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PERFORMANCE OHNE PROTEST Freda Fiala über „Unbound: Performance as Rupture“ in der Julia Stoschek Foundation, Berlin

Akeem Smith, „Social Cohesiveness“, 2020

Akeem Smith, „Social Cohesiveness“, 2020

Vor einem Jahr stellte die Julia Stoschek Foundation dem Berliner Publikum das Werk von Ulysses Jenkins vor, der seine performative Auseinandersetzung mit Schwarzer Identität aufzeichnete und so über das Los Angeles der 1970er und 1980er Jahre hinaus rezipierbar machte. Mit dem medialen Spannungsverhältnis zwischen unmittelbarer Kunst der Performance und vermittelnder Funktion der Kamera befasst sich nun die aktuelle Schau, die ihren Fokus jedoch geografisch wie zeitlich ausdehnt. Wie Freda Fiala herausarbeitet – und dabei produktive Begriffsarbeit leistet –, zeigen viele der Werke ein individuelles Abarbeiten an Körperbildern. Kollektivere Zugriffe auf eine Sichtbarmachung von Marginalisierungssystemen blieben jedoch außen vor.

Es scheint heute selbstverständlich, dass Performance, auch wenn sie live für ein Publikum stattfindet, aufgezeichnet wird. Dieser Vorgang ist jedoch nicht nur ein Akt der Dokumentation. Die Medialisierung von Performance ist eine ontologische und epistemologische künstlerische Behauptung, die subversive Sichtbarkeiten und eine Mitteilbarkeit jenseits der körpergebundenen Singularität ermöglicht. Gerade im Kontext restriktiver politischer Systeme kann die Kamera als Publikumsersatz fungieren, der künstlerische Performance auch unter Bedingungen ermöglicht, die das Livemoment nicht zuließen – oder zulassen. Die konstruktive Inkonsistenz im Verhältnis von Performance und Kamera, die den Gegensatz von Präsenz und Dokument als Möglichkeitsraum beansprucht, ist Thema der bis Juli 2024 laufenden Ausstellung in der Julia Stoschek Foundation (JSF) in Berlin. Aus der JSF-Sammlung und zahlreichen Leihgaben setzt sich der multimediale Überblick zusammen, der hauptsächlich für die Kamera entstandene Videoperformances und Aufzeichnungen von Liveperformances zeigt – ergänzt durch Fotografien, Installationen und skulpturale Arbeiten.

Der Begriff Performance referiert auf ein breites Spektrum an Praxen, die noch immer allzu oft von einem anglo-eurozentristischen Narrativ geprägt sind. Schon die kuratorische Beschreibung von Arbeiten aus so unterschiedlichen Geografien wie Nordafrika, der Karibik, Westeuropa und China als Performance wirft die Frage auf, woher wir wissen, was wir über Performancekunst zu wissen glauben, insbesondere darüber, wer sie als Medium wählt und warum und was als solche zählt. In den Performance Studies haben unter anderen Amelia Jones mit Body Art, Coco Fusco mit „The Other History of Intercultural Performance“, Meiling Chen mit Beijing Xingwei und Uri McMillan mit Embodied Avatars [1] Gegenvorschläge zu diesem Begriff gemacht. McMillan, auf den auch der Ausstellungskatalog verweist, verwendet in seiner Untersuchung des Schwarzen Körpers in der Performancekunst dazu das Konzept des Avatars. Dieser verweist sowohl auf hinduistische als auch auf buddhistische Wissensformen, die die verkörperte Form einer Gottheit als Avatar bezeichnen. In den letzten Jahrzehnten ist das Konzept des Avatars jedoch auch Teil der Internet- und Social-Media-Kultur geworden, wo es Manifestationsprozesse von Personen in Onlinecharakteren ermöglicht. Die Überwindung körperlicher Grenzen verbindet die genannten Bedeutungsebenen als eine unboundedness, wie man mit Blick auf den Ausstellungstitel sagen könnte, die das Subjekt an die Grenze der Objekthaftigkeit bringt und seine Materie einsetzt, um Konzepte von Identität und Identifikation performativ zu verhandeln.

Panteha Abareshi, „Unlearn the Body“, 2021

Panteha Abareshi, „Unlearn the Body“, 2021

Kuratorisch lässt sich ein derart umfangreiches Vorhaben nur mit dem Prinzip des Jump Cut bewältigen. Über die geografischen und kulturellen Unterschiede und Entstehungskontexte der gezeigten Werke hinweg fällt jedoch auf, dass sich in vielen Arbeiten eine individualisierende Tendenz im Umgang mit dem Körper ausmachen lässt. Die Kamera wird zum Mittel einer Inszenierung des Selbst, etwa in Sanja Ivekovićs ikonischer Videoaktion Personal Cuts (1982), in der die Künstlerin einen über den Kopf gezogenen Strumpf maskenhaft in Stücke schneidet, oder in Patty Changs Demonstration „asiatischer Weiblichkeit“, bei der sich die Künstlerin in Shaved (At a Loss) (1998) mit verbundenen Augen ihr Schamhaar mit Perrier-Mineralwasser rasiert. Die demonstrative Selbstbehauptung marginalisierter Identität ist auch Thema in Eleanor Antins Arbeit The King (1972), die ihre Verwandlung in ihr maskulines, bärtiges Alter Ego des King of Solana Beach zeigt und zu einer meditativen Reflexion über Identitäts- und Genderkonstruktionen anregt; und in Howardena Pindells Free, White and 21 (1980), das die Kluft zwischen Schwarzen und weißen US-Amerikaner*innen thematisiert, in dem sie im Video sowohl als sie selbst als auch als weiße Frau auftritt.

Dass Performancekunst, wie McMillan plädiert, die Dichotomie zwischen objektivierten Körpern und verkörperten Subjekten aufhebt [2] und somit Strategie und Weg zur Handlungsfähigkeit sein kann, macht besonders Panteha Abareshi in der großformatig projizierten Super-8-Sequenz Unlearn the Body (2021) deutlich. Abareshi lebt mit einer seltenen, genetisch bedingten Blutkrankheit, daher divergiert Abareshis Zugang zu Körpern. Der eigene kann nur mithilfe von Rollstuhl und Krücken – zugleich Objekte der Entfremdung und Selbstermächtigung – leben. Auch der objektivierende Faktor der Kamera als optisches Aufzeichnungsmedium wird in dieser Arbeit bedingungslos, diskursiv und medial über einen Körper redimensioniert, der auf die permanente Überwachung der modernen Medizin und deren methodische Objektivierung existenziell angewiesen ist.

Daneben eröffnet Ulysses Jenkins Mass of Images (1978) in einer konfrontativen Adressierung der Videokamera einen eindringlichen Refrain auf von Rassismus durchdrungene massenmediale Bilder. Jenkins ist eine Schlüsselfigur für diese Ausstellung. Seine performativen Verhandlungen Schwarzer Identität in der vorangegangenen Retrospektive des Künstlers in der JSF gaben den Anstoß, mit der nachfolgenden Ausstellung den Kanon der Performancekunst erneut und in größerem Umfang zu hinterfragen. Wie sich aus einer postkolonialen Perspektive der Einsatz des (nichtweißen) Körpers, der mit einem schweren Erbe der Objektivierung belastet ist, neu denken lässt, ist auch Thema der Arbeit as british as a watermelon (2021). In performativen und installativen Registern arbeiten sich mandla und Graham Clayton-Chance, deren Film eine Neuinszenierung einer Liveperformance mandlas ist, an der strukturellen Ausgrenzung Schwarzer Körper ab. Im hinteren Teil des Raumes ist in einer Vitrine eine Wassermelone platziert, die während der Ausstellungsdauer verfault. Entgegen der poetischen Spekulation, dass durch das organische Objekt eine reale Sterblichkeit in eine Ausstellung konservierender Bilder eintritt, teilt die JSF der Autorin jedoch mit, dass die Melone zumindest zyklisch ausgetauscht wird.

Mandla & Graham Clayton-Chance, „as british as a watermelon“, 2019

Mandla & Graham Clayton-Chance, „as british as a watermelon“, 2019

Der Begriff rupture im Titel der Schau lässt sich vor dem Hintergrund dieser Arbeiten als Rekurs auf historische Ausschlüsse und strukturelle Marginalisierungen im Kunstbetrieb lesen. Die darauf reagierende Protestkultur, Kollektivität und auch Konvivialität spielen in den von „Unbound: Performance as Rupture“ vorgestellten Konfigurationen von Körper und Medialität jedoch eine erstaunlich kleine Rolle. Dieses Versäumnis zeigt, dass eine kuratorische wie wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den regional variierenden Geschichten der Performancekunst tatsächlich noch einiger Anstrengungen bedarf. In Ostasien beispielsweise (insbesondere in China, Japan, Südkorea und Taiwan), wo die filmische Dokumentation für sogenannte Performancekünstler*innen oftmals zentral ist, steht diese auch historisch in einem engen Verhältnis zur Arbeit im Kollektiv und zu sozialem Aktivismus. [3]

Akeem Smiths monumentale 3-Kanal-Videoinstallation Social Cohesiveness (2020), die im größten Präsentationsraum gezeigt wird – dem Kino des ehemaligen tschechischen Kulturzentrums der DDR, dessen Gebäude die Berliner Dependance der JSF seit 2016 mit wechselnden Ausstellungen bespielt –, bildet eine willkommene Ausnahme in der Überzahl der künstlerischen Soli. Smith thematisiert darin personhood als Frage sozialer Kohärenz und collagiert die visuelle Kraft der jamaikanischen Dancehall-Kultur und ihrer exotisierten Wahrnehmung zu einer monumentalen Materialassemblage aus VHS-Archivmaterial, einer filmischen Erzählung mit multiplen Fluchtpunkten.

Obgleich viele Arbeiten der Ausstellung auf frühere Dekaden datieren, ist die kuratorische Auswahl in „Unbound: Performance as Rupture“ von einer heutigen, von Social-Media-Bildkulturen durchdrungenen Wahrnehmung und ihrer Inszenierung des individuellen Selbst geprägt. Die Flucht des Körpers aus dem Bild verbleibt als Vorschlag eines Auswegs, ist aber mutlos. Es sei erwähnt, dass im Ausstellungstitel ein Rechercheverweis versteckt ist: Die gleichnamige Online-Buchhandlung Unbound der Londoner Initiative LADA (Live Art Development Agency) ist eine wichtige Anlaufstelle auf der Suche nach – oft schwer zugänglichem – Buch- und Filmmaterial zur Kunstform Performance. Nach diesem Versuch, sie in ihrer Rissigkeit (und Gerissenheit) auszustellen, bleibt kuratorisch, wie auch wissenschaftlich die Notwendigkeit einer Suche nach anderen Archiven bestehen, die neben der (Re-)Positionierung des Individuums noch stärker auf das Verhältnis von Kunst, Aktivismus und Protestkultur eingehen muss.

„Unbound: Performance as Rupture“, Julia Stoschek Foundation, Berlin, 14. September 2023 bis 28. Juli 2024.

Freda Fiala ist DOC-Stipendiatin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft und Sinologie in Wien, Berlin, Hongkong und Taipei. Sie ist Initiatorin und Kuratorin des Performancefestivals „The Non-fungible Body?“ 2022 und HYBRID BODIES 2023 im OK in Linz/Österreich. Sie unterrichtet Performancetheorie an der Akademie der bildenden Künste und an der Universität Wien.

Image credit: 1. + 2. Photo Alwin Lay; 3. Courtesy of the artists

Anmerkungen

[1]Siehe Amelia Jones, Body Art/Performing the Subject, Minneapolis: University of Minnesota Press, 1998; Coco Fusco, „The Other History of Intercultural Performance,“ in: TDR: Drama Review, 1, 1994, S. 143–67; Meiling Chen, Beijing Xingwei. Contemporary Chinese Time-Based Art, Chicago: University of Chicago Press, 2013; Uri McMillan, Embodied Avatars. Genealogies of Black Feminist Art and Performance, New York/London: New York University Press, 2015.
[2]Siehe Uri McMillan 2015, S. 9.
[3]Siehe dazu u.a. Victor Wang, „Performance Histories from East Asia 1960s–90s“, in: An IAPA Reader, hg. von Victor Wang/ David Roberts Art Foundation, 2018; Kurodalaijee, Anarchy of the Body: Undercurrents of Performance Art in 1960s Japan, Leuven: Leuven University Press, 2023).