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Fremd im eigenen Haus Kerstin und Sandra Grether über 38 Jahre SPEX und die Frauen*

Spex Cover, Januar 1989, Yvonne Ducksworth

„Some people think that little girls should be seen and not heard / But i think: Oh bondage up yours!“ (X Ray Spex)

Im Nachhinein erscheint es uns merkwürdig, wie kurz die Zeitspanne war, in der wir „nur“ Leserinnen (und nicht Autorinnen bzw, wie Kerstin, auch Redakteurinnen) der Zeitschrift SPEX waren. Wir lebten in einem Dorf in der Nähe von Heidelberg, kleideten uns so lederpunk wie die wilden Kreaturen, die in der SPEX abgebildet waren (sogenannte Musiker und Dichter) und besuchten eine Realschule - zählten also nicht gerade zum üblichen Spex-Leser-Zirkel. Wir waren weder männlich, noch Ende 20 oder in unseren 30ern, verfügten nicht über ein abgeschlossenes Hochschulstudium und waren nicht in der Großstadt geboren. (So die Kennzeichen des typischen SPEX-Lesers, die regelmäßig bei Leserumfragen herauskamen.)

Stattdessen hatten wir in unseren Indiemusik-begeisterten Teenagerjahren festgestellt, wie wichtig doch weibliche Autor*innen-Vorbilder sind: hätte es sie nicht gegeben, die stilbildenden Spex-Herausgeberinnen Clara Drechsler und Jutta Koether und ihr ganz eigener Tonfall und Geschmack, wir hätten sicher nie gedacht, dass es in dem so einfluss- wie rätselreichen Pop-Avantgarde-Magazin, das schon seit den frühen Achtzigern die Szene mitdefinierte, auch einen Platz für uns Dorfpunkettes geben könnte. Die Spex-Ladies führten uns ein in slicke (Girl*-)Sichtweisen einer neuen Bohème. Man muss dazu sagen, dass Jutta Koether und Clara Drechsler, die regelmäßig von den Leserbriefschreibern erhöht und erniedrigt wurden, in den ganzen 1980er Jahren, also bis zu unserem eigenen Eintritt in die Gang, mehr oder weniger die einzigen Autorinnen der Spex waren.

Bezeichnenderweise hieß die SPEX aber auch SPEX, in Anlehnung an die frühe englische Punkband X RAY SPEX, die damals eine der wenigen female* Stimmen des Punkrocks waren. Punk war mit antisexistischen Ansprüchen angetreten, die er aber in der Praxis der stadiongebuchten Jungsbands und der allgemeinen Misogynie der (Punk-)Rock-Szenen (sehr gut nachzulesen in dem autobiografischen Roman „Typical Girl“ der Slits-Gitarristin Viv Albertine) nicht wirklich einlösen konnte. Auf dem Cover der allerersten SPEX (Sept 1980) wurde ein Artikel über die „deutschen“ Slits angekündigt; die Düsseldorfer Frauenpunkband Östro 430. Im Artikel selber wurden die Musikerinnen allerdings schon in der ersten Frage mit ihrer angeblichen Inkompetenz konfrontiert: „Womit macht ihr denn Musik? Ihr habt doch gar keine eigene Anlage.“ Die Band selbst gab sich, ganz anders als die britischen Slits, unfeministisch, wie es leider auch typisch bleiben sollte für die Musikerinnen dieser und der nächsten Generation in Deutschland: „Klar, Frauengruppe, aber wir distanzieren uns von allen feministischen Unternehmungen“, verkündeten sie, und weiter: „im Gegensatz zu denen haben wir keine Angst vor den Männern...“

So blieb es die nächsten 30 Jahre. Wenn nicht gerade eine von uns beiden einen Artikel über Musikerinnen aus Deutschland schrieb, wie z.B. über Cora E oder die Lassie Singers oder 18th Dye, dann wurden diese meistens ignoriert – und mit ihnen eine stetig wachsende lokale Szene, aus Indierock Acts von Frauen, Queers und trans* Frauen.

In der SPEX hat man immer schon gedacht, wenn man über das female* „next big thing“ aus Übersee oder über die gerade noch für „edgy“ und „cool“ befundenen nordamerikanischen Pop-Superstars schreibt, also zB. über Madonna, Mary J. Blidge, Beyoncé, Lady Gaga - dann wäre das Musikerinnen-Potenzial bereits so gut wie abgedeckt. In den zehner Jahren kamen verstärkt die jeweils angesagten international bereits durchgesetzten Indiedarlings und Newcomer (von Courtney Barnett bis Dream Wife) dazu, die vorher eher unterpräsent, aber mehr als in anderen Fachzeitschriften im Heft waren: Pj Harvey, Hole, Peaches (in den 90 und 00er Jahren).

Immer waren es jedoch die deutschsingenden male Indierockacts, anhand derer die Geschichte der Zeitschrift erzählt wird und die prägend war für die Leser*innenschaft - bis man nicht mehr wusste, haben Tocotronic die SPEX erfunden, oder die SPEX Blumfeld. In der gesamten 38 jährigen Geschichte waren nur siebenmal female* Musikerinnen aus Deutschland auf dem Cover der Zeitschrift: Mania D (1980), Malaria (1982), Yvonne Ducksworth von der ansonsten aus Männer bestehenden HC-Metal-Band Jingo De Lunch (1989), Iwie Candy X07 und Lotsi Lapislazuli von der mixed-gendered Fantasy-Pop-Band Throw That Beat In The Garbagecan (1991), Chicks On Speed (2000 gemeinsam mit Surrogat, zu denen auch die Schlagzeugerin Mai-Linh Truong zählte) und zweimal Peaches (2003 und 2016 gemeinsam mit Sleaford Mods): Das sind alle Musikerinnen mit Lebensmittelpunkt in Deutschland, die in der fast 39-jährigen Geschichte von SPEX auf dem Cover waren.

Wir erinnern uns an erbitterte Wortgefechte in der Redaktion, als wir z.B. versuchten die Rap-Pionierin Cora E. aufs Cover zu hieven. Heute gilt Cora E, zusammen mit Advanced Chemistry, als eine der Erfinderinnen des politschen Deutschrap. Also gut, er würde mal eine Nacht drüber schlafen, verkündete der zuständige Musikredakteur gnädig, nur um ein mögliches Cora E.-Cover am nächsten Tag endgültig in den Bereich der unerträglichsten Ideen auf der Welt zu verbannen: „Also sorry, ich habe mir nochmal ganz genau die Bilder von der guten Cora angeschaut. Das geht wirklich nicht. Die hat so eine Pferdemädchenfresse, das ertrage ich nicht. Ich kann mir die kaum anschauen, außerdem verlieren wir dann Leser. So eine können wir echt nicht auf das Cover der SPEX machen, das hauen die uns um die Ohren“. Dass Cora E. mit „Schlüsselkind“ gerade die wichtigste Hymne für alle Scheidungskinder, Nichtspießer, Töchter alleinerziehender Mütter (was in Deutschland in den allermeisten Fällen bedeutete: aus der Mittelschicht abgestiegene künftige Außenseiter*innen der Gesellschaft) geschrieben hatte, machte sie nicht zum Cover-Star.

Internationale Musikerinnen waren sogar häufiger auf dem Cover zu finden. 2015 haben wir mal durchgezählt, die Bilanz bis dahin: Kathleen Hanna, Sleater Kinney, Luscious Jackson, Boss Hog, Missy Elliot, Courtney Love, L`il Kim, Kim Deal, Salt n Peppa, Kim Gordon, Stereolab, Babes in Toyland, Björk, M.I.A., Bis, D.C. Lee, P.J. Harvey, Sade - und 43 andere. Auf 64 von 343 Ausgaben waren also Musikerinnen abgebildet. Diese sexistischen Zuschreibungen kommen nicht von ungefähr. Es gab mit Wibke Wetzker zu Beginn der zehner Jahre nur einmal seit dem Weggang von Drechsler und Koether in den 1980ern, eine weibliche Chefredakteurin (die sich den Job bezeichnenderweise mit ihrem Kollegen Jan Kedves teilen musste). Das Anliegen dieser Doppelspitze bestand darin, mehr Kultur und weniger Pop in dem „Popkulturmagazin“ zu platzieren. Es entbehrt einer gewissen sexistischen Komik nicht, dass Wetzker als einzige Person, die je den Posten der Chefredaktion hatte, vom Verleger gekündigt wurde. Alle anderen wechselnden Chefredakteure waren irgendwann freiwillig gegangen. Jedenfalls soweit wir das wissen. Noch auffälliger ist dabei, dass in der SPEX, außer in der legendären Frühphase, noch nie eine Frau einen Job als Musikredakteurin hatte.

Weibliche Redakteurinnen (zu nennen wären die großartigen Jacqueline Blouin, Annika Reith und Jennifer Beck) waren immer zuerst mal für Kultur, Mode oder Online zuständig, obwohl sie genauso viel Wissen über Musik hatten und mit Leidenschaft neue Musikerinnen entdeckten. Sie brachten auch einen selbstverständlichen Feminismus in die Zeitschrift, der irgendwann zwischen Umzug nach Berlin 2007 und 2012 fast gänzlich verloren gegangen war. Wir können uns nicht daran erinnern, dass uns jemals eine Redakteurin einen Auftrag für eine Albumreview erteilt hätte. Die Erklärung dafür war lange Zeit: Frauen müssen ihr ganzes Geld für Kosmetika und Kleidung ausgeben, die haben kein Geld sich eine Plattensammlung anzueignen. Auch wenn das zynisch und sexistisch klingt, war das für die Zeit vor dem Musikstreaming gar nicht mal komplett falsch: der Aufbau von Musik-Besserwissertum war wirklich sehr geld-intensiv, und da wir selbst eine große Plattensammlung hatten, wissen wir mit wieviel Entbehrungen sie verbunden war. Gleichzeitig war es aber auch die Plattensammlung, die uns den Eintritt in den Musikjournalismus ermöglichte. Zum Glück wollte uns nie einer absprechen, dass wir viel Musikwissen hatten.

Wenn wir über Frauen reden, die die SPEX geprägt haben, dürfen zwei Namen nicht fehlen. Doris Volk, Geschäftsführerin in den 1990ern, hielt den Laden zusammen. Auch die Neunziger waren ja trotz der Hochphase nicht selten krisenbedroht, aber Doris kriegte es immer wieder hin. Außerdem war es die Grafikerin Sabine Pflitsch, die es verstand in der "Political Correctness"- Hochphase viel Text so schwungvoll, schön und clever anzuordnen, dass das Layout immer einladend war. Die Bedeutung dieser beiden Frauen in den 1990er kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Kerstin und Sandra Grether Sandra und Kerstin Grether

Zurück zu den Anfängen der SPEX: Die Achtziger waren, trotz des antisexistischen Anspruchs von Punk, der nie wirklich eingelöst wurde, aber vom Spirit her in die SPEX miteinfloss, dennoch immer irgendwie anti-feministisch. Wir haben das Gefühl, das erklären zu müssen, wenn wir über unseren eigenen Einfluss auf die Zeitschrift schreiben. In den frühen und mittleren neunziger Jahren herrschte in Deutschland ein absolutes Klima des feministischen Backlash und Antifeminismus. In der SPEX zeigte man sich zwar offen für Spannendes von Frauen, ohne sich aber auch nur im Geringsten aus den Zuschreibungsmustern des „Anderen“ zu befreien. Außerdem ordneten die coolen New Wave geprägten Macher*innen der Zeitschrift den Feminismus eher einem herbeifantasierten Milieu von grünem Öko-Spießertum zu (welches die „falsche Musik“ hört), als einer nötigen Haltung zu Diversität und Vielfalt. Das war natürlich gerade im Zusammenhang mit Feminismus und Anti-Rassismus immer schon eine unbewusste Ausgrenzungsstrategie. Außerdem grassierte ein Klassismus, der sich nur auf Frauen bezog: wenn ein SPEX-Autor in einer Review zum Ausdruck bringen wollte, dass er eine bestimmte Band oder ein Musikstück besonders scheiße, überproduziert und belanglos fand, griff er oft auf die beliebte Formel zurück, das sei „Musik für Verkäuferinnen und Hausfrauen“.

Als Madonna Fans empfanden auch wir eine ästhetische Distanz zu den alternativen Biolehrerinnen, die angesichts von so viel Haarlack und Disco und Dekolletee die Nase rümpften. Wir suchten also verzweifelt nach einem Wort für unseren Feminismus, das imstande war, den Charme der Underground-Kaputtheit, mit dem Sound der Frauenbewegung und dem Haarlack der „Verkäuferinnen“ und Fashion Victims zu verbinden. Wir kamen auf die Idee, es „Pop-Feminismus“ zu nennen, nicht gerade originell, aber wahr. „Pop-Feminismus“ war eine Bezeichnung, die öfter im Zusammenhang mit der Riot Grrrl Bewegung der frühen 90er gebraucht wurde. In amerikanischen und englischen Magazinen und Zeitungen, versteht sich. Pop mit Feminismus zu verbinden, schien auch den Vertreterinnen der sogenannten dritten Welle des Feminismus eine gute Idee. Manche sagte auch „lipstick feminism“ dazu. Inhaltlich waren wir in vielen Punkten mit dem ohnehin nicht über einen Kamm zu scherenden 70er Jahre Feminismus d`accord, aber Feminismus sollte, unserer Meinung nach, in Stil und Ton ganz anders daher kommen: glamourös. Die Medien verstanden Pop-Feminismus aber als anderes Wort für Post-Feminismus. Damals kam es häufig vor, dass wir von etablierten Kultursendungen interviewt, und dann in letzter Sekunde wieder aus dem Beitrag rausgeschnitten wurden (wie z.B. aus Aspekte im ZDF), weil unsere lippenstiftleuchtenden Münder nicht das sagten, was die Fernsehmacher*innen zu der Zeit immerzu hören wollten: dass diese junge girlieske Frauengeneration keinen Feminismus mehr brauche. Spex griff als erste Publikumszeitschrift in Deutschland die dekonstruktivistischen Theorien des (Queer-)Feminismus auf und entwickelte sich immer mehr zu einer meinungsstarken, journalistischen Außenstelle der „Cultural Studies“. Bis es dazu kommen konnte, war es aber ein harter Weg für uns.

Als ich (Kerstin) dann direkt nach dem Abitur einen Job als Kulturredakteurin bekam, war eine meiner ersten Handlungen, weibliche Autor*innen nach Beiträgen für die SPEX zu fragen. Das Problem war nur: Sie waren rar gesät. Wir befinden uns jetzt Mitte der neunziger Jahre, und ich fand eine Autorin bei der TAZ die sich bereit erklärte, eine Buch-Kritik über Jean Genet zu schreiben. Nun gut... Es stellte sich heraus, was ich vorher schon gewusst, oder zumindest geahnt hatte, es gibt keine auf eine einzelne oder mehrere Musikrichtungen spezialisierte Musikjournalistin, die es mit dem „coolen Wissen“ und dem hohen Grad der Spezialisierung der Jungs aufnehmen konnte. Sie waren noch viel seltener als Frauen, die Musik machten.

Dann eben keine Artikel über Neofolk, Raggamuffin oder Post-Hardcore-Free-Jazz des Labels SST. Dann eben Texte über Kultur. Die Autorinnen da abholen, wo sie sind. Die ansonsten männerbesetzte SPEX Redaktion behandelte meinen Ansatz über feministisch-dekonstruktivistische Theorien zu schreiben, ohnehin so, als würde es sich dabei um eine hochartifiziell-hysterische Kunstrichtung aus Paris handeln. Und ich hatte den weitaus schlechter bezahlten Kulturredaktionsjob bekommen, obwohl mein Spezialgebiet eindeutig die Musik gewesen war. Eine gescheite Filmkritik hatte man von mir noch nie gelesen. Ich kannte mich überhaupt nicht aus mit Filmen, und die Jungs mit ihrem Film-Spezialwissen trieben mich in den Wahnsinn. Aber egal. Ich galt trotzdem als intellektuell und vergeistigt.

Spex Cover, September 2003, Peaches Spex Cover von September 2003, Peaches

Was mir die Arbeit am meisten erschwerte war die ständige Zuschreibung von „Hysterie“, obwohl das ja eigentlich ein Lacher ist, eine Frau der „Hysterie“ zu bezichtigen, eine jahrhundertealte Zuschreibung, die jeder Mensch, der sich auch nur fünf Minuten mit Feminismus beschäftigt hat, sofort wieder vergessen sollte. Bei männlichen Musikjournalisten, die sich durch ein leicht erhitzbares Temperament auszeichneten, wurden schnelles, emotional geprägtes, genialisches Sprechen vollkommen anders gewertet. Sie galten als besonders leidenschaftliche Fürsprecher für ihre Sache. Zumal bei der SPEX der damaligen Zeit die Personalpolitik verfolgt wurde, dass jeder in der Redaktion mit seinem „menschlichen“ Gegenteil konfrontiert wurde, um sozusagen im kleinen, inneren Kreis für das streiten zu müssen, wofür man auch nach Außen stand: Eine Strategie aus der Warhol Factory, die ja bekanntlich auch nicht gerade die glücklichsten Künstler*innen hervorgebracht hat. So wurde der trinkfeste Chefredakteur mit dem Straight-Edge-Kollegen in einen Raum gesetzt, die Hip Hop Fraktion sollte sich ununterbrochen mit der Rock-Fraktion streiten, und klar: die Feministin mit dem sich selbst als „politisch korrekt“ bezeichnenden Macho. Als ob der „Geschlechterkampf“ zwei gleichstarke Gegner hervorgebracht hätte, die nun auf gleicher Augenhöhe streiten können. Sie hat es so gewollt. „Wenn du das willst, dann....“ war ein Satz, den ich ständig zu hören bekam. So langsam gewann ich den Eindruck, dass ein als Frau gelesener Mensch ununterbrochen kämpfen, sich widersetzen, streiten muss, um zu rechtfertigen, dass man einen Job bekommen hat, der sechs mal so schlecht bezahlt ist wie der des Chefredakteurs. Dabeisein und nicht ausgeschlossen werden. Unter diesen Umständen überhaupt noch so eine gute Zeitschrift gemacht zu haben, ist etwas was ich mir bis zum Rest meines Lebens zugute halten werde. Denn wenn die Träger des männlichen Privilegs so tun, als wären sie auf einer Augehöhe mit weniger privilegierten Personen, weshalb sie ihnen auch ununterbrochen Grenzen setzen dürfen, dann ist das alles andere als lustig - und nur bedingt produktiv. Denn es bedeutet, dass man auf gar keinen Fall Spaß bei der Arbeit haben darf. Man sollte keine Experimente mit unterdrückten Personengruppen machen: Sexismus, Homophobie, Rassismus sind keine „Meinungen“ über die man diskutieren kann wie über ein neues Album von Maximo Park.

Für sehr wenig Geld übernahm ich die Verantwortung 12 Seiten Kulturteil im Monat zu gestalten; bei jeder gefühlsbasierten Äußerung wurde mir unterstellt, „zu emotional“ zu reagieren, bei jeder intellektuellen hieß es dann, ich sei viel zu vergeistigt. „Mit dieser Frau geht die Spex in den Untergang“, prophezeite ein langähriger Mitarbeiter. In Wirklichkeit führten einige Änderungen, die ich in meiner Zeit als Redaktuerin durchsetzte aber dazu, dass die Leute auch zwanzig Jahre später noch von dieser „p.c. SPEX Phase“ schwärmen. Es war eine der erfolgreichsten Phasen der SPEX, denn wir orientierten uns an einer neuen politisch korrekten Linken, die sich dadurch „beliebt“ machte, dass sie als Außenseiter Forderungen ins Zentrum stellte. Zum Glück fanden sich mit Mark Terkessidis und Manfred Hermes Verbündete, die selbst von einer Benachteiligung, einem Stigma betroffen waren, die Homophobie bzw. Rassismus erlebt hatten. Mit ihnen zusammen stritt es sich schon viel leichter gegen den straightwhitemale. Ich nahm das aufgeheizte Klima in der Redaktion als Anlass, die Zeitschrift so feministisch wie nur möglich zu gestalten. Jede Autorin, die einen spexkompatiblen Text schreiben konnte, wurde von mir mit Kusshand aufgenommen. Es war eine Genugtuung. Mit der Zeit wurden es immer mehr: sie schrieben über kulturzentrierte Themen, z.B. über das Internet, Fernsehserien, Comic-Heldinnen, alles mit Popbezug. Die Popkultur mitzudenken bei der Kultur war ein Anfang, bevor dann die totale Musik-Spezialisierung einsetzen würde. So hoffte ich. In manchen Fällen war das auch so, wenn etwa eine Mitarbeiterin, die zuerst in der SPEX geschrieben hatte, dann ein Magazin für elektronische Musik gründete. In den nuller und zehner Jahren gab es in der SPEX zunehmend mehr freie Autorinnen und Kolumnistinnen und Redakteurinnen.

Musikstreaming killed the Plattensammlungs-Star. Und leider auch die SPEX selbst, die am 27.12. 2018 ihre letzte Ausgabe veröffentlicht, weil das zu einem großen Teil werbefinanzierte Blatt, wie so viele andere Print-Medien derzeit leider nicht mehr finanzierbar ist. Die Werbekunden suchen sich ihre Influencer*innen lieber im Internet. Wollen wir mal hoffen, dass das Spiel jetzt nicht wieder von vorne beginnt, und auch Musikautorinnen zu diesen Influencer*innen gezählt werden – nicht, dass sie wieder nur für Instagram-Kosmetika gebraucht werden. Aber egal, zur Not machen wir beide die Sache mit den feministischen Musik-Influencerinnen eben erstmal wieder alleine klar.

Title image: Spex Cover von Januar 1989, Yvonne Ducksworth

Sandra Grether ist Musikerin, Journalistin und Autorin. Kerstin Grether ist Schriftstellerin und Sängerin. Die beiden Zwillingsschwestern leben in Berlin und spielen gemeinsam in der Band Doctorella.