Cookies disclaimer
Our site saves small pieces of text information (cookies) on your device in order to deliver better content and for statistical purposes. You can disable the usage of cookies by changing the settings of your browser. By browsing our website without changing the browser settings you grant us permission to store that information on your device. I agree

OHNE TOTALSCHADEN OFFEN IN KONFLIKTE GEHEN Simon Nagy im Gespräch mit Anne Zühlke und Markus Gönitzer über Kulturarbeit im ländlichen Österreich

Peršmanhof und Umgebung, Bad Eisenkappel / Železna Kapla

Peršmanhof und Umgebung, Bad Eisenkappel / Železna Kapla

Kunst- und Kulturräume im ländlichen Raum, die sich gesellschaftspolitischen Themen widmen, haben vor dem Hintergrund des gegenwärtigen politischen Rechtsrucks in vielen europäischen Ländern einen Erfahrungsschatz an widerständigen Praxen und Strategien angesammelt. Markus Gönitzer ist Co-Leiter des Museums Peršmanhof in Kärnten/Koroška und war in die Etablierung des Kulturraums Container 25, ebenfalls im Süden Österreichs, involviert. Anne Zühlke ist künstlerische Leiterin des DOCK 20, einem Raum für junge zeitgenössische Kunst in der Bodenseeregion. Unser aktuelles Heftthema „Country“ aufgreifend, hat sich Simon Nagy mit den beiden über die hegemoniekritischen Qualitäten von Kunsträumen auf dem Land, den Umgang mit institutionellen Widersprüchen sowie Möglichkeiten der antifaschistischen Haltung im Kunstfeld unterhalten.

SIMON NAGY: Die Räume, die ihr mitgestaltet, sind zwar alle im ländlichen Raum lokalisiert, haben aber ganz unterschiedliche Profile: Das DOCK 20 ist eine Institution für zeitgenössische Kunst, der Peršmanhof ein Denk- und Lernort mit Fokus auf Partisan*innengeschichte und der Container 25 ein kollektiv betriebener Ort für Sub- und Gegenkultur. Zu Beginn möchte ich euch deshalb nach der Entstehungsgeschichte der Räume fragen: Aus welchen Notwendigkeiten oder Motivationen heraus haben sie sich jeweils entwickelt?

ANNE ZÜHLKE: Die Geschichte des DOCK 20 ist eng verknüpft mit dem ökonomischen Auf- und Abstieg des Ortes, in dem die Institution angesiedelt ist. Die Marktgemeinde Lustenau im Rheintal war lange Zeit eine agrarisch geprägte Region, in der sich die Industrialisierung vor allem in Form der Maschinenstickerei realisierte. In den 1960er und 1970er Jahren erlebte sie durch deren rasanten Ausbau einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung, in dessen Folge ein repräsentatives Stickereizentrum entstehen sollte. Der Stickereiverband setzte sich mit dem ersten Hochhaus der Gegend ein Monument auf einem Grundstück aus dem Nachlass der bis heute ambivalent einzuschätzenden Lustenauer Malerin Stephanie Hollenstein. Zeitgleich wurde darin von der Gemeinde die Galerie Hollenstein eröffnet. Sie war zunächst klar der Repräsentation des wirtschaftlichen Erfolgs der Sticker*innen gewidmet: So wurden immer wieder prestigeträchtige Positionen gezeigt, 1977 etwa Teile der Picasso-Sammlung der Wiener Albertina. Genauso schnell, wie die Lustenauer Stickereiindustrie gewachsen war, kollabierte sie jedoch in den 1980er Jahren. Das lag einerseits daran, dass der westafrikanische Markt, für den die lokale Produktion fast ausschließlich stickte, mit einem starken Währungsverfall und politischen Instabilitäten konfrontiert war. Andererseits traten im Zuge der Globalisierung Konkurrent*innen auf den Plan, die die Preise der österreichischen Sticker*innen weit unterboten. Auch in der Galerie Hollenstein wurden daraufhin kleinere Brötchen gebacken, und der Fokus verlagerte sich auf lokale Positionen. Es ist der Ambition der Gemeinde zu verdanken, dass der Kunstraum seit 2020 mit neuem Namen und Profil als Plattform für junge zeitgenössische Kunst existiert.

MARKUS GÖNITZER: Die Orte, über die ich spreche, haben eine ganz andere Geschichte, weil sie beide aus aktivistischer Selbstorganisation entstanden sind. Das Museum Peršmanhof ist in den 1980ern von Jugendarbeitsbrigaden – bestehend aus Kärntner Slowen*innen, aber auch aus Brigaden aus Ex-Jugoslawien – aufgebaut worden. Das geschah mit der klaren politischen Motivation, an die Verfolgung der Kärntner-slowenischen Minderheit und deren antifaschistischen Widerstand zu erinnern, und zwar mit eindeutig propartisanischer Ausrichtung. [1] Der Kulturraum Container 25, der in der Nähe von Wolfsberg, ebenfalls in Kärnten/Koroška steht, wurde ins Leben gerufen, um in der Region andere Kunst als die hegemoniale zugänglich zu machen und den zunehmenden Leerstand im ländlichen Raum produktiv zu nutzen. Der Container 25 wurde vor 15 Jahren gegründet und wird heute von einem Kollektiv von 40 Personen betrieben, die zum größten Teil ehrenamtlich unterschiedlichste Kulturprogramme und -projekte organisieren.

NAGY: In welchem Verhältnis stehen die Räume heute – 50, 40, 15 Jahre nach ihrer Gründung – zu ihrem lokalen Kontext?

GÖNITZER: Wolfsberg ist ein 25.000-Einwohner-Städtchen, der Container 25 ist noch mal vier Kilometer außerhalb gelegen, in einem winzigen Ort ohne wirklichen Kern. In Wolfsberg gibt es zwar ein Jugendzentrum mit bescheidenem Angebot, aber prinzipiell dominiert die Region genau das, was die ÖVP als „Leitkultur“ predigt: Zeltfeste, Zelebrierung des Traditionellen, rigide Geschlechterrollen, Männlichkeitskult, Geschichtsrevisionismus. Es ist in den letzten Jahren deutlich erkennbar geworden, dass linke, subkulturelle Jugendkultur ausstirbt und Jugendliche von ÖVP-nahen Landjugendstrukturen und deren Veranstaltungen aufgefangen werden. Der Container 25 ist in der Umgebung der einzige Ort, an dem etwas anderes stattfindet. Neben Punkkonzerten, Performances und Lesungen – zum Beispiel von Maja Haderlap, Florjan Lipuš oder Josef Winkler – gibt es Kindertheater, Clubnächte und politische Workshops. Der Peršmanhof ist noch abgelegener. Er befindet sich auf 1.000 Meter Seehöhe in der Nähe von Bad Eisenkappel/Železna Kapla, ist also von Gemeinde-Infrastrukturen völlig abgeschieden und zugleich sozial eng eingebettet in die Nachbarschaft von Bergbäuer*innen. Er hat regelmäßige Öffnungszeiten und einen einladenden Garten, Nachbar*innen besuchen den Ort gern – er dient als eine Art Treffpunkt.

Lesung mit Hosea und Klaus Ratschiller im Container 25, Hattendorf

Lesung mit Hosea und Klaus Ratschiller im Container 25, Hattendorf

ZÜHLKE: Das DOCK 20 ist zwar nicht so abgelegen, weist aber dennoch eine isolierte Alleinlage für einen Kunstraum dieser Art auf: Die nächsten Großstädte, in denen es eine Kunstszene gibt – Innsbruck, München und Zürich – sind alle etwa zwei Stunden entfernt. Die vergleichsweise isolierte Lage hat einerseits den positiven Effekt, dass das DOCK 20 zur Dezentralisierung der Kunst- und Kulturproduktion beitragen kann, andererseits fehlen Institutionen wie Universitäten – und damit auch Personen, die auf zeitgenössische Kunst spezialisiertes Wissen mitbringen, etwa für Vermittlung.

NAGY: Das Stichwort Vermittlung wirft die Frage auf, wie sich die Räume nicht nur in ihrer Umgebung verorten, sondern auch in sie hineinwirken. Welche Strategien verfolgen der Peršmanhof, der Container 25 und das DOCK 20, um der Gemengelage an Ansprüchen gerecht zu werden, die sich in Kunsträumen bündelt – zum Beispiel um etabliertes Publikum zu bedienen und gleichsam neues zu generieren, Wissen zu vermitteln und als soziale Räume zu fungieren?

GÖNITZER: Diese verschiedenen Ansprüche führen im Peršmanhof immer wieder zu Konflikten darüber, wie wir den Raum gestalten wollen. Historisch war der Hof in seiner Abgelegenheit eine wichtige Basis für den Widerstand der Partisan*innen. Ganz simpel gesagt, wollen wir diese Funktion erhalten, einladend sein und einen offenen Begegnungsraum schaffen. Zudem ist uns wichtig, gegen den Konsens der österreichischen Politik aufzutreten und der vorherrschenden Erinnerungskultur zu widersprechen – und zwar mit einer konkreten Gegenerzählung: Partisan*innen waren keine Nestbeschmutzer*innen oder Heimatverräter*innen, als die sie oft dargestellt werden, sondern haben in Kärnten/Koroška den bedeutendsten Widerstand gegen das NS-Regime im Gebiet des heutigen Österreich organisiert und damit maßgeblich zu dessen Befreiung beigetragen. Kulturinstitutionen können eine gewisse Öffentlichkeit erreichen, indem sie zum Beispiel Presseaussendungen machen oder ihre Veranstaltungen im öffentlichen Raum bewerben. Wir möchten diese Möglichkeiten nutzen, um diskursive politische Akzente zu setzen, unter anderem auch in offizielle Institutionen zu intervenieren, vor allem ins Schulsystem.Mit Blick auf diese verschiedenen Bestrebungen – also ein sozial einladender Ort in der Region zu sein, gegen die vorherrschende Erinnerungskultur anzuerzählen und sich in offizielle Bildungsinstitutionen einzuschreiben –, wird klar, dass diese Orte jeweils ganz unterschiedliche Strategien erfordern, die mitunter widersprüchlich erscheinen: Will man sich konsequent politisch positionieren und damit vorrangig Leute anziehen, die diese Positionierung bereits teilen? Oder geht es eher darum, soziale Räume schaffen, in denen gewisse Haltungen und Selbstdefinitionen überhaupt erst gemeinsam ausverhandelt und formuliert werden?

So sehr ich den Wunsch nach offenen Dialogräumen teile und sie sinnvoll finde, so sehr kenne und verstehe ich auch die Versuchung, in einem politisch reaktionären Raum klare Ansagen zu machen. Und das wird auch wertgeschätzt! Manch eine*n beruhigt es, einfach zu wissen, dass es Orte mit eindeutig antifaschistischen Haltungen noch gibt. Wir versuchen, Dialogräume zu öffnen, dies aber mit einer klar antifaschistischen Rahmung. Es gibt daher Aussagen, die bei uns nicht stehen gelassen werden, oder politische Akteur*innen, mit denen wir nicht zusammenarbeiten. Grenzziehungen sind auch Teil von Aushandlungsprozessen. Das ist zwar kompliziert, aber erhält eine Initiative auch dynamisch und wachsam. Im Container 25 finden ähnliche Diskussionen statt. Einerseits möchte man ein Raum für Jugendkultur sein, der neue Generationen anspricht, andererseits auch in dem Diskurs mitmischen, den Anne beschreibt, also ein relevanter Ort für zeitgenössische oder subversive Kunst sein. Das geht nicht immer zusammen, weil es manchen Organisator*innen vielleicht zu provinziell und zu wenig progressiv erscheint, die lokale Dorfpunkband einzuladen, und sie lieber ein hochkarätiges Performance-Kollektiv auf der Bühne sehen würden. Diese unterschiedlichen Ansprüche müssen entweder ausgehandelt oder in ihrer Widersprüchlichkeit ausgehalten werden.

„Billie Clarken: Cancel the Reboot“, DOCK 20, Lustenau, 2022

„Billie Clarken: Cancel the Reboot“, DOCK 20, Lustenau, 2022

ZÜHLKE: Das ist ein wichtiger Punkt: Im Aushalten von Widersprüchen und Ambivalenzen, wie du sie beschreibst, liegt aus meiner Sicht die größte Herausforderung, aber auch eine große Stärke von Kunsträumen auf dem Land. Die Einladung der Punkband von nebenan, der der Wunsch gegenübersteht, ein elaboriertes Performance-Kollektiv aus Wien auftreten zu lassen – genau diese Kollisionen von Ansprüchen machen Kulturarbeit im ländlichen Raum in meinen Augen so reizvoll. In der zeitgenössischen Kunst nehme ich zu großen Teilen zwar verschiedene, aber klar identifizierbare Sphären wahr, und viele städtische Kunsträume sind bestimmten Szenen, Trends und Stilen zugeordnet. Dadurch können sie sich eine klare Programmatik erarbeiten, sich in dieser professionalisieren und darin für Exzellenz sorgen. Gleichzeitig reproduzieren sie damit bestehende Codes, die gut lesbar und eindeutig sind. Auf dem Land darf und kann man diese Logik nicht übernehmen, sondern muss die Widersprüche, die an einem Ort notwendig zusammenlaufen, wenn er nun mal der einzige Kunstraum der Gegend ist, anerkennen und in der kuratorischen Praxis produktiv machen. Wenn du, Markus, sagst, dass es am Peršmanhof darum geht, eine gegenhegemoniale Erzählung anzutreten, dann leuchtet mir das total ein, weil sich der Ort bereits in seiner Gründungsgeschichte gegen eine eindimensionale Form der Erinnerungspolitik richtet. Für das DOCK 20 liegt das aber, angesichts der eigenen Geschichte des Raums, nicht nahe. Das DOCK 20 als Gegenhegemon im ländlichen Raum wäre eine Zuschreibung, die mich stören würde. Was ich mit unserem Ausstellungs-, Vermittlungs- und Veranstaltungsprogramm anstrebe, ist weniger gegen- als antihegemonial: Ich möchte einen offenen Ort erzeugen, an dem sich verschiedene Kräfte frei bewegen können.

GÖNITZER: Ich finde diese Unterscheidung zwischen Gegen- und Antihegemonie enorm wertvoll, weil ich, eher aus dem politischen Aktivismus als aus der Kunstwelt kommend, Kulturräume lange mit politischer Organisation verwechselt habe. Mittlerweile sehe ich das Potenzial von Kunsträumen vielmehr darin, so etwas wie vorpolitische Räume zu installieren, die eine Vorstufe von Gegenhegemonie erzeugen können. Sie bieten die Möglichkeit, Menschen über Szene- oder Milieugrenzen hinweg überhaupt erst einmal zusammenzubringen – vorausgesetzt, das Programm ist interessant und der Raum selbst einladend gestaltet. Aus dem Zusammenkommen und den sich dabei eröffnenden Dialogen kann dann möglicherweise etwas entstehen.

Das Reizvolle an der Kulturarbeit im ländlichen Raum ist auch für mich nicht, städtische Szenen zu reproduzieren, sondern andere Logiken zu erproben. Was wir gerade am Beispiel von Punkband vs. Performance-Kollektiv beschrieben haben, sagt ja eigentlich weniger über ländliche als über städtische Szenenzusammenhänge aus, die schnell so dogmatisch in ihrer Auslegung von Kunst werden, dass sie das Performance-Kollektiv qualitativ über die Dorfpunkband stellen.

KSŠŠD Chor am Peršmanhof, Bad Eisenkappel / Železna Kapla

KSŠŠD Chor am Peršmanhof, Bad Eisenkappel / Železna Kapla

NAGY: Das Gelingen oder Nichtgelingen von sozialer Offenheit und inhaltlichem Antidogmatismus ist in meiner Erfahrung eng damit verbunden, wie ein Raum organisiert wird und wer an ihm mitwirkt. Welche Rolle spielen Partizipation und Teilhabe in eurer kuratorischen Praxis?

ZÜHLKE: Ich versuche, von den Künstler*innen und den Ausstellungen selbst auszugehen. Wir haben in unserem Jahresprogramm kein übergeordnetes Thema und keinen inhaltlichen Fokus, stattdessen bringt jede Ausstellung ein neues Konvolut an Fragen, Möglichkeiten und Widersprüchen mit sich – und dadurch auch jeweils neue Potenziale der Partizipation. Ich sehe es zum Teil kritisch, wenn Häuser versuchen, ganze Ausstellungen und alle darin enthaltenen Arbeiten auf Biegen und Brechen in ein konzeptuelles Framing einzupassen. Dadurch geht meiner Meinung nach die Eigensprachlichkeit und vielleicht auch Übersprachlichkeit von gewissen Arbeiten verloren. Für mich ist der Ausgangspunkt immer wieder neu situiert, und genau die Möglichkeit dieser nuancierten Auseinandersetzung ist für mich ein Vorteil von Institutionen im ländlichen Raum. Man ist eben nicht von dem großen, permanenten Rauschen umgeben wie die künstlerische und kuratorische Arbeit in den Metropolen. Unseren Kunstraum umgibt eher eine diskursive Stille – es gibt kaum andere Orte in der Nähe, in denen Debatten über zeitgenössische Kunst geführt werden. Doch genau in diese Stille lassen sich einzelne kleine Signale aussenden, und man kann dann beobachten, wie sie aufgenommen werden. Als wir Anfang 2024 die Ausstellung eines Malers aus Düsseldorf, der in Istanbul aufgewachsen ist und sich in seiner Malerei mit Vorstellungen von Männlichkeit und queerer Sexualität beschäftigt, eröffnet haben, hat das Irritationen und Zuspruch gleichermaßen hervorgerufen. In Lustenau, wo seit dem Gastarbeiter*innenabkommen 1964 eine große Community an türkischsprachigen Einwohner*innen beheimatet ist, deren muslimische Religionsverbände und Kulturvereine eher konservativ geprägt sind, hat diese Ausstellung einerseits Freude über die Sichtbarkeit türkischer Positionen ausgelöst, andererseits fühlten sich manche von den malerischen Sujets provoziert. Mit Vermittlungs- und Führungsformaten auf Türkisch und Deutsch haben wir versucht, diese Widersprüche fruchtbar zu machen und sie in den Austausch über die Arbeiten einzubinden. Mir ist es primär kein Anliegen, moralische Überlegenheit oder politische Korrektheit zu vermitteln, sondern vielmehr, offene Bruchstellen innerhalb geschlossener Identitätskategorien zutage treten zu lassen und angreifbar zu machen. Ob diese Form des Ausstellens und Vermittelns erfolgreich ist, wenn man so ein Werturteil überhaupt fällen will, lässt sich für mich am Grad der Teilhabe oder Partizipation messen: daran, wie sehr sich das Publikum einmischt, an Diskussionen teilnimmt, wie und wo die Ausstellungen diskutiert werden, ob Einspruch oder Widerspruch artikuliert wird. Zu viel Lob ist in der Regel nicht nur ein gutes Zeichen.

„Murat Önen: so gut ich kann“, DOCK 20, Lustenau, 2024

„Murat Önen: so gut ich kann“, DOCK 20, Lustenau, 2024

GÖNITZER: Partizipation ist als Begriff in der Kunstwelt ja ziemlich in Verruf geraten. Zum Teil auch zu Recht: Viele Kunstprojekte wurden und werden als partizipativ gelabelt, bei denen zwar verschiedenste Leute dazugeholt werden und einmal mitmachen dürfen, die Beziehungen dann aber wieder verschwinden. Ich stelle an Kunsträume den Anspruch, Beziehungsgeflechte nachhaltig zu gestalten. Damit hängt auch das Thema der Bezahlung zusammen. Die Frage, die sich an selbstorganisierten Orten in Bezug auf Partizipation und Teilhabe stellt, lautet: Wie lässt sich der ursprüngliche Drive erhalten, der aus einer oft aktivistischen Praxis entsprang, ohne dabei in Selbstausbeutung zu münden? Der Widerspruch zwischen dem Ehrenamt, von dem der ländliche Kulturbetrieb zu großen Teilen lebt und das viele Leute schlicht aus Überzeugung übernehmen, und der kulturpolitischen Forderung, dass jede Arbeit bezahlt gehört, führt zum Teil dazu, dass ehrenamtlich arbeitende Personen aktiv aus der Mitgestaltung von Räumen ausgeladen werden, weil nicht alle bezahlt werden können. Das Abwägen hierbei erfordert ungemeine kulturpolitische Sensibilität: Um welche Förderungen muss gekämpft werden? Auf welche Arten können und müssen Räume und die darin arbeitenden Menschen finanziell unterstützt werden? Und wo muss andererseits darauf geachtet werden, den Drive und die Prozesshaftigkeit, die sich maßgeblich auf ehrenamtliche Arbeit stützen, nicht kaputtzumachen?

NAGY: Weil ich euch beide nicht nur als Kurator*innen und Kulturarbeiter*innen, sondern auch als antifaschistische Aktivist*innen kenne, möchte ich abschließend fragen: Wie verbindet ihr die Ansprüche antifaschistischer Arbeit mit eurer kuratorischen Tätigkeit im ländlichen Raum?

ZÜHLKE: Eine antifaschistische Haltung ist etwas, das ich Personen zuschreibe und nicht Institutionen oder Gebäuden. Für sich als Institution per se eine politische Haltung zu reklamieren, untergräbt aus meiner Sicht interne Diskurse und Aushandlungsprozesse und führt potenziell dazu, lediglich mit Leuten zusammenzuarbeiten, die ohnehin dasselbe wollen. Den viel besprochenen Safe Space halte ich in diesem Sinn für ein Missverständnis: Homogenität ist nicht safe. Erstrebenswert ist für mich vielmehr ein Ort, der es erlaubt, sich ohne Totalschaden offen in Konflikte zu begeben. Das steht in fundamentalem Widerspruch dazu, dass eine Kunstinstitution eine klare politische Haltung einnimmt. Eine solche institutionelle Haltung hätte, wie ich glaube, nur kurzfristig Bestand. Der politische Wind in Österreich weht in Richtung Postfaschismus, und das, was faschistische Strukturen am besten können, ist, Oppositionen auszuschalten. Konkret hieße das, unsere Arbeit wäre einfach zu Ende. Deshalb gibt es für mich einen großen Unterschied zwischen dem, was ich als politische Privatperson umzusetzen versuche, und dem, was ich einer Institution als politisches Potenzial attestieren würde. Ich halte es für eine starke Position, nicht immer sofort eine eindeutige Positionierung vorzunehmen. Für mich ist es eine marktliberale und populistische Tendenz, sich immer sofort auf spezifische Kategorien oder Positionen festlegen zu müssen oder zu wollen: Dieses Verhalten erlaubt in allererster Linie eine schnelle Verwertbarkeit der Informationen, die es über einen Ort gibt – mit der entsprechenden Konsequenz, dass Informiertheit mit Wissen verwechselt wird. Im Gegensatz dazu muss aus meiner Sicht sowohl in der Struktur des Museums als auch in den gezeigten Arbeiten ein gewisser offener Charakter enthalten bleiben. Wenn es die Charakteristik des Faschismus ist, auf komplexe Fragen einfache Antworten zu geben, dann ist es vielleicht eine antifaschistische museale Praxis, zu diesen Fragen multiple und mindestens ebenso komplexe Rückfragen parat zu haben.

Sommerfest auf dem Vorplatz des Container 25, Hattendorf

Sommerfest auf dem Vorplatz des Container 25, Hattendorf

GÖNITZER: Ich bin dir dankbar, Anne, dass du die Gegenwart und das bedrohliche politische Zukunftsszenario ansprichst. Und ich stimme dir zu, dass man sich nicht dumm umbringen lassen sollte, indem man sich als Kulturraum direkt gegen die Strukturen auflehnt, von denen man abhängt. Inmitten einer Gesellschaft, die sich selbst und ihre Institutionen zunehmend faschisiert, kann es schon antifaschistische Praxis sein, diese als diskursive Räume zu erhalten. Wenn sie tatsächlich ihr Potenzial einlösen, Aushandlungsorte und Anlaufstellen für diejenigen zu sein, die dagegen sind, werden sie zukünftig wohl noch einmal ganz anders wichtig, als sie es derzeit bereits sind. Schon während der schwarz-blauen Regierungen der Vergangenheit – also zwischen 2000 und 2005 und zwischen 2017 und 2019, als die ÖVP mit der FPÖ koalierte – hat es enorme Angriffe auf Medien und Räume gegeben: etwa auf das Universitätskulturzentrum UNIKUM in Klagenfurt, das als Ort des Widerstands galt; auf das museum in progress, nachdem es seine Initiative TransAct gegen die Regierungsbeteiligung der FPÖ gestartet hatte; oder auf die Linzer Migrant*innenorganisation maiz und diverse feministische Medien. Viele dieser Zusammenhänge gingen kaputt, manche haben es geschafft, sich mit viel Unterstützung und Solidarität zu erhalten. Ich bin immer so verärgert, wenn in unseren Bubbles nationale Wahlergebnisse diskutiert und dann auf Social Media die politischen Landkarten mit dem Wähler*innenverhalten gepostet werden. Da sind Wien und die urbanen Zentren immer rot eingefärbt und alles rundherum ist blau, und diese Grafiken werden geteilt mit Kommentaren wie: „Bauen wir eine Mauer um Wien!“ Und ich denke mir jedes Mal: Das ist genau die Haltung, die ebendiese Schräglage manifestiert. Wenn man die Leute nicht unterstützt, die außerhalb der Bundeshauptstadt geblieben sind, um alternative Räume zu halten, an denen überhaupt irgendwas Widerständiges entstehen kann, dann verschläft man etwas sehr Gewichtiges. Ich bin über die Jahre zu der Erkenntnis gelangt, dass es oft nicht der inhaltlich überzeugendste Vortrag oder die am ausgefeiltesten kuratierte Ausstellung ist, die für wirksamen Antifaschismus in der Region steht, sondern die kontinuierliche, interdisziplinäre Praxis, der es bedarf, um soziale Räume zu halten. Denn die bilden die unverzichtbare Basis, damit sich neue Beziehungsweisen entwickeln, lokale politische Bündnisse wachsen und emanzipatorische Bilder von Gesellschaft gezeichnet werden können.

MARKUS GÖNITZER ist Teil des Vorstandskollektivs und der künstlerischen Leitung des Forums Stadtpark in Graz, Obmann im Verein/Društvo Peršman und Teil der Projektkoordination der Initiative WerkStattMuseum Klagenfurt/Celovec. Seit 2012 engagiert er sich im Kunstverein Container 25 nahe seinem Geburtsort Wolfsberg. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen Erinnerungskultur(en), Utopiediskurse sowie Kulturinitiativen als Trägerinnen gesellschaftlicher Veränderung.

SIMON NAGY arbeitet im Kontext verschiedener Kollektive in der Kunst-, Text- und kritischen Wissensproduktion in Wien. Er ist Mitglied des Vermittlungskollektivs trafo.K, Teil der Künstler*innengruppe Schandwache und realisiert gemeinsam mit Rosa Andraschek künstlerische Gedenkprojekte im ländlichen Raum. Sein Buch Zeit abschaffen. Ein hauntologischer Essay gegen die Arbeit, die Familie und die Herrschaft der Zeit erscheint im Oktober 2024 im Unrast Verlag.

ANNE ZÜHLKE ist Kuratorin und Kunstwissenschaftlerin. Seit 2021 kuratiert sie das DOCK 20 in Lustenau und hat 2024 dessen künstlerische Leitung übernommen. Sie arbeitet als freischaffende Autorin und ist Mitherausgeberin des Magazins MALMOE.

Image credits: 1. © Društvo Peršman; 2. © Nina Radeschnig; 3. © DOCK 20 / Miro Kuzmanović; 4. © Elsa Logar; 5. © DOCK 20 / Miro Kuzmanović; 6. © Nina Radeschnig

ANMERKUNGEN

[1]Auf dem Gebiet des heutigen Kärntens/Koroška im südlichen Österreich lebt seit Jahrhunderten die Volksgruppe der Kärntner-Slowen*innen. Waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts etwa 90 Prozent der Südkärntner Bevölkerung slowenischsprachig, ist dieser Anteil heute auf einen einstelligen Prozentsatz minimiert. Das ist das Ergebnis jahrzehntelanger Verfolgung und Diskriminierung, die rund um eine Volksabstimmung 1920 ihren institutionellen Anfang nahmen, in der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik gipfelten und von den rechten und konservativen Parteien in Österreich bis heute fortgesetzt werden.