KASPER KÖNIG (1943–2024) von Susanne Titz
Für meinen beruflichen Beginn in der kritischen Zeit der 1990er Jahre mit meinen so zahlreichen Vorbehalten gegenüber den damaligen Institutionen, war Kasper Königs Tun und Machen eine Aufforderung, das eigene Denken zu verändern: Sockel, Titel und Dünkel von Museumsarbeit zu vergessen, unmittelbar nah an die Gegenwartskunst heranzugehen, sie ernst zu nehmen und dabei die eigene Funktion und Aufgabe als eine ständige Zusammenarbeit mit den Künstler*innen dieser Gegenwart zu verstehen. Sehr dankbar bin ich, ihn kennengelernt zu haben. Dankbar dafür, einen Kollegen erlebt zu haben, der so anders war als viele.
Kasper König war jemand, der die Kunstbegriffe der 1960er und 1970er Jahre verstanden hatte und sie später nicht vergaß. Bedingt durch die große zeitliche Spanne seiner Karriere, die sich durch seinen sehr frühen Einstieg mit 19 Jahren ergab, war er für mich ein wahres Erinnerungsmonster und gleichzeitig ein Perpetuum mobile. Und auch wenn er in den vergangenen Jahren einiges Neuere nicht akzeptierte und mit Grantigkeit viel Macht und Altersweisheit ausspielte, wurde er im Grunde nie alt. Er war immer ein gegenwärtiger Kollege, ständig präsent und in Kontakt, wobei wir auch stritten. Und während ich ihn derart intensiv als Zeitgenossen erlebte, kam ich spätestens im Beuys-Jahr 2021 auf den Gedanken, dass es vermutlich eher König als Joseph Beuys war, der die Flamme weitertrug. [1] Diese Hypothese gilt für mich akut, denn die Entwicklung der Kunstbegriffe hin zur sozialen Skulptur, die für die Nachkriegszeit, die 1960er Jahre und die gesamte Zeit seither so vorantreibend ist, geht vielleicht nicht so sehr auf ein singuläres künstlerisches Werk (von Beuys) zurück, wie man es in klassischer Verehrungshaltung formuliert hat, sondern eher auf eine kunst-, zeit- und kulturhistorische Entwicklung, zu der die Erkenntnis der Flamme von Wilhelm Lehmbruck, die 7.000 Eichen von Beuys und das Mouse Museum von Claes Oldenburg gehören. König hatte diese Parallelitäten im Blick und dazu einen sehr nahen und breiten Blick auf künstlerische Arbeit und deren Produzent*innen. Uns, den Kolleg*innen, gegenüber wurde daraus eine Kultur der Empfehlungen, die sehr heftig werden konnte, doch immer auch eine Fürsorge für die Künstler*innen und deren Arbeit ausdrückte. Und so manches Mal außer der Reihe für abseitige und oft ältere Positionen.
Nicht nur er, aber vermutlich vor allem er, veränderte die Kunstakademien in Deutschland. Denn mit seiner Kombination aus Ausstellungs- und Lehrproduktion und dem ständigen Herbeiholen von Einflüssen, das er durch seine frühe Tätigkeit am Nova Scotia College und der Einladung so vieler wichtiger Leute nach Düsseldorf und Frankfurt/M. erreichte, stand er für den Anspruch, das künstlerische Denken zu internationalisieren. Er vermochte es, die angehenden Künstler*innen, die an den deutschen Kunsthochschulen studierten (nicht nur an der Düsseldorfer Akademie oder der Städelschule), zum Betrachten ihrer unmittelbaren Vorgänger*innen anzuregen und gleichermaßen zum Zeigen und Erklären der eigenen Arbeiten.
Ich erlebte, dass König Eigensinn und Radikalismen förderte, auch die Selbstermächtigung von Künstler*innen, als Kurator*innen aufzutreten und neue Inhalte zu setzen. Mitten im Museum Ludwig kuratierten im Jahr 2004 Alice Creischer und Andreas Siekmann die Ausstellung ihres Forschungsprojekts Ex Argentina, Vorläufer ihres internationalem Großprojekts Principio Potosí (2010/11). Bereits zuvor gab es dort „Ökonomien der Zeit“, kuratiert von Hans-Christian Dany und Astrid Wege (2002). Und dann folgte 2006 „Das achte Feld. Geschlechter, Leben und Begehren in der Kunst seit 1960“ von Frank Wagner (1958–2016), einem Gastkurator, der kein Künstler war, doch eben auch kein Museumskurator, sondern einer der wichtigsten Akteur*innen in der Off-Szene kritischer, politisch denkender Kunsthistoriker*innen. [2] „Das achte Feld“ wurde zu einer radikalen Neuerfahrung für das bürgerliche Publikum – eine der ganz frühen und bis heute packendsten Ausstellungen von queerer Kunst in einem Museum.
König sah meist sehr gut, doch konnte er auch sehr Gutes übersehen, abwerten, falsch einschätzen. Genau darin bewies er Zeitgenossenschaft, einen Status des Mittendrin-Seins in dem Gemuggel, das die Kunstwelt ist. Mit seiner Nähe zur akuten Gegenwart veränderte er die Institution Museum zu einer Zeit, als eben nicht nur Institutionskritik in den Köpfen vieler von uns herrschte, sondern schlichtweg zunehmende Privatinteressen die öffentliche Institution attackierten und sie unter Hinweis auf ihre Verstaubung und Verwaltung zu übertrumpfen – beziehungsweise zu übernehmen – suchten. In der Hochzeit der neuen Privatsammlungen brachte Kasper König eine Menge Energie auf, suchte er viele Gespräche, um diese Attacken zu verhindern und um zu vermitteln, dass es einen Unterschied gibt zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen. Sein zentraler Satz lautete: „Das öffentliche Museum gehört allen und keinem.“ Es bleibt sein bester Satz – für uns und für unser Publikum.
Susanne Titz ist Kunsthistorikerin und Direktorin des Museums Abteiberg in Mönchengladbach.
Image Credit: Foto Martin Kasper
ANMERKUNGEN
[1] | Joseph Beuys’ zentraler Begriff in seiner Dankesrede anlässlich der Verleihung des Wilhelm-Lehmbruck-Preises, 12. Januar 1986, kurz vor seinem Tod: „[D]a hat Lehmbruck die Flamme an uns weitergegeben […], das Weiterreichen der Flamme […] eine Grundidee zur Erneuerung des sozialen Ganzen, die zur sozialen Skulptur führt.“ |
[2] | Vgl. u. a. „Vollbild AIDS. Eine Kunstausstellung über Leben und Sterben“, neue Gesellschaft für bildende Kunst nGbK, Berlin, 1988. |