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BIS AUF DEN LETZTEN TROPFEN Kathrin Heinrich über Jana Euler im Wiels – Center for Contemporary Art, Brüssel

„Jana Euler: Oilopa“, Wiels – Center for Contemporary Art, Brüssel, 2024

„Jana Euler: Oilopa“, Wiels – Center for Contemporary Art, Brüssel, 2024

Das Bier, welches in den Räumlichkeiten des Wiels einst gebraut wurde und auf das auch der Titel dieser Besprechung von Jana Eulers Brüsseler Schau anspielt, ist nur einer unter vielen Verweisen, mittels derer die Malerin hier den institutionellen Kontext thematisiert; wie Kathrin Heinrich hervorhebt, wird die vierte Wand immer wieder durchbrochen. Neben den humorvoll-metareflexiven Kniffen, die man von Euler kennt, zieht sich eine Straße durch diese Überblicksschau: Entlang von Bodenmarkierungen und schneisenartigen Blickachsen verläuft hier die Europa-Allee als symbolische Verbindung von Kunst und Kommerz, von Frankfurter Bankenviertel und Europahauptstadt Brüssel.

Ein leeres Bierglas, abgestellt auf einem Feuerlöschkasten vor dem Ausstellungsraum. Was zunächst wie ein achtloses Überbleibsel der Vernissage wirkt, ist tatsächlich die erste, unbetitelte Arbeit aus Jana Eulers Schau „Oilopa“ – scheinbar beiläufig gibt sie den Takt für diese kompakt durchchoreografierte mid-career survey vor: Süffig, ironisch und dabei stets medien- und selbstreflexiv, kreist diese um das Verhältnis von Wahrnehmung und Abbildung; das wird beim Betreten des ersten der insgesamt vier von Euler bespielten, White-Cube-artigen Räumen sofort klar. Durch einen Ausschnitt in einer Zwischenwand, übriggeblieben von einer vorherigen Ausstellung , erblickt die Betrachterin die großformatige Malerei einer Olympus-Kamera – Camera becoming painting (2024) –, die in Konstellation mit der schachtelartigen Ausstellungsarchitektur an eine überdimensionierte Camera obscura erinnert.

Die Einladung Eulers ins Wiels ist ein Heimspiel für die deutsche Malerin, die in Brüssel und Frankfurt/M. lebt und schon länger mit der Institution verbunden ist, bereits 2012 war sie als Teil des hauseigenen Residency-Programms hier zu Gast. Seither ist für Euler viel passiert: Ihre Hybridporträts von prominenten Kunstweltfiguren machten sie zum Postergirl des sogenannten Network-Painting, [1] sie hatte Einzelausstellungen in der Kunsthalle Zürich, im Portikus in Frankfurt/M. sowie im Stedelijk Museum in Amsterdam. Eine Serie großformatiger Malereien, die Wale und Haie als glitschige, mit letzter Kraft aufbegehrende Riesenpenisse darstellt und 2019 erstmals in der Ausstellung „Great White Fear“ in der Berliner Galerie Neu gezeigt wurde, traf den Nerv der Zeit und brachte Euler viel Aufmerksamkeit ein. 2022 waren ihre Arbeiten auf der von Cecilia Alemani kuratierten Venedig-Biennale „The Milk of Dreams“ Teil der Hauptausstellung.

Jana Euler, „Camera becoming painting“, 2024

Jana Euler, „Camera becoming painting“, 2024

Man könnte von der Ausstellung im Wiels also die klassische Strategie sogenannter mid-career surveys erwarten: einige wenig bekannte Frühwerke und ein paar greatest hits neben neuen Arbeiten, die im Gesamten ein übersichtliches, marktfreundliches Bild der Künstlerin und ihrer Praxis zeichnen. Diese Erwartung untergräbt die Ausstellung jedoch: Obwohl sie Eulers Themen treu bleibt und auch einige ältere Malereien zeigt, spielen ihre erfolgreichsten Werke hier nur eine Nebenrolle – die erwähnte Porträtserie Ambition Universe (2009) oder die Duchamp-Richter-Referenz Nude Climbing Up the Stairs (2014) etwa sind gar nicht zu sehen.

Die Einladung an die Künstlerin war von der Institution als Carte blanche formuliert; laut Kuratorin Pauline Hatzigeorgiou hat Euler die Ausstellung daraufhin wie eine Installation konzipiert. Früh fertigte sie eine Skizze der gesamten Schau an, die nun den zum Poster ausfaltbaren Ausstellungsflyer ziert. Nur kleinste Änderungen wurden noch im Aufbau gemeinsam umgesetzt, etwa die Ergänzung von vier kleinformatigen Gemälden der im Ausstellungsraum montierten Lüftungskästen. Betitelt etwa wie Heat – JANA AVIS oder Heat – JAGAS AVIS (beide 2024), ziehen diese Arbeiten eine raumspezifische, metafiktionale Ebene ein, die die Bedingungen der Ausstellung berücksichtigt und den Blick auf ihre infrastrukturellen Gegebenheiten lenkt.

In der kleinen, mit Blick auf ihr Œuvre geradezu zurückhaltend erscheinenden Auswahl der Werke verwebt Euler verschiedene thematische Stränge miteinander, spinnt ihr Netz aus sich wiederholenden Referenzen fort und schafft somit eine in sich geschlossene Welt, auf die die Betrachterin blickt, als betrachte sie eine Mise en abyme. Euler hätte den Einfall einer „fake retrospect“ gehabt, so Hatzigeorgiou; die Idee, das Format der Ausstellung als Übung zu begreifen. Es ist also kein Zufall, dass die Schau wie eine Kulisse wirkt; dass gezielte Schnitte durch die Zwischenwände Einblicke in das Dahinter versprechen. Die Ausstellung wird zum theatralen Raum und die Betrachterin selbst Teil des Spiels, wenn sie sich zum Beispiel auf From Egomania to Oilopa (2024) niederlässt – einer hölzernen Bank in Form eines Mehrhorns, dessen Hörner ausgetrunkene Biergläser sind – und ihr Blick auf den vollen Humpen von Beer without glass (2013) fällt. Daneben scheint das verknotete Durcheinander nackter Pinselkörper von In My Studio (2023) auf Les Demoiselles d’Avignon (1907) zu rekurrieren, jener ikonischen Auseinandersetzung mit dem Medium der Malerei, die Picasso durch zurückgezogene Theatervorhänge rahmte.

„Jana Euler: Oilopa“, Wiels – Center for Contemporary Art, Brüssel, 2024

„Jana Euler: Oilopa“, Wiels – Center for Contemporary Art, Brüssel, 2024

Im Ausstellungstitel verschmelzen die beiden konzeptuellen Klammern der Schau: das Öl der Ölmalerei und das Europa der Frankfurter Europa-Allee. Er spannt den Bogen zwischen der deutschen Bankmetropole und dem Brüsseler Europaviertel ebenso wie zwischen Eulers wenigen frühen und ihren jüngsten Arbeiten: Gleich zu Beginn der Ausstellung stellt das Gemälde From Egomania to Oilopa (2024) die Figuren vor: Hier spazieren Pinsel, Kamera und Sprühdose heiter auf der Oilopa-Allee an hausgroßen Latte-Macchiato-Gläsern vorbei gen zweiten Stock. Daneben eine Darstellung des Mehrhorns, ein von Euler imaginiertes, in ihren Arbeiten wiederkehrendes Fabelwesen, das im vollen Galopp rückwärts dargestellt ist. Forward but backwards running Morecorn (2022) scheint dadurch in geradezu karnevalesker Manier mit rasender Geschwindigkeit stillzustehen.

Die Europa-Allee „verläuft“ diagonal durch die Ausstellung, durch Schnitte in den Zwischenwänden, die eine ungewohnte Blickachse durch die vier Räume des zweiten Stockwerks eröffnen. Diese Schneise sei auch „Symbol für Wachstum, für Akzeleration, für Egomanie“, so Hatzigeorgiou. Ein Raum widmet sich mit der Fotoreihe Europa Allee – photographic documentation (2024) ganz buchstäblich dieser in der Realität doch eher tristen Allee, die von anonymen Großbauten geprägt ist und somit vor allem die Schattenseiten dominanter Wachstumsparadigmen hervorkehrt.

„Jana Euler: Oilopa“, Wiels – Center for Contemporary Art, Brüssel, 2024

„Jana Euler: Oilopa“, Wiels – Center for Contemporary Art, Brüssel, 2024

Ausgehend von einem ihrer prominentesten Motive, dem Steckdosenbild Where the energy comes from 5 (2020), greift Euler die Frage nach dem Ursprung von Energie auf. Mit Coffee bean – Where the energy comes from 3, 5 und 6 (2023 und 2024) führen drei monumentale Kaffeebohnen die Serie fort; als Symbol für „Extraktion, Abhängigkeit, Produktivität, Hedonismus und Freizeit“, so der Ausstellungstext. Ein zentrales Thema in Eulers Œuvre – das Netzwerk – wird nun aber noch größer gedacht und rekurriert nicht mehr nur auf die Kunstwelt und deren soziale Vernetzung oder Energie im buchstäblichsten Sinne, sondern auch auf Macht und Großkapital, auf die ökonomischen und politischen Verflechtungen von Stadtplanung und Stadtentwicklung ebenso wie auf das bürgerliche Leben darin.

Eulers Ausgangspunkt ist laut Ausstellungstext das Phänomen des „Cappuccino urbanism“, das eine stadtplanerische Uniformierung passiven Genusses und Yuppie-Lifestyles beschreibt und die entsprechende Bevölkerungsgruppen aktiv von anderen sozialen Realitäten abschirmt. Wie bereits die eindeutig weiblich gelesene Steckdose zuvor, werden auch die vulvengleichen Bohnen sexualisiert. Deren „Saft“ kredenzt Barista Unplugged (2023), eine steampunkartige Maschine, aus der der Espresso förmlich herausspritzt. Im Bild daneben, Das Investment (2023), wärmt sich am kleinen, heimelig leuchtenden Kiosk ein Passant an einem Becher Kaffee, während die unheimlich verschlungenen Äste umstehender Bäume wurzelartig weit in die Höhe ragen, beinahe so hoch wie die Wolkenkratzer von EZB und MMK im Hintergrund. Der Subtext ist wahrlich nicht Eulers Metier.

2020 lokalisierte Ingrid Luquet-Gad den Nukleus von Eulers vielseitiger Arbeitsweise im menschlichen Körper: „Während ein taktischer Eklektizismus in Stil und Manier das repräsentativste Merkmal einer Praxis ist, die sich nicht eingrenzen lässt, ist der hyperrealistische Körper, der gleichermaßen monströs und grotesk ist, vielleicht eines ihrer erkennbarsten, intrinsischen Merkmale.“ [2] In „Oilopa“ blitzt der menschliche Körper nur zweimal am Rande auf, auch die tierischen Protagonist*innen, wie jener im Sonnenlicht über der Meeresoberfläche gleißende Delfin in D-Bank (2024), der stellvertretend für das Firmenlogo der Deutschen Bank steht, nehmen nur eine Nebenrolle ein. Protagonist*innen dieser Ausstellung sind stattdessen die malerischen Werkzeuge selbst: Pinsel und Sprühdosen zum Beispiel, die einander an den Händen halten, sich in Arztpraxen gegenseitig untersuchen und operieren, wie in The female brush painting the female brush with the female brush at the dentist’s office (2023) oder The male spraycan painting the male spraycan with the male spraycan at the vet (2024).

Lediglich ein kleines Selbstporträt (In sight, 2024) kommentiert so selbstironisch wie lapidar Eulers Status in der Kunstwelt. Gehängt wurde die Arbeit über Great White Fear (2021), jener Armee von deformierten, phallisch aufbegehrenden kleinen Keramikhaien, die 2022 in Venedig ausgestellt waren und ihr nun auf den Fersen zu folgen scheinen. Im Moment des Selfie-Schießens blickt die Künstlerin wie überrascht über die Schulter: Huch! Da ist der Biennale-Ruhm ja schon wieder.

„Jana Euler: Oilopa“, Wiels – Center for Contemporary Art, Brüssel, 2024

„Jana Euler: Oilopa“, Wiels – Center for Contemporary Art, Brüssel, 2024

Kristian Vistrup Madsen beschrieb 2021 eine „besondere Eulersche Hässlichkeit“, die er als stilistische Reaktion auf die Reflektiertheit der Künstlerin gegenüber der Stellung der Malerei auf dem Markt deutete. In dieser Hässlichkeit sieht Vistrup Madsen einen Modus, der darauf abzielt, „Trendigkeit und Stil in Schach zu halten, um nicht von den Erwartungen des Marktes in Geiselhaft genommen zu werden.“ [3] Nur drei Jahre später scheint – angesichts der Subsumierung aller Meme- oder Kitsch-Ästhetik in den Mainstream – jedwede solcher Bestrebungen aussichtslos. Vielleicht schlägt Euler mit „Oilopa“ deshalb einen anderen Weg ein. Einerseits stellt sie ihr malerisches Können aus, porträtiert die raumhohen Kaffeebohnen, deren Oberflächen an felsige Landschaftsmalereien erinnern, minutiös wie Individuen. Andererseits kippt sie mit ihren Metamalereien zu Pinsel und Sprühdose beinahe ins Comichafte; ihnen wohnt ein Bildwitz und eine Heiterkeit inne, die gegenüber der Trash-Ästhetik von Great White Fear aber völlig unironisch, geradezu liebevoll wirkt.

Mit „Oilopa“ wird die Ausstellung zur Bühne, auf der Jana Euler das Format der mid-career survey sowohl in all seinen Registern performt als auch augenzwinkernd seziert. Sie wringt das Konzept bis auf den letzten Tropfen aus, indem sie die Schau in jeder Hinsicht bis aufs Letzte durchchoreografiert und alle thematischen Stränge dicht miteinander verknüpft. Was sie den Betrachter*innen ins Glas einschenkt, perlt erfrischend, ist aber trotz aller Metaebenen und ironischer Selbstreflexivität durchsetzt von der Marktlogik des globalen Kapitalismus, mit der Eulers großformatige Malerei auch in der Untersuchung ihrer eigenen Mittel wohlweislich verstrickt bleibt. In der Ausstellung endet ihre symbolische Allee im hintersten Winkel mit der Pappmaché-Arbeit Kleine Welt (2009), einer gekrümmten Figur, deren Körper von einer Landkarte überzogen ist und deren Arme schlaff kopfüber herabhängen. Sie scheint zu signalisieren, was Eulers dynamische Malereien einen gern vergessen lassen: Wie verdammt anstrengend dieser Tanz mit dem Kapitalismus eigentlich ist!

„Jana Euler: Oilopa“, Wiels – Center for Contemporary Arts, Brüssel, 21. Juni bis 29. September 2024.

Kathrin Heinrich ist Kunsthistorikerin und Kritikerin. Sie lebt in Wien.

Image credit: We Document Art

ANMERKUNGEN

[1]Vgl. etwa Isabelle Graw, „Social Realism: The Art of Jana Euler“, in: Artforum, November 2012.
[2]Ingrid Luquet-God, „Jana Euler: Contextual Painting in Times of Global Groundlessness“, in: Flash Art, 27.4.2020.
[3]Kristian Vistrup Madsen, „The good, the bad, and the ugly: Jana Euler’s quiet riot“, in: Art Basel Stories, 21.7.2021.