin die Ahnung auf das Fortbestehen von (immateriellen) Mauern in dem Berlin, das Greta zwanzig Jahre nach dem 9. November 1989 bewohnt.

Denn, das woran Gretas Leben leidet, ist nichts anderes als die Verfestigung Berlins zwei Jahrzehnte nach der Wende. Die kurze Zeit der frühen neunziger Jahre, als bestimmte Viertel im Ostteil der Stadt als „Freiraum“ entdeckt wurde, ist zu einem Image geronnen, das global zwar immer größere Attraktion zu versprechen scheint, die Entdeckungsbewegungen innerhalb der Stadt aber nur mehr im Kontext von Gentrifizierung und Immobilienaufwertung wahrnehmbar macht. Greta bewegt sich durch lauter „abgesicherte Situationen“, und das gilt nicht nur für die Momente, in denen tatsächliche Mauern wieder in den Blick geraten – bei den schmucken Townhouse-Siedlungen, die als Privatgelände sich vor öffentlichem Zugriff abschotten.

Seine eminent Berlin-kritische Sicht verdankt „Eine flexible Frau“ der Berufswahl seiner Protagonistin: Greta ist Architektin (ursprünglich sollte sie als Sinnbild eines prekären Lebens Journalistin sein wie Edda), und sie hat ihren Job verloren, weil ein renommiertes Büro über Nacht geschlossen hat, worin ein Echo des abrupten Endes der Berliner Norman-Foster-Filiale Anfang 2009 steckt. Das Stadtschloss, das wiederaufgebaut zu werden droht, fungiert in „Eine flexible Frau“ als Summe jener städtebaulichen Veränderungen, die der Film so unverbunden und lakonisch durchspielt, dass Berlin kaum wiederzuerkennen ist: Die gesichtlose Investorenarchitektur, die wie beim Schloss Stadtplanung für das Mischen von Fassaden hält, könnte genauso gut in Dubai aufgestellt werden. Den Kontrast zeigt Tom Tykwers ebenfalls kürzlich in die Kinos gekommene romantische Menage à Trois „Drei“: Während Tykwers Film das bestehende Berlin-Bild lediglich aktualisiert, in dem er Orte für das Kino nobilitiert, die bislang außerhalb der cool-kreativen neuen Mitte lagen (die Alte Försterei in Köpenick, die für den Szene-Tourismus wieder entdeckte Eckkneipe), verweigert sich „Eine flexible Frau“ solcher Integrationsleistungen. Aus den hier auftauchenden Orten wird kein Touristenführer eine Route zum Nachvollziehen basteln wollen.

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Filmstill. "Eine flexible Frau". 2010, Tatjana Turanskyj

Quer zur Konvention liegt bei Turanskyj nicht nur das Berlin-Bild ihres Films. „Eine flexible Frau“ arbeitet mit Verfremdungen und Kommentaren, um sich eine Geschichte – allein erziehende Mutter auf Jobsuche – auf Distanz zu halten, die in einem Sozialdrama resultieren könnte. Diese Ästhetik ist einer bestimmten Form von Theater nahe, das seinerseits die Verbindung zu Film und Performance sucht, und nicht zufällig haben Performer dieser Gruppen wie She She Pop oder Gob Squad Gastauftritte. Turanskyj selbst kommt aus diesem Zusammenhang als Mitglied des Kollektivs Hangover Ltd., zu dem Sophie Huber, Ute Schall und Christine Groß gehören und zu dessen Arbeitsumfeld Podewil und der Volksbühnen-Prater zählen.

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Filmstill. "Eine flexible Frau". 2010, Tatjana Turanskyj

„Eine flexible Frau“ ist allerdings außerhalb von Hangover Ltd. entstanden. Das Unerhörte an dem Film ist sein Blick auf das spezifisch Weibliche an Gretas Ringen um ein neuen Job und die Anerkennung ihres 12-jährigen Sohnes, der sehr wohl weiß, dass die Arbeit im Call-Center nichts ist, was auf dem Schulhof Eindruck machen könnte. So gibt es eine Art gendertheoretischen Stadtführer, gespielt von Bastian Trost (Gob Squad), der an verschiedenen Tiefpunkten von Gretas desillusionierender Suche kommentierend auftaucht. Diese männliche Besetzung ist geschickt gewählt, weil es Turanskyj derart gelingt, das, was man etwa bei „Redupers“ als „klagend“ wahrnehmen kann, auf eine andere, strukturelle Ebene zu verlagern. Die Perfidie von Gretas Verlorenheit besteht in einem doppelten Klageverbot: Der ökonomische Imperativ verlangt von ihr, sich den Repressionen des Marktes zu beugen und notfalls schmucklose Fabriken für chinesische Investoren zu errichten. Und das Schweigen über die Geschlechterfrage, die Edda noch artikulieren konnte, verdankt sich dem Schicke-Menschen-Berlin, in dem sich solch angejahrte Wahrnehmungen scheinbar aufgelöst haben.

So ist der Kater von Greta bei Turanskyj auch das melancholische Resümee einer Berlin-Generation, die in den neunziger Jahren ihren Individualismus in Freiräumen pflegen und feministische Fragen als vermeintlich obsolet betrachten konnte, bevor der Ernst von Hauptstadtwerdung und Karriere die Seifenblasen vom eigenen Ich platzen ließ.

 

"Eine flexible Frau" von Tatjana Turanskyj, Deutschland, 2010, 97 Min.

 

Nächste Vorführungen:

Kino 46 Bremen (03.03. - 09.03.2011)

3001 Kino Hamburg (10.03. -  21.03.2011)