WAS ZU TUN IST DABEI Von Monika Rinck

Attersee bei Weyregg, Beginn der Nachsaison
Die erste von vier Poetikvorlesungen, die Monika Rinck vor gut zehn Jahren zum Antritt ihrer Dozentur an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster hielt, widmete sie dem Schwimmen – und damit einem Thema, das in ihrem Werk mindestens so stetig wiederkehrt wie im Kalenderjahr die Badesaison. In der Münsteraner Vorlesung ließ Rinck Gedanken zur Kunst des Schwimmens mit solchen zur eigenen Schreibpraxis zusammenfließen und betonte die lockere Spannung, die in beiden Disziplinen den Flow begünstigt. Zum Auftakt unserer Sportausgabe, der zufällig mit dem Saisonende zahlreicher Berliner Freibäder zusammenfällt, haben wir sie gebeten, einige Aspekte ihrer Technik in einem kurzen künstlerischen Beitrag mit uns zu teilen.
Dass ich weiter ausgreifen müsse. Dass die Arme,
nahezu kindisch, viel breiter ausgreifen müssten,
jede Hand ihr eigener Tunnel, durch den hindurch
ich mich verdoppelnd in die künftige Bahn schlüpf.
Und der Nacken muss lockerer liegen, auch tiefer.
Genauso der Kopf. Als würdest bergab du schwimmen.
Einen munteren Bergbach hinab. Steil der Abhang,
steil und aus Wasser, aber dennoch horizontal. Ruhe.
Ruhe und gleite und merke: Je langsamer du ziehst,
desto schneller schwimmst du. Das erst mal verstehen.
Dann um die eigene Achse die Hüften drehen. Und du!
Und du! Und du! So deuten die Hände, wenn sie breiter,
viel breiter ausgreifen, als ich einmal gedacht. Aha.
Und nicht aus der Schulter. Das ganze Blatt kommt ja mit.
Da, wo der Muskel an der Hüfte angewachsen ist, da. Da!
Genau da ziehst du mit. Den Schwung bekommst du woher?
Der Schwung kommt aus der Hüfte, wo just die Bewegung
ihren Anfang hernimmt. Die Hüfte zieht den Arm, der Arm
zieht den Atem und klappt ihn auf dem Heimweg wieder ein.
So. Und was die Beine so machen ... jojojo. Was die Beine
so machen? Sie halten dich über Wasser, wie der Gedanke
an Paris. An die Aare. An Bern. An den Humboldthain.
An den Schwarzsee bei Kitzbühel. Den Kuckuckssee in MVP.
Den Pazifik. Den indischen Ozean. Die Donau, die Aare,
ach, ach, die Aare Again. Und ausatmen. Ausatmen. Aus.
Monika Rinck lebt in Berlin und Köln. Seit 1998 veröffentlicht sie Gedichte, Essays und Übersetzungen in diversen Verlagen. Im Herbst 2024 ist ein neuer Lyrikband bei kookbooks erschienen: HÖLLENFAHRT & ENTENSTAAT. Seit April 2023 unterrichtet sie als Professorin für Literarisches Schreiben an der Kunsthochschule für Medien in Köln. Sie erhielt unter anderen den Roswitha-Preis, den Jandl- und den Kleist-Preis. Im November 2024 hielt sie die Zürcher Poetikvorlesungen und im Januar 2025 hatte sie den DAAD Chair of Contemporary Poetics an der New York University inne. Rinck betreut seit mehr als 20 Jahren das Online-Archiv Begriffsstudio.
Image credit: Foto Monika Rinck