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NACH NUTZUNG Stephan Geene über Tom Burr in der Galerie Neu, Berlin

„Tom Burr: Compressions“, Galerie Neu, Berlin, 2022, Ausstellungsansicht

„Tom Burr: Compressions“, Galerie Neu, Berlin, 2022, Ausstellungsansicht

Eine Installation, eine Bildserie – mit nur zwei Arbeiten in der Galerie Neu behauptete Tom Burr sein künstlerisches Spektrum. Seine fortwährende Auseinandersetzung mit Minimal Art erlebten Besucher*innen ebenso wie sein Collage-Talent. Die raumbestimmende skulpturale Arbeit im Zentrum der Schau schreibt die Kunstgeschichte des Minimalismus weiter. Ihr glattes Schwarz steht im Kontrast zum offenen Holzbildträger der Atlas-Reihe. Darauf gepinnt ist das Antlitz des Titelgebers der Werke, des Videokünstlers Charles Atlas, und Stoffbahnen in dessen Lieblingsfarbe Orange. In seiner Rezension der Ausstellung „Compressions“ spürt der Künstler Stephan Geene dem gestalterischen Können Burrs über den Galerieraum hinaus nach.

Sehr lässig, wie Tom Burrs Skulptur den Raum einnimmt, gekonnt. Zwar nicht unaufwendig, die vier großen Kuben, oder sparsam, aber doch schlicht. CONFIGURATION (NEXT) GENERATION (2022), wie die Skulptur oder Installation heißt, drängt dem Raum der Galerie Neu eine eigene Struktur auf, ohne ihn vollständig in etwas anderes zu verwandeln. Der Galerieraum bleibt, was er ist, weiß und ein Cube – und nun mit eingebauten schwarzen Raumteilern, Podesten, die theatral viermal eine kleine Zelle mit Bett skizzieren; zentral angeordnet, symmetrisch, zwingend und doch herausgelöst wie aus einer endlosen Serie; ein Sample, mit dem sich riesige Turnhallen oder Flughafenhangars ausstatten ließen zur Unterbringung einer möglichst großen Anzahl von Menschen. Unterbringung oder Einsperrung. Alles in matt lackiertem Schwarz, selbst die Stoffdecken sind dunkel, unterbrochen nur von weißen Kopfkissen, vereinzelt sind Zeitschriften platziert, Bücher, Videos, queere Paraphernalien. Die Eisenbettgestelle, Pritschen, sind fabrikneu, eher IKEA als Militär, pragmatische Schlafmöglichkeiten, und decken damit die Spannweite ab von improvisiertem Hostel über Katastrophenzwang einer Evakuierung bis zu Gefängnis. Von allen Nutzer*innen verlassen, sämtliche „Lebensspuren“ beseitigt, irritierend steril, stehen nur die Bücher und Zeitschriften unscharf für stattgefundene individuelle Nutzung und einer eventuelle Bedrohung queerer Kultur.

Tom Burr, „CONFIGURATION (NEXT) GENERATION“ (Detail), 2022

Tom Burr, „CONFIGURATION (NEXT) GENERATION“ (Detail), 2022

Die elegante Narrativität, mit der Burr sich hier entfaltet, nah dran an expositiver Naivität oder nicht übertriebener formaler Ambitioniertheit, ist in ihrem Bezug zur Minimal Art dann aber doch treffgenau: Raumobjekte so zu verwenden, dass sie die Betrachter*innen in ihrer raumgreifenden Körperlichkeit markieren, das ist der kunsthistorische Markenkern der Minimal Art, und Burr verstärkt diesen Effekt in ironischer Angleichung an kommerzielles Display durch Plexiglasscheiben, die vor die Wände zum inneren Durchgang gespannt sind und in denen sich die Umhergehenden matt spiegeln – historischer Minimalismus versus zeitgenössische Bezüge: „Calvin Klein’s take on minimalism“ sei zwar von dem der bildenden Kunst zu unterscheiden, wie Burr in einem Interview erklärt, „attracted“ sei er aber „to both“. [1]

Burr hat seine Skulptur mit einer anderen Arbeit umgeben. Vergleichsweise konventionell an drei Wänden hängen die Bilder Atlas I, Atlas II und Atlas III. Materialcollagen aus Fotos, Stoffen, Reißnägeln, Klarsichtfolien, Stickern. Sie sind in ostentativer Beiläufigkeit organisiert, Stecknadeln zurren den Stoff fest, verschiedene ineinander gesteckte Plastikhüllen „rahmen“ je das Foto. Verpackungstechnik. Aber auch die Gemälde bilden eine Serie, die Verteilung des je gleichen, alarm-orangen Stoffs rotiert von Bild zu Bild locker, und jeweils ein anderes Porträtfoto derselben Person findet sich in jeder der Collagen. Eine interessante, vielleicht zufällig männliche Physiognomie – warum nicht –, aber manche werden das Gesicht auch erkennen (oder den Pressetext gelesen haben): Es handelt sich um den Künstler-Künstler Charles Atlas, Filmemacher, Videoartist im Umfeld von Merce Cunningham, Yvonne Rainer und Sonic Youth. Atlas ist der Kollaborationskünstler par excellence, sein ganzes langes New Yorker 20th-Century-Leben besteht aus Mixed-Media-Aktivitäten kollektiver Autor*innenschaft.

Tom Burr, „Atlas I“, 2022

Tom Burr, „Atlas I“, 2022

Gleitet man am Ende des Ausstellungsbesuchs aus Burrs fein verteilten Relationsaerosolen, findet man sich wieder in einer Galerie in Berlin-Mitte am Ende des Jahres 2022. Die Galerie liegt nicht an der Straße, sondern ist im Hinterhof eines Wohnneubaus in zwei übereinandergestellte Container hineingebaut. Aus der Galerie kommend, schaut man zuerst auf die rückwärtigen Balkone des Vorderhauses, winterbedingt dienen sie den Mieter*innen als Stauraum für gerade nicht gebrauchtes Inventar. In gewisser Weise geht Burrs Ausstellung einfach weiter, auch hier lässt sich die Doppelcodierung von kunsthistorischen Zeichen und denen, die jeder Gesellschaftlichkeit vorausgesetzt sind, einfach fortführen. Und die in der Ausstellung nahegelegte samtene Umcodierung oder Neubewertung dieser Marker greift auch für die Alltagsbeobachtung, impliziert aber immer auch einen Zugriff auf die Welt – einer Aneignungsfantasie, ohne die Kunst als Soziale Skulptur willkürlich oder unwillkürlich nicht auskommt. Und aus dem historischen Abstand zu Burrs Anfängen, die auf die 1990er Jahre und Künstler*innen aus Post-AIDS und Institutionskritik zurückgehen, drängt sich vielleicht die Frage auf, wie viel Aneignungsvorstellungskraft Burrs Arbeit in der Galerie Neu heute verhandelt. Vielleicht bespielt sein Torrington Project deshalb seit einigen Jahren eine ehemalige Fabrikhalle in Connecticut, in der er neue und alte Arbeiten nebeneinander auf- und umbaut und so miteinander kommunizieren lässt. Und wenn dort abends die Lichter ausgehen, stehen die Arbeiten weiter miteinander im Raum. Latente Diskurse oder beendete Versprechen.

„Tom Burr: Compressions“, Galerie Neu, Berlin, 10. September bis 22. Oktober 2022.

Stephan Geene ist Filmemacher und Künstler. Zuletzt erschien Freiheit 71. Ricky Shayne, Musik und die Materialität des Nachkriegs (b_books 2022). Zurzeit arbeitet er an einem Projekt zu Kunststoffen über die Webseite www.2222255.de.

Image credit: Courtesy of the artist and Galerie Neu, Berlin, photos Stefan Korte

Anmerkungen

[1]Courtney Maum, „Tom Burr“, in: Interview Magazine, 14. Dezember 2016, https://www.interviewmagazine.com/art/tom-burr.