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SUBVERSION ZWISCHEN GESCHÄFTSMODELL UND KURATORISCHER FORSCHUNG Rainer Bellenbaum über Amos Vogel im Arsenal (Berlin) und auf der Viennale 2021 (Wien)

Vincent Meessen, „Just A Movement“, 2021, Filmstill

Vincent Meessen, „Just A Movement“, 2021, Filmstill

Im Kapitalismus der Gegenwart, in dem Unkonventionalität längst selbst zur Norm geworden ist, scheint Subversion als kritische Kategorie obsolet geworden zu sein. Als Filmkritiker und -kurator Amos Vogel 1974 sein Buch „Film as a Subversive Art“ schrieb, das Generationen von Cinephilen und Programmgestalter*innen beeinflusste und das nun neu aufgelegt werden soll, waren die sozialen, politischen wie ästhetischen Vorzeichen noch andere. Und doch ist Vogels Methode des Kinomachens bis heute das Modell für Kinematheken, Filmmuseen und Filmfestivals, wie allein zwei aktuelle Würdigungen in Berlin und Wien zu Vogels 100. Geburtstag belegen. Vor welche Herausforderungen die Subversionsthese die kinematografische Gegenwart stellt, legt Autor und Filmkritiker Rainer Bellenbaum im Nachgang dieser beiden Hommagen dar.

Von einer frühen Werkschau der Experimentalfilmerin Maya Deren 1946 im Provincetown Playhouse (Greenwich Village, New York) beeindruckt, präsentierte Amos Vogel an selber Stelle ein Jahr später sein erstes eigenes Filmprogramm mit ausgewählten Dokumentar-, Lehr- und Experimentalfilmen. Kurz darauf gründete er zusammen mit seiner Frau Marcia die Film Society 16 als Abonnent*innen-Club für Kinointeressierte jenseits des Hollywood-Mainstreams. Künstler*innen wie Stan Brakhage, Marie Menken, Gregory J. Markopoulos und Shirley Clarke fanden damit nicht nur eine Infrastruktur für die Präsentation ihrer Filme, sondern mehr noch für deren Vertrieb und Promotion. Gut eine Dekade später beschwerten sich allerdings einige von ihnen, wenn Vogel nicht jedes ihrer Werke ins Programm nahm. Als dieser sogar Brakhages Anticipation of the Night (1958), heute ein Meilenstein des experimentell formalisierenden Films, ablehnte, verbündeten sich die Protestierenden 1962 zur Filmmaker’s Cooperative, um ihre Werke selbstständig und ohne Vogel’schen Auswahlfilter der Öffentlichkeit anzubieten. Vogel löste Cinema 16 auf, verstand es jedoch, als Mitbegründer des New York Film Festival seine entscheidende Rolle für die cinephile Szene weit über New York hinaus zu bewahren. Dass die aktuellen Rückblicke auf ihn – er wäre dieses Jahr 100 geworden – durchaus als Wegweiser eines gesellschaftskritischen Kinomachens differenziert und engagiert ausfallen, das belegen zwei Würdigungen in Berlin und Wien nun auf je eigene Weise.

Die von Tobias Hering im Berliner Kino arsenal facettenreich präsentierte, dreiteilige Reihe „The Gatekeepers exist to be overthrown. Amos Vogel – Reprisen und Repliken“ rekonstruiert dessen Kinopraxis als „kritische Hommage“. Die hierzu zusammengestellten Programme stützen sich auf das historische Repertoire und, mit ausführlichen Handouts, auf Vogels damalige Vermittlungsarbeit sowie auf seine Interviews und Korrespondenzen mit Filmemacher*innen, Kritiker*innen und befreundeten Kurator*innen. Vogel ist in diesen Dokumenten als scharf rechnender Geschäftsmann zu erkennen. Er verhandelte mit Filmemacher*innen nicht nur über Einnahmen und anfallende Kosten für den Transport der Kopien und für die Werbung. Überdies beanspruchte er den Einfluss auf Länge und Gestaltung der von ihm anvisierten Filme. So übermittelte er Peter Weiss ausführliche Vorschläge zur Kürzung von dessen Spielfilm Hägringen (1959) – eine Forderung, der sich der Filmkritiker Parker Tyler unterstützend anschloss. Tatsächlich produzierte Weiss eine um etwa 30 Minuten gekürzte Version seines ursprünglich 83-minütigen Films: die Inszenierung eines „jungen Mannes“, der auf linkische, stoische und surreale Weise im Stockholm der 1950er Jahre Fuß zu fassen versucht. Zu sehen ist heute glücklicherweise meistens die längere Version.

Vogels gängelnde Einmischung in die Gestaltung von Filmen wirkt erstaunlich, insofern er selbst mit den damaligen Bedingungen staatlicher Kontrolle zu kämpfen hatte. Seine Briefe an Künstler*innen zeugen wiederholt vom eigenen Verdruss über Zensur und Beschränkungen, insbesondere wenn ausländische Werke mit subversiv pornografischen Darstellungen über Zollgrenzen eingeführt werden sollten. Doch kam Vogel der Umstand staatlicher Zensur auch entgegen, da gerade die Methode, Filme ausschließlich den Mitgliedern einer private association vorzuführen, in New York von der Zensur befreite. Dies war der entscheidende Vorteil des Club-Formats, abgesehen von den vorausgezahlten Beiträgen, mit denen die zeitweilig 7000 Abonnent*innen den Betrieb von Cinema 16 ermöglichten. Vogels Gespür für eine wachsende Nachfrage nach Filmen jenseits der Tabus von Religionskritik, Gewaltdarstellung oder Pornografie und die Möglichkeit, als Verein deren Vorführverbote zu umgehen, wurden zum Geschäftsmodell.

Stan Vanderbeek, „Breathdeath“, 1963, Filmstill

Stan Vanderbeek, „Breathdeath“, 1963, Filmstill

Doch war Vogel nicht nur Geschäftsmann. Seine programmatische Schrift Film as a Subversive Art (1974), die nun neu aufgelegt werden soll, weist ihn als wachen Beobachter ideologiekritischer und kulturgeschichtlicher Diskurse aus. Der Reiz seines Buches besteht darin, die einst für Programmzettel verfassten Filmkommentare in eine essayistische Abhandlung über die gesellschaftlichen Krisen der 1950 bis 1970er Jahre einzubetten. Darlegungen über die schockierenden Erfahrungen durch Weltkrieg und Konzentrationslager, über die wachsende atomare Bedrohung, die Umweltzerstörung und die sich zuspitzenden antikolonialen Kämpfe kontextualisieren gleichermaßen die Filmkommentare wie die Überlegungen zu den durch die Weltraumforschung relativierten physikalischen Gewissheiten und desillusionierten metaphysischen Glaubensvorstellungen. Vieles davon hat an Aktualität kaum verloren. Vogels damaliges Resümee: „In terms of the collective unconscious of mankind, the result of these developments is a crisis of uncertainty and impermanence, a total questioning, if not destruction, of all values.“ [1] Als Antwort auf diese Krise begrüßte Vogel den kinematografischen Trend „towards a freer, more poetic, visually oriented cinema […] away from illustrated literature and simplistic realism“. [2] Vogels Plädoyer für das Poetische, Schräge, Experimentelle oder Mysteriöse hinderte ihn allerdings nicht daran, auch Filme mit populäreren oder didaktischen Formen ins Programm zu nehmen. Dass er Stars wie Hitchcock oder Fellini als Gäste engagierte, ließ die Coop-Filmemacher, die alles realistische Erzählen ablehnten, zusätzlich auf Distanz gehen. Einander gegenüber standen hier ein cinephiler Pluralismus, der auf Publikumsinteressen und Qualitätskriterien achtete, und eine künstlerisch appropriierte Kinematografie, bei der die Ansprüche auf Essenzialismus und Freiheit leicht in Egomanie und Cliquenbildung umschlugen.

Vogels Methode des Kinomachens ist bis heute das Modell für Kinematheken, Filmmuseen, Filmfestivals, selbst für das aus der Coop hervorgegangene Film Anthology Archive in New York. Konsequent ist es daher, wenn die Hommage an den 1938 als Jude aus Wien nach Amerika Geflohenen im Rahmen der diesjährigen Viennale und im Wiener Filmmuseum stattfindet. Beide Institutionen haben hierfür sechs Kurator*innen eingeladen. Die von ihnen präsentierten Filme – Auswahlkriterium war allein, dass sie nach Vogels Schrift Film as a Subversive Art erschienen sind – sollten Aufschluss darüber geben, inwiefern Kinowerke heute noch subversive Wirkungen entfalten können. Dass es dabei um Filme ging, die Konventionen verletzen und das Publikum in ihren Sehgewohnheiten verunsichern, war Konsens unter den Eingeladenen. Differenzen gab es dagegen hinsichtlich der Tatsache, dass die Irritationen einesteils von den dargestellten, unterwanderten oder fehlenden Moralvorstellungen ausgingen, in anderen Fällen stärker von der formalen Art der Darstellung. So bestachen vor allem die von Nicole Brenez ausgewählten Werke durch hohes ästhetisches Bewusstsein: sei es mit Blick auf eine Sequenz wollüstig nah aufgenommener roter Blumenkelche in A Floral Tribute for Essex Road (Jayne Parker, 2019) oder auf Just a Movement (2021), für das Vincent Meessen Erinnerungen an den politischen Aktivisten Omar Blondin Diop, Darsteller in Godards La Chinoise (1967), zu einem biografischen Essay verdichtet hat. Meessens feines Montagespiel zwischen Nachruf, Spurensuche und kolonialkritischem Kontext in einer Pendelbewegung zwischen Frankreich und Senegal verleiht Diops Geschichte ein so originelles wie ehrwürdiges Zeugnis. Verunsichernder dagegen ist die Ehrerbietung, die die Regisseurin Salomé Lamas in Terra de ninguém (2012) einem ehemaligen portugiesischen Söldner gewährt. Dass dieser darin über die zahlreichen von ihm im Auftrag internationaler staatlicher Institutionen begangenen Morde verklärend und skrupellos frontal in die Kamera sprechen darf, ohne dass die Regisseurin sich, etwa durch die Offenlegung ihrer Fragen, deutlich dazu positioniert, erzeugt tiefes Unbehagen. Doch genau diese Wirkung verspricht sich Kuratorin Birgit Kohler von einem subversiven Kino heute. Mit ihrer Auswahl forderte sie das dokumentarische Ethos heraus, das im Umgang mit Tätern eine kritische, distanzierende oder historisch kontextualisierende Perspektive erwarten lässt. Stattdessen besteht die einzige Intervention des Films darin, die meist zynischen Äußerungen des Protagonisten zu nummerieren. Welche Gültigkeit diesen beizumessen ist, bleibt der Betrachter*in provokativ selbst überlassen, zumal die Nummerierung kaum dazu beiträgt, das Gesagte und Gezeigte als ästhetische Genusserfahrung zu sublimieren.

Shirley Clarke, „The Connection“, 1961, Filmstill

Shirley Clarke, „The Connection“, 1961, Filmstill

Weniger durch ausgestellte Skrupellosigkeiten als vielmehr durch die Entgrenzung menschlicher Perspektiven sucht Kuratorin Kim Knowles die an bürgerliche Werte und Handlungsweisen orientierten Sehgewohnheiten zu unterwandern. Mit ihrer Filmauswahl problematisiert Knowles den „objektifizierenden und spektakularisierenden Blick auf die Natur“. Im Fokus stehen passive oder reaktive Körper angesichts der sie beherrschenden Maschinenwelt. In dem von ihr ausgewählten Film Quality Control (2011) von Kevin Jerome Everson bleibt in der Schwebe, ob der Titel sich auf die Automatenbedienung und Warenbegutachtung in einer Chemischen Reinigung in Alabama bezieht oder auf die langen, starren Kameraeinstellungen hinsichtlich der Disziplin der Arbeiter*innen.

Insgesamt bewegte sich die aktuelle Suche nach kinematografischen Subversionspotenzialen, ähnlich wie Vogel es in seinem Buch vorgezeichnet hat, zwischen Filmen mit subversivem Inhalt und solchen in experimenteller Form. Dabei war allerdings zu beobachten, dass ein heutiges cinephiles Publikum filmmusealer Retrospektiven sich von avanciert filmspezifischen Verfremdungen eher unterhalten als befremden lässt. Die offene Darstellung politischer Inkorrektheit oder eine ethische Zumutung wie durch Terra de ninguém erzeugte jedenfalls deutlich stärkere Irritation. Interessant wäre es gewesen, die verschiedenen Suchrichtungen in Wien auf einem gemeinsamen Panel kontrovers zu diskutieren. Klar geworden ist immerhin, dass subversives Kino sich – wie schon bei Vogel – verschoben hat von einem sich konkreter Verbote und Schlupflöcher verdankenden Geschäftsmodell hin zum Gegenstand kuratorischer Forschung. Wo diese in der Gegenwart (neo-)liberaler Regulierungen nach künstlerischen Strategien der Unterwanderung sucht, steht sie allerdings vor der Herausforderung, dass das Unkonventionelle längst selbst zur Norm geworden ist und dass viele Normen heute ihrerseits unterschwellig wirken.

„The Gatekeepers exist to be overthrown. Amos Vogel – Reprisen und Repliken“, Kino arsenal, Berlin, September/November 2021; 23. bis 31. Januar 2022, und Viennale, Wien, 21. bis 31. Oktober 2021.

Rainer Bellenbaum lebt in Berlin und arbeitet als Autor, Kritiker, Dozent und Filmemacher.

Image credit: 1. Vincent Meessen, Österreichisches Filmmuseum; 2. © Stan VanDerBeek Estate; 3. © Milestone Film&Video

Anmerkungen

[1]Amos Vogel, Film as a Subversive Art, London, 1974, S. 18.
[2]Ebd., S. 20.