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DEFLATING THE FETISHES OF KNOWLEDGE Kathrin Busch über „Knowledge beside Itself. Contemporary Art’s Epistemic Politics“ von Tom Holert

Poster zur Ausstellung „Antiknow. A pedagogical theatre of unlearning and the limits of knowledge“, Flat Time House, London, 2013/14, Detail

Poster zur Ausstellung „Antiknow. A pedagogical theatre of unlearning and the limits of knowledge“, Flat Time House, London, 2013/14, Detail

Vom Wissen der Künste. Die unterschiedlichen Verbindungen, die die zeitgenössische Kunst seit einigen Jahren mit den Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften eingeht, sowie ihre Einbettung in transdisziplinäre Forschungs- und Bildungszusammenhänge haben ein Gefühl des epistemo-ästhetischen Aufbruchs erzeugt, das mit der zunehmenden Bedeutung von Kunst als Vermittlerin und Katalysatorin von Wissen einhergeht. So lautet die Kernthese des neuen Buches von Autor und Kurator Tom Holert „Knowledge Beside Itself. Contemporary Art’s Epistemic Politics“. Wie die Philosophin und Professorin Kathrin Busch erläutert, öffnen die künstlerischen Arbeiten, mit denen Holert hierbei argumentiert, nicht nur die Kritik hegemonialer Wissensordnungen auf eine Verschiebung epistemischer Machtverhältnisse hin. Vielmehr stellen sie auch die Möglichkeit einer Rückgewinnung des Ästhetischen für die künstlerische Erkenntnispraxis in Aussicht.

Knowledge beside Itself [1] , das neue Buch von Tom Holert, in dem er Aufsätze der letzten zehn Jahre zu einer Theorie der zeitgenössischen Kunst bündelt, muss vor dem Hintergrund einer Veränderung im Regime der Künste gelesen werden. Wenn man unter Regime mit Jacques Rancière die Perspektive versteht, aus der Kunst geschaffen, wahrgenommen und beurteilt wird, dann ist das moderne ästhetische Regime der Künste verblasst. Die Intervention in die Aufteilungen des Sinnlichen hat aufgehört, das zentrale Anliegen von Kunst zu sein. Kunst ist stattdessen in die Aufteilungen des Wissbaren verstrickt. Die künstlerische Praxis ist von Wissensansprüchen bestimmt, verfährt selbst forschend, wird im Hinblick auf ihre Einsichten und Erkenntnisse beurteilt, mit denen in thematisch ausgerichteten Ausstellungen argumentiert wird. Diese Entwicklung bezeichnet Holert als „epistemization“ (10) von Kunst.

Damit setzt er anders ein als die Publikationen zu künstlerischer Forschung oder zu einer Epistemologie des Ästhetischen. Es geht ihm nicht darum zu rechtfertigen, inwiefern Kunst als Wissensform zu gelten hat, auch nicht um die erkenntnistheoretische Reichweite des Ästhetischen. Seine Analyse richtet sich stattdessen auf die institutionellen Kontexte, die Wissensökonomien und Wissenspolitiken, innerhalb derer die sogenannte Wissensproduktion der Kunst zu verorten ist. Zu fragen sei nicht, ob Kunst legitimerweise als Forschung bezeichnet werden kann, sondern in welche Wissensgefüge sie involviert ist, denen sie zuarbeitet und aus denen sie ihren Wert bezieht – oder die sie als ein „knowledge beside itself“ möglicherweise verschiebt.

Der Titel des Buches referiert auf David Joselit, der in seinem Artikel „Painting beside itself“ [2] beschrieben hat, wie die Malerei beispielsweise von Martin Kippenberger oder Jutta Koether ihre eigenen infrastrukturellen Bedingungen visualisiert. Kunst, so Joselit, verkoppelt sich mit den außerhalb der sinnlichen Wahrnehmung liegenden distributiven Netzwerken. Sie operiert transitiv, verbindet sich mit ihnen und wirkt in ihnen weiter. Auch das künstlerische Wissen weist diese Transitivität auf. Es ist in ein neoliberales Wissensmilieu eingebettet, das anders zu bewohnen zur anspruchsvollen Aufgabe von Kunst wird – „to inhabit it differently“ (43) ist der Maßstab für die heutige unter dem Regime des Wissens stehende Kunst als „knowledge beside itself“.

Unter der Überschrift „Contemporary Art and the Traffic-Driven Episteme“ zeichnet die umfangreiche Einleitung des Buches nach, inwiefern Kunst in Wissen, sofern es die Machtform der Gegenwart darstellt, verstrickt ist. Wissen sei die zentrale Kategorie, um die Veränderungen in Wirtschaft, Arbeitsformen und Herrschaftsweisen der postindustriellen Gesellschaften zu charakterisieren. Unter Bezugnahme auf Theorien der immateriellen Arbeit und des kognitiven Kapitalismus legt Holert besonderes Gewicht auf die Ökonomisierung des Wissens. Kommodifiziert in Gestalt von Patenten, Lizenzen, Urheberrechten, Daten und Informationen zirkuliert Wissen nicht allein als Ware, sondern in Form von Expertise oder Kompetenz auch als Wert. Zeitgenössische Kunstpraktiken würden mit dieser wirtschaftlich betriebenen Wissensproduktion in vielerlei Hinsicht konform gehen. Ihr Anteil an den Wissensökonomien reicht von Aufmerksamkeitsschulung, Bedeutungsstiftung oder Wahrnehmungsvertiefung bis hin zur Vermittlung von wissenschaftlichen Erkenntnissen in Forschungsprojekten und Ausstellungen, in denen immer mehr auf Wissen kapitalisiert wird. Holert knüpft an Michel Foucaults Einsicht an, dass es kein Wissen jenseits von Macht gibt. So bekannt diese These der Amalgamierung von Wissen und Macht sei, werde sie in der künstlerischen Forschung nicht genügend im Hinblick auf die eigene Kompliz*innenschaft bedacht. Kunst reproduziere allzu oft die mit dem Macht-Wissen einhergehenden sozialen, politischen und epistemischen Ungerechtigkeiten, über die sie vermeintlich kritisch reflektiert. Der Zugang zu einem subversiven und marginalisierten Wissen wird in problematischer Weise als selbstverständlich vorausgesetzt und in Anspruch genommen, ohne die eigene Rolle in den globalisierten Wissensökonomien zu beachten und ohne der Einbettung der Kunst in die Kulturalisation von Kapital und in die Kapitalisierung von Kultur angemessen zu begegnen. Deshalb konzentriert sich Holert auf künstlerische Arbeiten, die mit großer Umsicht bedenken, welche Formen von Wissen zur Darstellung kommen, wem das Wissen nützt und in welchen Feldern es seine Wirksamkeit entfaltet. Die in den nachfolgenden Kapiteln besprochenen Arbeiten entwickeln künstlerische Wissensformen, „that are beyond the cognitive, that fall outside, transgress, and trespass the data structures that organize and control contemporary knowledge production“ (61).

Im ersten Kapitel widmet sich Holert dem Aufkommen von künstlerischer Forschung in den Kunstpraxen der 1960er Jahre und zeichnet nach, wie epistemische Kategorien an Bedeutung gewinnen und ab den 1990er Jahren vorherrschend werden. Im zweiten Kapitel, „Matters of Form“, wird wissensbasierte Kunst im Hinblick auf Netzwerklogiken, Relationalität, Kollaborationen und Wissens-Allmenden diskutiert. Das Projekt „Inland“ von Fernando García-Dory ist ein Beispiel, wie mit transversalen Pädagogiken oder Konzepten von Gemeingut versucht wird, auf die „social hierarchies, economic inequalities, technological formalisms, epistemic violence, and suffocating bureaucracies“ (115) der Wissensökonomien zu reagieren. Jakob Jakobsens Antiknow: A Pedagogical Theatre of Unlearning and the Limits of Knowledge wird als eine institutionskritische Arbeit eingebracht, die an Georges Batailles Konzept des Nicht-Wissens anschließt. Affirmiert wird ein entgleitendes Wissen, das nicht dingfest zu machen ist und in dem man eine andere Version von „knowledge beside itself“ (119) erblicken kann. Auch im dritten Kapitel wird – unter anderem anhand der Arbeiten von Natascha Sadr Haghighian – ausgeführt, wie Künstler*innen dem „imperative of art as a spectacle of knowledge and a mode of knowledge production“ (143) widerstehen und Wissen verunsichern können.

Dies impliziert eine Ethik des Wissens, in der Forschung und Verantwortlichkeit ineinandergreifen, wie im vierten Kapitel, „Being Concerned: Research and Responsibility“, weiter ausgeführt wird. Gegen die generelle Infragestellung und rechte Verunglimpfung von wissenschaftlichem Wissen (153) wird gefragt, wie das Ethos der Forschung mit Werten wie Nützlichkeit, Zuverlässigkeit und Verantwortlichkeit im Feld der Kunst widerhallt. (159) Forschungsbasierte Kunst sei ebenso gehalten, mit konsensuellen Ansprüchen zu brechen wie sozialen Belangen zu folgen, was nicht verwechselt werden dürfe mit neoliberaler Responsibilisierung. Wie eine solche Ethik des Wissens in Bezug auf medizinische Forschung aussehen kann, zeigt die Arbeit von Christine Borland, in der sie die Repräsentation von Behinderung und Krankheit in medizinischen Illustrationen künstlerisch kommentiert. (168) Die Ethiken des Wissens werden im nachfolgenden fünften Kapitel „Interventionist Investigation“ auf Politiken des Wissens geöffnet und mit der aktivistischen Forschung von Chto Delat und Claire Pentecost weitergeführt. Passivische Formen des Forschens berücksichtigt wiederum das sechste Kapitel mit einer Performance von Pilvi Takala, The Trainee, in der sie – Bartleby vergleichbar – mit Nichtstun in den Arbeitszusammenhang einer Beratungsfirma interveniert. Der Einsatz von „strategies of withdrawal, opacity, and unknowing“ (203) wird als mögliche Weise des Umgangs mit Kreativitätsimperativen der Wissensökonomie diskutiert.

Im siebten Kapitel kommen mit der künstlerischen Praxis von Adelita Husni-Bey „anti-hegemonic narratives“ (221) und nicht westliche Wissenspolitiken zur Sprache. Wer von den dekolonialen Epistemologien profitiert, die von der heutigen Kunst in die Wissensökonomien eingespeist werden, fragt auch das letzte achte Kapitel unter Bezugnahme auf die jüngsten Arbeiten von Ursula Biemann. Der Gefräßigkeit des Wissens, noch aus der Fürsprache für andere Wissensformen Kapital zu schlagen, könne man nur dadurch begegnen, dass man die Lebensformen schütze und befördere, von denen man als Kunstakteur*in profitiert – womit sich schließlich die Ethiken und Politiken des Wissens zu einer Ökologie des Denkens erweitern.

Die künstlerischen Arbeiten, mit denen Holert argumentiert, öffnen die Kritik hegemonialer Wissensordnungen hin auf eine Verschiebung epistemischer Machtverhältnisse. Die künstlerische Auseinandersetzung mit Fragen nach dem Wert des Wissens, den Bedingungen seiner Gewinnung und seinen gewaltsamen Ausschlüssen lässt Kunst streng genommen nicht auf der Ebene der Forschung, sondern der kritischen Epistemologie agieren, insofern die Wissensordnungen selbst infrage stehen. Ausgehend von dem Anliegen, anderen Epistemologien Raum zu geben, stellt Holert auch die Möglichkeit einer Rückgewinnung des Ästhetischen für die künstlerische Erkenntnispraxis in Aussicht. „Through the activation, reconstruction, resurrection, recomposition, and invention of ways of knowing and modes of thought that are irreducible to Western rationalism and cognitivism, the aesthetic might be regained as the reservoir and repertoire of a cognition that is based in bodily sensations, in affect, in empathy.“ (61) Diese Rückgewinnung des Ästhetischen unter den Bedingungen einer kritischen Epistemologie betrifft auch die Theorie. Vielleicht ist dies in dem sorgfältig rekonstruierten Gewebe der ästhetischen Wissenspolitiken ein blinder Fleck des Buchs. Das Anliegen, das Milieu des Wissens anders zu bewohnen, wäre auch auf die kunstkritische Arbeit zu beziehen. Die Suche nach sensiblen und verkörperten Wissensformen verlangt nach anderen Weisen des Schreibens und der Theorie. „To deflate the fetishes of knowledge […] could prove to be an option in the struggle for a noncapitalist mode of knowledge beside itself.“ (59)

Kathrin Busch ist Philosophin und lehrt an der Universität der Künste Berlin.

Image credit: 1. Jakob Jakobsen/Flat Time House; 2. SternbergPress

Anmerkungen

[1]Tom Holert, Knowledge beside Itself. Contemporary Art’s Epistemic Politics, Berlin: Sternberg Press, 2020.
[2]David Joselit, „Painting Beside Itself“, in: October, 130, 2009, S. 125–134.