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Isabelle Graw

WER MIT WEM. Über das Obrist-Porträt in der Spex

In der aktuellen Spex (September/Oktober 2009) führt deren Chefredakteur Max Dax ein Interview mit Hans-Ulrich Obrist. Interview ist zu viel gesagt, denn Dax, der dieser Zeitschrift nebenbei bemerkt zu einer gestiegenen Bedeutung verhalf, indem er zahlreiche gute Autor/innen engagierte, hat im Grunde keine Fragestellung, die er systematisch verfolgen, kein Problem mit der kuratorischen und publizistischen Arbeit von Obrist, das er mit ihm kontrovers diskutieren würde. Er tritt seinem Interviewpartner vielmehr voller Bewunderung, ja geradezu ehrfürchtig und erschreckend devot entgegen, sichtlich beeindruckt von all den berühmten Namen, die Obrist beiläufig in jedem Satz fallen zu lassen versteht – Rem Kohlhaas, Matthew Barney etc., etc. Man fragt sich unwillkürlich, ob die Zeit, da es noch zu den zivilgesellschaftlichen Tugenden gehörte, Kritik öffentlich vorzubringen und Kontroversen anzuzetteln, unwiderruflich vorbei ist? Das gute alte Ideal des „Streitgesprächs“ hat jedenfalls heute, da von einer „Streitkultur“ keine Rede mehr sein kann, offenbar etwas hoffnungslos Antiquiertes. Zeitschriften wie „Spex“ sehen es schon lange nicht mehr als ihre Aufgabe an, unbequeme Fragen zu stellen oder den allgemeinen Konsens aufzubrechen. Sie tun das, was alle tun – protokollieren und dabei den jeweiligen Gegenstand featuren. Obrist seinerseits versteht sich ausgesprochen gut darin, Zitate bedeutender Schriftsteller wie Musil, Blanchot oder Borges einzuflechten, was seine Belesenheit ebenso unter Beweis stellt wie es seinen Ausführungen Bedeutungsschwere verleiht. Seinem Gegenüber gibt Obrist zudem unausgesetzt zu verstehen, dass er mit sämtlichen Größen der Kunstwelt per du ist. So berichtet er davon, kürzlich David Hockney in dessen Haus besucht zu haben, was von seinem privilegierten Zugang zeugt. Auf diese Weise macht Obrist einmal mehr deutlich, dass ihm sämtliche Türen offen stehen und dass seine professionellen Verbindungen stets einen intim-freundschaftlichen Charakter haben. Dax seinerseits versäumt es nicht nur, die Natur dieses im Kulturbetrieb bekanntlich enorm verbreiteten Typus von „Freundschaft“ genauer zu hinterfragen, er erinnert auch mit keinem Wort daran, dass Obrist ganz im Sinne jener postfordistischen Maxime verfährt, nach der Kontakte das höchste Gut darstellen. Bei Obrists Interviewreihen und „Marathon“-Gesprächen handelt es sich schließlich darum, diese Kontakte im großen Stil zu akkumulieren. Dies allein wäre aus meiner Sicht kein Problem, wenn diesen Kontakten ein dringender Anlass – ein gemeinsam zu erörterndes Problem – zugrunde liegen würden. Beim Lesen dieses Gespräches gewinnt man jedoch den Eindruck, dass weder Obrist noch Dax ein systematisches Anliegen verfolgen. Gesetzt wird auf den Wert des Kontakts, der allein schon Bedeutung stiftet. Was jedoch macht Obrist für Dax so faszinierend? Es ist nicht allein die Tatsache, dass Obrist ganz selbstverständlich mit den Celebrities des Kulturbetriebs verkehrt. Die von Obrist ausgehende Faszination liegt meines Erachtens auch darin begründet, dass er es vermocht hat, seine bibliophilien Neigungen in den Aufbau einer Kontaktbörse zu überführen, die nun in zahlreichen Ausstellungs- und Buchprojekten – oft in ungewöhnlichen Formaten, so etwa ein für 4 Uhr morgens anberaumtes Gespräch – ihre Früchte trägt. So umstritten die Figur Obrist in einigen Segmenten der Kunstwelt auch sein mag, prägte er doch einen ganz eigenen, auf Partizipation setzenden Stil des Publizierens und Ausstellungsmachens. Wenn nun Obrist und Dax miteinander Kontakt aufnehmen, um ein Gespräch zu führen, dann haben sich hier aber auch zwei gefunden, die in ihrer Gesprächsführung ganz ähnlich verfahren: Sie spielen die Rolle des Stichwortgebers, der seinen Gesprächspartner zum Reden bringt, das von ihm Gesagte zustimmend aufgreift und weitertreibt, bis ein Fluss aus allgemeinen Erwägungen, frei schwebenden Assoziationen und mäandernden Reflexionen entsteht. An einer Stelle bittet Dax Obrist bezeichnender Weise darum, die von Obrist gestellte rhetorische Frage nach dem „roten Faden“ seiner Aktivitäten doch bitte selbst zu beantworten („Sagen Sie es“), so als sei Obrist ein Weiser, der die Fragen und die Antworten kennt. Und noch in jenem Moment, wo sich Obrist nicht uneitel mit keinem Geringeren als Leonardo Da Vinci vergleicht, kommt es Dax nicht in den Sinn, den in diesem Vergleich implizierten Größenwahn wenigstens mit Erstaunen zu quittieren. Man könnte meinen, er sei einer Art Faszinationsstarre erlegen. Dies ist aber auch notwendige Folge eines Typus von Gespräch, das nicht auf Dissenz, sondern auf Konsens zielt. Es setzt gewissermaßen voraus, dass die Position Obrists ohnehin über jeden Zweifel erhaben sei, dass es mithin nichts gibt, worüber es sich mit ihm zu streiten lohnen würde. Dabei verdiente sein beständiges Setzen auf Transdiziplinarität, seine deleuzianisch geprägte Rede von „neuen Energielinien“ und „Achsen“ durchaus eine kritische Nachfrage. Es ließe sich beispielsweise daran erinnern, dass das Überschreiten von Diziplinen allein kein Wert an sich ist, zumal die Forderung nach Transdiziplinarität im Postfordismus einem gängigen Anforderungsprofil entspricht, das den Subjekten Flexibilität, Mobilität und ständiges Multitasking abverlangt. Ein solches Subjekt scheint in der Figur des permanent reisenden Obrist auf die Spitze getrieben, da dieser nicht nur „alles wissen“ will und deshalb unausgesetzt seine internationalen Gesprächspartner aufsucht, sondern auch auf den zentralen Ausstellungs- und Messeeröffnungen dieser Welt regelmäßig anzutreffen ist (siehe die zahlreichen Obrist-Photos auf artforum.com) Beide – Obrist und Dax – pflegen eine Vorliebe für die ganz großen, so substanzialistisch wie metaphysisch aufgeladenen Fragen – etwa „Was kann die Kunst?“ – , deren Beantwortung sie jedoch tunlichst dem anderen überlassen. Beinahe rührend wirkt es gen Ende, wenn Obrist auf diese Frage, die er gewöhnlich anderen stellt, wie er bemerkt, die folgende Antwort gibt: Kunst könne die Welt mit „Schmetterlingseffekten“ verändern. Als Metapher für die Kunst scheint mir diese berühmte Anekdote aus der Chaostheorie, der zu folge schon der bloße Flügelschlag eines Schmetterlings am anderen Ende der Welt eine schwere Katastrophe auslösen könne, denkbar ungeeignet. Denn die Effekte von künstlerischen Arbeiten sind ja keineswegs gänzlich unbeabsichtigt oder gar allein auf eine Kette aus chaotischen Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen zurückzuführen. Träfe dieses Bild zu, dann wäre der Künstler seiner Verantwortung enthoben und jede Form von „agency“ vergeblich. Wer das System Obrist – seine Vorgehensweise und seine Überzeugungen – verstehen will, dem sei dieses Gespräch empfohlen. An einer Stelle sagt Obrist beispielsweise frei heraus, dass es ihm um das Knüpfen von Netzen gehe, wobei Dax mit der Netzmetapher keine Probleme zu haben scheint. Dies könnte daran liegen, dass auch Dax den Vernetzungsimperativ so weitgehend verinnerlicht hat, dass er sich nun seinerseits unausgesetzt vernetzt. Auch dieses Gespräch ist ein Beispiel für Vernetzung um der Vernetzung willen. Darüber ein Lamento anzustimmen, führt jedoch nicht weit. Eher schon gilt es nüchtern festzustellen, dass es eben solch funktionierende Kontaktbörsen wie die von Obrist sind, die im Netzkapitalismus zum Erfolg führen. Mit dem Insistieren darauf, dass es doch noch um etwas anderes gehen müsse, findet man sich indessen unwillkürlich auf der Seite der Unverbesserlichen wieder, denen regelmäßig überzogener Dogmatismus oder Neidgefühle unterstellt werden. Es lohnt sich jedoch meines Erachtens, das Risiko einer solchen Positionierung einzugehen und dies nicht zuletzt deshalb, weil die Gründe für die Strahlkraft und Autorität eines neuen Typus des Kulturfunktionärs, der in erster Linie auf seine connections setzt, noch weitgehend unerforscht sind.