CRUISING AND BIRDWATCHERS Manfred Hermes über Tom Burr bei White Columns, New York
The Ramble ist ein etwa 13 Hektar großes „woodland with rocky outcrops, secluded glades and a tumbling stream called ‘the Gill’“ im Zentrum des Central Parks, über der Transversale auf der Höhe der 79. Straße gelegen. Dieser Teil wurde von seinen Gestaltern Frederick Law Olmsted und Calvert Vaux als „the richest and most interesting part of the pre-Parc landscape, both topographically and horticulturally“ betrachtet. Deshalb schenkten sie The Ramble zusätzliche Aufmerksamkeit und steigerten es im Sinne eines Landschaftsbildes. Dieses richtet sich auf einen See nach Süden hin aus, bis heute versammeln sich auf dem gegenüberliegenden Ufer deshalb die Gelegenheitsmaler*innen. Topographie und Bewuchs dieses Gebietes haben aber auch zur Ansiedlung seltener Zugvögel geführt, die ihrerseits Vogelbeobachter*innen anziehen. Diese Birdwatcher gehören zur Folklore des Central Parks wie – aus einer anderen Perspektive betrachtet – die Schwulen, mit denen sie sich dasselbe Biotop für unterschiedliche Zwecke teilen. The Ramble ist das traditionsreichste und bekannteste Cruising-Gebiet von Manhattan.
Die Stadtverwaltung unterhält ein Visitors Center im Central Park. Ein Modell des Parks und die Verteilung eines Info-Faltblatts sind die Hauptfelder der PR-Tätigkeit dieser Stelle. Neben geschichtlicher Information enthält das Faltblatt Abbildungen, die auf heitere Rekreation und Freizeitverhalten typischer Städter*innen anspielen. Bilder von Birdwatchern nehmen darin einen großen Raum ein. Die prozentual gesehen erheblichen Aktivitäten der Schwulen finden in diesem Faltblatt keine Erwähnung. Das Verkennen funktioniert auf verschiedenen Ebenen. Die Wahrnehmung der Birdwatcher ist so sehr auf die Vögel beschränkt, dass, was nicht selten vorkommt, Männerpaare nur wenige Meter von ihnen entfernt Sex haben, ohne bemerkt und gestört zu werden. Im Faltblatt ist zu lesen: „There is also a multitude of desire lines, crisscrossing the landscape; some are harmless and simply add to the country feeling of this part of the park, but many are on extremely steep slopes and promote erosion.“
Die Parkverwaltung gibt aber nicht nur opak betextete Leporellos heraus, sondern lässt andererseits detailfreudige Datenreihen erheben, um sich über die verschiedenen Nutzungen des Parks und die Gruppen ihrer Nutzer*innen ein Bild zu machen. Diese Analysen sind für die Öffentlichkeit nicht mehr direkt zugänglich. „Several classes of users were regularly observed in ‘The Ramble’. Birdwatchers were quite noticeable in sections where migratory birds were to be found. The sighting of an interesting specimen seems to attract a loose cluster of birdwatchers who cooperated to the task of identification and shared information about the birds that had been spotted. Groupings of gay men were also observable to an observer familiar with this site and knowledgeable about the ‘cruising’ patterns of the gay community. Sunbathers on certain meadows and people idling in certain secluded spots were predominantly male. The population of people walking along certain paths was also heavily male.“ Das Cruising selbst scheint aber nur im Hinblick auf seine Auswirkungen auf den Zustand des Parks interessant zu sein: „The gay activity includes cruising or strolling through the area which is harmless enough. Also part of the activity is orgies or active sexual activity in the shrubbery. This has caused damage to the plants and more importantly, the trampling has resulted in erosion.“ Neben der Erosion der Landschaft werden auch Sicherheitsaspekte festgestellt. In Gegenden, in denen Cruising-Aktivitäten stattfinden, nimmt die Kriminalitätsrate deutlich ab.
In einem der annährend quadratischen kleinen 5 4-m-Räume von White Columns hat Tom Burr seine Installation mit dem Titel Central Park Visitors Center. Focus: ‚The Ramble‘ präsentiert. Deren Möblierung besteht aus zwei Rigipswänden (als konkrete Anspielung auf das Central Park Visitors Center), auf diese Wände gedruckten Texten (in offizielle und inoffizielle Variante aufgeteilt), einem plastischen Modell von The Ramble, zwei auf Sperrholz-Rahmen gehefteten Schwarz-Weiß-Fotos vom Park (auf denen man „desire paths“ erkennen kann) und einer Stehlampe, die für die Beleuchtung sorgt. Diese Lampe gehört neben ihrer praktischen Funktion als Kommentar zur Überwachung zur gleichen Klasse rhetorischer Technik wie die zwei Fenster, eins in jeder Wand. Sie bieten zwei verschiedene Ausblicke auf das Ramble Modell, während halb geschlossene Rollos von Sicht und verstellter Sicht sprechen sollen.
Tom Burrs Arbeit wirft Fragen der Herrschaft und Unterdrückung in einer an zum Beispiel Dan Graham geschulten Methode auf. Sie untersucht, wie in einem öffentlichen Raum Herrschaft in Form regulierten Verhaltens und vorbestimmter Verwendung eingeschrieben ist. Da der durch den Wunsch verwandelte Park als obskurer, unsichtbarer Raum und in Bedingungen verharren soll, die ihn zum reinen Objekt statistischer Überwachung vermindern, zieht Burr ihn in den öffentlichen Raum der Kunst und, in seine Bestandteile zersetzt, das Bedeutungssystem der Herrschaft gleich mit. Dabei benutzt er die Werkzeuge von Herrschaft – Demographie, Statistik und deren Auswertung – zu eigenen Zwecken. Eine Haacke-hafte strukturelle Überladenheit bleibt da nicht aus. Aber dieser Überschuss an sowohl konstruierten als auch rekonstruierten Beziehungen ist gerade da notwendig, wo sie es sind, die von offiziellen Bedeutungssystemen unterdrückt werden. (Noch etwas zum Wort Cruisen: Dieses haben die Texter*innen der Parkverwaltung in distanzierender Absicht in Anführungszeichen gesetzt, während eine im Umgang mit Schwulen geübte Galeristin wie Andrea Rosen es wiederum sehr forciert verwendet.)
“Tom Burr: A Ramle in Central Park”, White Columns, New York, 17. Januar – 9. Februar 1992.
Image credit: © Tom Burr, courtesy of the artist, White Columns, and Bortolami, New York