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DIE ENKEL VON KORN UND BISMARCK Hans-Jürgen Hafner über Alex Wissel in der Galerie Conradi, Hamburg

„Alex Wissel: Land der Ideen“, Galerie Conradi, Hamburg, 2020, Ausstellungsansicht

„Alex Wissel: Land der Ideen“, Galerie Conradi, Hamburg, 2020, Ausstellungsansicht

Die Omnipräsenz der deutschen Nationalfarben und ihre massenkulturelle Entgrenzung etwa im Rahmen von Fan- und Protestkulturen sind Gegenstand der jüngsten Ausstellung von Alex Wissel in der Hamburger Galerie Conradi. Ob Sticker, Fahnen oder Wimpel: Schwarz-rot-goldene Merchandising-Artikel gehören nicht nur zum festen symbolischen Inventar rechter Szenen, sondern stehen auch spätestens seit dem WM-Jahr 2006 synonym für kulturindustriell quantifizierte Deutschlandfolklore. Hans-Jürgen Hafner analysiert für uns diesen künstlerischen Exorzismus über Deutschlands Trikolore.

Mit seiner aktuellen Ausstellung in der Hamburger Galerie Conradi lädt Alex Wissel ins „Land der Ideen“ und damit zu einer Art Märchenreise in die jüngere deutsche Geschichte ein. Mit diesem Ausstellungstitel zitiert er explizit die gleichnamige Imagekampagne, die im Vorfeld der 2006 in Deutschland ausgetragenen und im Nachhinein aufgrund, gelinde gesagt, fragwürdiger Vergabemodalitäten umstrittenen Fußball-WM gemeinsam vom Bund der Deutschen Industrie (BDI) und der Bundesregierung ins Leben gerufen worden war. Das Ziel: ein im Sinne des generalstabsmäßig vorbereiteten „Sommermärchens“ positives Rebranding der hinsichtlich nationaler Selbst- und internationaler Außenwahrnehmung notorisch ambivalenten Marke Deutschland. Die auf maximale Symbolträchtigkeit getrimmte Wort-/Bild-Marke zur Kampagne – im Original eine schnittige Futura-Typografie samt Schmucklinie aus Dahlien in den deutschen Nationalfarben – hat Wissel seiner Ausstellung als in die Vertikale gedrehtes Fresko vorangesetzt und in Form einer für den Künstler typischen, sorgfältigen Buntstiftzeichnung direkt auf die Wand appliziert. Das Dahlienmotiv könnte allerdings unter den gegebenen Umständen durchaus als Corona-bedingtes deutsches Syndrom interpretiert werden; jedenfalls sehen die Blüten unter Wissels zeichnerischem Treatment verdächtig nach dem Infektionserreger aus.

Zeichnungen dominieren die Ausstellung insgesamt, darunter bemerkenswerte, großformatig gerahmte, aus zwei Paneelen zusammengesetzte Bildobjekte, bei denen Wissel unter anderem direkt auf Raufasertapete als Trägermaterial gezeichnet hat; dazu kleinformatige Kompositionen auf an ihn gerichteten Mahnschreiben der GEZ. Eine auf einem Tisch mit transparenter Plexiglasscheibe arrangierte Objektassemblage aus Nahrungsmittelattrappen – darunter Currywurst und Fürst Bismarck Kornbrand – und des Weiteren ein an die Wand installierter, sogenannter Papst, auf gut Deutsch: ein Kotzbecken, das etwa zum Inventar rheinischer Brauhauskultur oder zur Sanitärgrundausstattung von Burschenschaftshäusern gehört, runden beide gleichermaßen funktionslos ‚skulptural‘, aber metaphorisch schlüssig die Ausstellung ab.

Alex Wissel, „Bismarckfeier“, 2020, Detailansicht

Alex Wissel, „Bismarckfeier“, 2020, Detailansicht

Denn in fast allen Exponaten spielt Wissel buchstäblich ‚bis zum Erbrechen‘ die Nationalfarben durch: zeichnet sich, in referenziell weit gespannten Motiv-Mashups durch das Horrorkabinett der kulturindustriell quantifizierten Deutschlandfolklore. Diese kam erstmals im WM-Jahr in derart ungewohnter Massierung in Umlauf und sickerte vor allem in Form nationalistisch schwarz-rot-golden eingefärbter Merchandising-Artikel in den Mainstream: Fahnen, Wimpel, Aufkleber, Hüte, Bikinis usw. erschienen plötzlich losgelöst von der Fankultur des Fußballs und bestimmten Straßen- und Medienbild. Mittlerweile und zumal nach 2015 gehören die Deutschlandfarben zum festen symbolischen Inventar von Pegida- und sonstigen rechts bis rechtsextrem motivierten Kundgebungen und finden sich jüngst auch auf Anti-Corona-Demonstrationen – dort in der höchst unwahrscheinlichen Allianz mit Russland-, USA- und Peace-Insignien sowie den in rechten Szenen sozusagen seit jeher ‚klassischen‘ Kaiserreich- und Reichskriegsflaggen. Da wüsste man aber wenigstens, woran man ist.

Thematisch ist „Land der Ideen“ auf Linie mit vorangegangenen Projekten des Künstlers, auch wenn sich die Ausstellung ganz auf die objekt- und warenförmigen Formate als Teilaspekt von Wissels zwischen den Polen Produktion und Praxis weit aufgespanntem künstlerischen Œuvre stützt: Es umfasst eigenhändige Zeichnungen und Zeichnungszyklen ebenso wie aufwändige performativ-theatrale – produktionsnotwendig in Kooperation etwa mit dem Filmemacher Jan Bonny oder mit Unterstützung durch Produktionsorte wie der Berliner Volksbühne entstandene – Arbeiten. Darunter unter anderem eine zur Causa um den wegen Betrugs verurteilten Kunstvermittler Helge Achenbach sowie eine über Wissels eigenes kunstsoziologisches Echtzeitprojekt, den längst legendär gewordenen, von ihm als ‚embedded‘ Akteur initiierten Düsseldorfer Single-Club als Milieuschilderung des dortigen Kunst- und Akademiebetriebs.

„Alex Wissel: Land der Ideen“, Galerie Conradi, Hamburg, 2020, Ausstellungsansicht

„Alex Wissel: Land der Ideen“, Galerie Conradi, Hamburg, 2020, Ausstellungsansicht

Mit der aktuellen Ausstellung öffnet der Künstler wieder ein Fenster in die jüngere deutsche Alltags- und Mentalitätsgeschichte, indem er mit dem Fallbeispiel „Land der Ideen“ als konkretem historisch-kultursoziologischem Ausgangspunkt einerseits aufs Allgemeine schwenkt – nämlich auf die spätestens seit 2006 zu verzeichnende Omnipräsenz der Nationalfarben und ihre massenkulturelle Entgrenzung – und andererseits auf die ebenso spezifische wie ‚wirre‘ Verwendung der Nationalsymbolik im Rahmen von Fan- und Protestkulturen zoomt. Dazu passt ein zweiter referenzieller Layer, den Wissel mit Bezug auf den Austragungsort seiner Schau, Hamburg, in deren Konzeption einwebt und bereits mit der Einladungskarte thematisiert. Dabei handelt es sich um die Aneignung einer Fotografie, die eine aktuelle Imagekampagne eines deutschen Reinigungsgeräteherstellers illustriert: die von der Firma gesponserte und deshalb umso dramatischer inszenierte Reinigung des weltgrößten Bismarck-Denkmals in der Hamburger Neustadt. Auf der Fotografie erhebt sich der ‚eiserne Kanzler‘ wie ein versteinerter Kriegsheld aus den Druckluftnebeln, den in Schutzkleidung gehüllte Reinigungskräfte an seinem mit Graffiti bedeckten Sockel versprühen.

Das Bismarck-Thema als historisches Beispiel für eine nur zu einem geringen Teil staatlich koordinierte, teils freilich bürgerschaftlichem Engagement ‚von unten‘ geschuldete Imagekampagne ist Ausdruck eines regelrechten Bismarck-Kults – komplementär zur offiziellen Inszenierung des Kaiserreichs – und korreliert bestens mit Wissels zeichnerischem Exorzismus über Schwarz-Rot-Gold, ohne dass sich daraus eine eindeutige, medienkritische Methode oder eine dezidiert politische Botschaft – etwa als Kommentar zu Deutschtümelei, Personenkult oder zu Sinn und Unsinn von Denkmalstürzen im Zuge der jüngsten, ihrerseits eher populärkulturell-modischen als politisch-dezidierten Mustern folgenden antirassistischen und antikolonialistischen Proteste – ableiten ließe. Es wäre allerdings interessant, wie ein Film oder Theaterstück Wissels zu diesem aktuell höchst brisanten Themenkomplex aussähe; Material gäbe es genug.

„Alex Wissel: Land der Ideen“, Galerie Conradi, Hamburg, 17. August bis 5. Dezember 2020.

Hans-Jürgen Hafner arbeitet als Autor, Kunstkritiker und Ausstellungsmacher und lebt in Berlin.

Image credit: Galerie Conradi, Berlin