WIR WIR WIR Ramona Heinlein über Anna Schachinger bei Sophie Tappeiner, Wien
Vor blauem Himmel halten Frauenfiguren Babys mit ausgestreckten Armen hoch über ihre Köpfe. In ihrer additiven Darstellung – von einer Einzelfigur über zwei, drei bis hin zu vier Frauen in einem Gemälde – präsentieren sie sich als eingeschworene Gruppe. Ihre Blicke sind ernst, die androgynen Körper, die weitestgehend ohne mütterliche oder „weibliche“ Attribute auskommen, ragen säulenhaft auf. Die Kinder winden sich derweil mit ihren fratzenartigen Gesichtern kreatürlich in den Händen der Mütter und strecken ihre klauenhaften Glieder jauchzend von sich. Üblicherweise werden Kinder so eng und behütet wie möglich am Körper, im Arm oder an der Brust gehalten. Hier dagegen werden sie emporgehoben, was feierlich, stolz, ja, geradezu kämpferisch wirkt, im Kontrast zum vertrauten Aufgehoben-Sein am Mutterleib. Agaven, die vom unteren Bildrand aus nach oben ragen, greifen die Haltung der Kinderkörper auf und deuten einmal mehr auf eine heiße, trockene Landschaft. Sind die Babys in Gefahr? Dafür erscheint der Griff zu fest, sehen die Säuglinge zu vergnügt aus. Sind sie Schutzschilder? Oder Trophäen einer Jubelgeste? Werden sie von ihren Müttern auf Distanz gehalten, oder wollen diese ihren Kindern einen besseren Blick auf die weite Welt ermöglichen? Die Antwort ist so naheliegend wie surreal: Die Säuglinge spenden den Frauengesichtern in der makel- wie wolkenlosen Szenerie den ersehnten Schatten.
In ihrer neuen Werkserie, zu sehen in der Ausstellung „Céu Limpo“ bei Sophie Tappeiner, widmet sich Anna Schachinger dem ideologisch umkämpften Bild der Mutter. Die hellen, figurativen Arbeiten kombiniert sie mit einer Reihe abstrakter Gemälde, unter anderem aus der Serie Lusco-Fusco, die gestische Spuren in Tusche, Acryl und Öl auf dunklem Samt zeigen. Care-Arbeit war schon früh Thema in Schachingers Praxis, als sie zum Beispiel für ihr Diplom Büglerinnen (2018) malte. Und bereits in dieser Präsentation verband sie die Frauendarstellungen mit abstrakten Arbeiten, die gerade im Dialog ihre Befragung des Mediums ins Bild setzen. Auch in „Céu Limpo“ ist den figurativen Werken im ersten Ausstellungsraum die gelbgold schimmernde Farbfeldmalerei Altweibersommer (2024) mit pastelligem Rosa und Blau zur Seite gestellt. Hoch unter die Decke gehängt, erinnert das Querformat an einen Fries, der mit seinen sanften Farbwolken und gestischen Spuren in Gelb einen feierlichen Charakter ausstrahlt und Hintergrund einer sakralen Szene sein könnte.
Als ich Schachinger frage, warum sie Frauen mit Kindern male, schaut sie mich mit ernsten Augen an und sagt schulterzuckend: „Ich bin in meinen Dreißigern.“ So als wäre das Antwort genug auf eine Frage, die an Komplexität kaum zu überbieten ist. Und doch lässt sich diese simple Behauptung nicht leicht von der Hand weisen. Egal, was cis Frauen tun, was oder wen sie lieben, ob sie Kinder haben, sich welche wünschen, keine wollen oder sich nicht sicher sind – ab einem bestimmten Alter kommen sie nicht umhin, sich mit dem Thema Mutterschaft zu beschäftigen. Das liegt nicht an einer nach drei Jahrzehnten automatisch einsetzenden, „natürlich“ empfundenen Sehnsucht nach Fürsorgearbeit, sondern vor allem an gesellschaftlichen Erwartungen. Die Welt ist fixiert auf die Dienste und die angeblichen Pflichten weiblicher Körper und ihrer gesellschaftlichen Kontrolle und Regulierung. So ist die Figur der Mutter im patriarchalen Diskurs ein Schauplatz gesellschaftlicher Debatten – jede*r scheint hier eine Meinung zu haben, Urteile werden schnell gefällt: über Helikoptermütter, Rabenmütter, Karrieremütter – oder, am schlimmsten, über die kinderlose Cat Lady, die jüngst zum Symbol des Kulturkampfes in den USA wurde. So schreibt Sheila Heti passenderweise in ihrem autofiktionalen Roman Motherhood (2018): „Eine nicht mit Kindern beschäftigte Frau hat etwas Bedrohliches. Man hat das Gefühl, sie sei irgendwie unfertig. Was wird sie stattdessen machen? Was für einen Ärger?“ [1] Einen Roman schreiben zum Beispiel – oder malen. Gerade das Selbst jedoch, das sich beim Kunstmachen traut „Ich, Ich, Ich“ [2] zu sagen, muss die ‚ideale‘ Frau opfern: die vor Selbstlosigkeit leuchtende Mutter, wie sie schon in frühen religiösen Darstellungen in der Kunst verbildlicht wird. Die Figur der überhöhten Frau, die immer nur für die Anderen da ist, der keine ambivalente Haltung zu Liebe und Reue, Kunstmachen und Fürsorge, Selbstbestimmung und Hingabe zugestanden wird.
Genau diese Komplexität von Mutterschaft, diese Widersprüchlichkeiten sind es, die in Schachingers neuen Werken aufscheinen. Ihre Bilder teilen sich mit typischen Madonnendarstellungen das Blau – ein Blau, so satt und klar, dass es beinah in den Augen sticht. Ein Blau, das schön und rein ist, in Schachingers Arbeiten jedoch eine gewisse Bedrohung ausstrahlt. Hier gibt es keinen Schutz weit und breit – die Figuren sind dem gleißenden Himmelslicht ausgesetzt. In ihren einfachen Hemden, die an ländliche Arbeitskleidung erinnern, sehen Schachingers Mütter gewöhnlich aus und haben doch etwas Ikonenhaftes an sich. Der stabile Bildaufbau von Cascais (2024) zeigt sich beispielsweise als Dreieck, das auch für religiöse Darstellungen üblich ist. Dabei haben die resolute Körperhaltung und der grimmige Gesichtsausdruck der Frauen nichts von der beseelten Sanftheit einer Mariendarstellung. Ihre Mienen sprechen von Frustration und Resilienz. Ihre zupackende Haltung und die Flächigkeit der Komposition erinnern an Tafelbilder und Wandmalereien sozialistischer Arbeiterinnen und deren stämmige Körper und hochgekrempelte Ärmel. Mutterschaft ist hier eine (real-)politische Angelegenheit.
Das Blau steht schon in frühchristlichen Zeiten für Göttlichkeit, für das Metaphysische. Auf diese abstrakten Konzepte und die historische Deutungsmacht der Malerei scheint Schachinger anzuspielen und sie zugleich zu unterwandern, wenn sie am Ende der Ausstellung im Keller keine Mutterdarstellung, sondern ein monochromes Gemälde in flimmerndem Blau (Centerpiece, 2024) präsentiert. Dessen Oberfläche besteht aus unzähligen akribisch gesetzten Pinselspuren, die dank der augenscheinlichen Verbindung mit den figurativen Arbeiten im Erdgeschoss automatisch mehr sind als rein abstrakte Strukturen. Während die Frauenfiguren im tageslichthellen Erdgeschoss präsentiert werden, erscheint Centerpiece in dem nur von künstlichem Licht beleuchteten Raum fast wie das Altarbild einer Krypta. Die Seitenflügel bilden zwei kleinere Arbeiten aus der Serie Lusco-Fusco. Im Gegensatz zum strahlenden Blau schluckt der schwere Stoff hier manche Farbspuren, lässt sie stumpf werden, andere dagegen leuchten aus dem Dunkel.
Mit Leichtigkeit verbindet Schachinger verschiedene Modi der Malerei, wie Abstraktion, Repräsentation, Transzendenz und Stofflichkeit, Linie und Fläche. Die locker-luftige Pinselführung, mit der die Künstlerin die Frauen- und Kinderkörper teilweise aus nur einem geschwungenen Strich herausarbeitet und dabei die grobe Leinwand durchscheinen lässt, deutet auf die Verankerung ihrer Praxis in der Zeichnung – daran erinnert nicht zuletzt Agave (2024), eine Darstellung des Mütter-Kinder-Motivs in Ölpastell und Wasserfarbe auf Papier, die sich in ihrer vergnügt-bunten Lockerheit gut in das bisherige zeichnerische Œuvre Schachingers einfügt. Dass die Künstlerin das malerische Experiment umtreibt, zeigt unter anderem Altweibersommer (2024). Hier hat sie Tinte auf die unaufgespannte, mit Hasenleim und transparentem Gesso grundierte Leinwand geschüttet und das Bild anschließend andersherum aufgespannt, sodass die Farbe nur zart durch den Stoff hindurchleuchtet. Als die Leinwand durch das flüssige Farbmaterial geschrumpft und damit zu klein für den vorbereiteten Keilrahmen war, nähte die Künstlerin kurzerhand ein Stück an.
Um Ehrfurcht vor der oft so aufgeladenen, bedeutungsschwangeren Malerei geht es hier offensichtlich nicht, eher um eine aufrichtige Lust am Material. Und um einen gewissen Witz; zum Beispiel, wenn die Künstlerin den schwarzen Samtstoff in Aussicht (aufs Fallen) (2024) mit seinem ornamentalen Sternmuster, das an einen nächtlichen Himmel erinnert, nur andeutungsweise mit sanften blauen Linien versieht. Da scheint der Verweis auf Überirdisches mit einem lauten Lachen gegen die konkrete Readymade-Qualität des Bildes zu krachen. Im Durchbruch positioniert, greift das Format dabei jenes von Altweibersommer in der Vertikalen auf und verbindet die figurativen „Sonnen-Bilder“ im ersten Raum mit den abstrakten, „Nacht-Bildern“ im zweiten. Überhaupt ist die Ausstellung durchzogen von Verstrickungen der einzelnen Werke miteinander. Hier geht es nicht um das monolithische, in sich geschlossene Tafelbild, sondern um Kommunikation, nicht zuletzt durch die paarweise Hängung der Lusco-Fusco-Bilder. Dabei entwickeln sie den Charakter physischer Gegenüber, der freilich umso mehr auch von den Frauenfiguren ausgestrahlt wird. Deren leibliche Präsenz verdichtet sich gerade durch die rhythmische Wiederholung der Körper und Gesten im Stockwerk darüber, eingerahmt von den Figuren. In diesem kollektiven, solidarischen Moment zwischen Frauen, der deren Vereinzelung in der klassischen Kernfamilie entgegensteht, hat die Gruppe etwas Aufrührerisches, Forderndes, ja, vielleicht sogar Wütendes, vor allem aber Gemeinschaftliches an sich. Seht her, scheinen sie zu sagen! Ich, Ich, Ich. Oder mehr noch: Wir, wir, wir!
„Anna Schachinger: Céu Limpo“, Galerie Sophie Tappeiner, Wien, 25. Oktober bis 7. Dezember 2024.
Ramona Heinlein ist Kunsthistorikerin und Autorin. Sie lebt und arbeitet in Wien.
Image credit: courtesy of the artist and SOPHIE TAPPEINER, photo Georg Petermichl
ANMERKUNGEN
[1] | Sheila Heti, Mutterschaft, Reinbek bei Hamburg 2020, S. 49. |
[2] | Joan Didion schreibt: „Why I Write. There you have three short unambiguous words that share a sound, and the sound they share is this: I I I. In many ways writing is the act of saying I, of imposing oneself upon other people, of saying listen to me, see it my way, change your mind.“ In: New York Times, Book Review*, 5. Dezember 1976. |