KASPER KÖNIG (1943–2024) von Christian Nagel
Am 1. Oktober 2024 wurde das Bild May 7, 1967 von On Kawara aus der Sammlung Kasper König bei Van Ham für 1.056.000 Euro versteigert. Bei der Abendveranstaltung wurden alle Lose verkauft, und die Auktion brachte einen Gesamtumsatz von mehr als 6 Millionen Euro ein. Die letzte von König vorbereitete Aktion ging, wie so viele andere in seinem Leben, erfolgreich zu Ende; eine Würdigung und Wertschätzung seiner Person als Sammler.
König hatte On Kawara in den späten 1960er Jahren 200 USD gegeben, damit der Künstler ihm während dessen Lateinamerikareise Postkarten schicken konnte. On Kawara entwickelte daraus sein später berühmtes I got up…-Postkarten-Projekt, und auch König sollten Ansichtskarten, von ihm selbst collagiert und verschickt, ein Leben lang begleiten.
König war schon seit den frühen 1960er Jahren ein Urgestein im Umgang mit zeitgenössischer Kunst. Anfänglich Handlanger und Assistent, entwickelte er sich schnell zu einem eigenständigen Agenten.
In Essen entdeckte König 1961 ein Plakat von Cy Twombly aus der Galerie Rudolf Zwirner. Es muss ihn wie ein Blitz aus heiterem Himmel getroffen haben, als er sah, dass „Kritzeleien“ und deformierte Formen, darunter auch Darstellungen von Vulven und Penissen, wie er sie aus den beschmierten öffentlichen Toiletten kannte, Kunst sein können. Dem Schulabbrecher, Wehrdienstverweigerer, aus dem Ersatzdienst geflohenen, fahnenflüchtigen jungen Mann öffneten sich ungeahnte Möglichkeiten und eine völlig neue Lebensperspektive, als er nach dieser Erfahrung bei Zwirner als Praktikant anfing.
Seit der Tätigkeit bei Zwirner stellte Kasper König die moderne und zeitgenössische Kunst in den Mittelpunkt seines beruflichen und sicherlich zum Teil auch privaten Lebens. Als Zwirner nach Köln zog, fand sich König im Zentrum der Geschehnisse und nahm, schon damals ein Meister der Kommunikation, Fahrt auf.
„König ist die größte manipulatorische Drecksau“, sagte er über sich selbst als kaufmännischen Angestellten. Aber es war nicht der Kunstmarkt, sondern die Künstler*innen und die Kunst, die ihn am meisten interessierten. So ist es nicht verwunderlich, dass seine erste Schau im Keller der Galerie Zwirner 1965 ein konzeptuelles Projekt war, das sich den Markterwartungen entgegenstellte. Mit einer Gruppe von Bekannten stellte er Warenautomaten aus, wie sie in Autobahnraststätten zu finden waren und die Seife, Handtuch und einen schlüpfrigen Witz beinhalteten. Die rund 400 Automaten bildeten eine Fluxus-artige Installation.
Wegen nicht erfüllten Wehrdiensts musste König Deutschland verlassen und landete schließlich in New York. Was in Köln begann, setzte sich dort in noch prägnanterer Weise fort. Zunächst arbeitete er im Atelier von Claes Oldenburg und organisierte mit ihm das Mouse Museum, ein begehbares Museum im Museum. Als Mitarbeiter des Moderna Museet Stockholm in New York gelangte der wie eine Rakete abgehende Ausstellungsmacher zu einer Greencard und war somit legal in den USA. König bedankte sich mit einer legendären A+++-Ausstellung. Bereits in jungen Jahren bewies der Kurator, dass er nicht nur ein ausgezeichnetes Gespür für und immer größeres Wissen über zeitgenössische Kunst besaß, sondern auch über einen äußerst positiven Willen zur Macht verfügte, mit dem er seine Ideen durchsetzen und meistens zum Erfolg bringen konnte.
Er überzeugte Pontus Hultén, Direktor des Moderna Museet, die erste Museumsausstellung von Andy Warhol in Europa zu realisieren: „Ich garantiere euch, ich mache eine Ausstellung von Andy Warhol und die kostet keinen Pfennig Geld. Wir leihen nichts aus, sondern produzieren alles selbst für die Ausstellung.“ Cow Wallpaper (1966), Silver Clouds (1966), Flowers (1964), Electric Chairs (1963) – alles im großen Format günstig produziert. Außerdem wurden die Filme Kiss (1963) und Sleep (1964) gezeigt. König arbeitete am Kopierer für den legendären Katalog der Ausstellung und blieb am Ende der Eröffnung fern, da er es vorzog, sich das für ihn gekaufte Scandinavian-Airlines-Ticket auszahlen zu lassen, um dafür mit seiner Familie in New York leben zu können.
Dan Graham, der verschrobene, kauzige, hoch intellektuelle Konzeptkünstler und Betreiber der John Daniels Gallery in New York, brachte König in Kontakt mit einer jungen, vor postavantgardistischen Ideen strotzenden Künstler*innenschaft. Minimal, Concept Art und Land Art nahmen Fahrt auf. Carl André, Sol LeWitt, Donald Judd, Richard Artschwager, Bruce Nauman, Robert Ryman, Robert Smithson, Dan Flavin, Lawrence Weiner und andere standen bereit für eine Expansion in die Kunstwelt. König wiederum berichtete Konrad Lueg von diesen künstlerischen Potentat*innen, und im Oktober 1967 eröffneten Konrad und Dorothee Fischer – Konrad wechselte als Galerist seinen Namen – mit Carl André ihre erste Galerie. Viele weitere Künstler*innen folgten, und schon bald hatten sie den Vorgängern Rudolf Zwirner und Alfred Schmela den Rang als progressivste Galerie im Rheinland abgelaufen. Von hier aus startete der Siegeszug der Minimal und Concept Art durch Europa. Kasper König leistete einen sehr wichtigen Anschub dieser progressiven Entwicklungen, auf die er in Münster 1977 mit den Skulptur Projekten zurückkam.
Klaus Bußmann organisierte dort eine Ausstellung über moderne Skulptur mit Auguste Rodin, Constantin Brancusi, Alberto Giacometti und Alexander Calder. Er forderte König auf, für den Außenraum ein zeitgenössisches Pendant zu kuratieren. König, zu dem Zeitpunkt in New York, hatte schnell die US-amerikanischen Künstler im Boot – Carl André, Michael Asher, Donald Judd, Claes Oldenburg, Richard Serra – sowie den Briten Richard Long. Als deutsche Künstler wurden Joseph Beuys und Ulrich Rückriem eingeladen. Künstlerinnen konnte König immer noch keine finden. Wie so oft in den Jahren zuvor gab es keine großen Ambitionen, hier mehr Energie an den Tag zu legen.
1981 folgte in Köln mit „Westkunst: Zeitgenössische Kunst seit 1939“ eine ultimative Übersichtsausstellung von Ausstellungskommissar Kasper König, assistiert von Margarete Helleberg und Maja Oeri. Das 524 Seiten dicke Handbuch, ein kunsthistorisches Meisterwerk, hat Laszlo Glozer erarbeitet, der auch für die Auswahl der Künstler*innen mit zuständig war. Die Vorbereitung dauerte dreieinhalb Jahre und wurde von einem internationalen Beirat unterstützt. „Westkunst heute“ war ein Appendix in der Ausstellung für junge Künstler*innen wie Thomas Schütte, Jeff Wall, Isa Genzken und Franz West. Das Projekt wurde weit über die Grenzen Kölns hinaus wahrgenommen, auch und weil es heftige Kritik provozierte, und war sicherlich ein wichtiger Schritt für die aufstrebende internationale Kunststadt.
In Düsseldorf zog man nach, indem man König 1984 beauftragte, eine Ausstellung mit neuer Kunst zu veranstalten, um das Standing der Stadt im Kunstbetrieb zu verbessern. Der Schwerpunkt lag auf deutscher Kunst, Beuys lieferte den Titel „von hier aus“, seine Handschrift in grünem Neon wurde zum Logo. Die Ausstellung und deren Architektur war als Stadt inszeniert, über der ein großes Flugzeug von Thomas Bayrle im Anflug schwebte und deren Skyline ein Turm von Per Kirkeby prägte. Auch „von hier aus“ trug zum Erfolg einiger der ausgestellten 68er-Künstler*innen bei; die internationale Szene schaute auf das Rheinland. Martin Kippenberger war nicht in der Auswahl, doch irgendwie schaffte er es, mit Abwesenheitsnotizen aus der Schule im Katalog vertreten zu sein.
Wenn auch Werner Büttner und Albert Oehlen an „von hier aus“ teilnahmen, war der Komplex „Wahrheit ist Arbeit“ – eine von Zdenek Felix 1984 im Museum Folkwang kuratierte Ausstellung mit den beiden und Kippenberger sowie einem hervorragenden Katalog, unter anderem mit einem wichtigen Text von Diedrich Diederichsen – anscheinend nicht von großer Bedeutung für König. Stattdessen folgte er den jungen Positionen seines neuen Wirkungsfeldes als Professor für Öffentlichkeitsarbeit an der Kunstakademie in Düsseldorf und den Modellbildhauern, die in der Konrad Fischer Galerie ihre Heimat gefunden hatten.
1988 wurde König an die Städelschule in Frankfurt/M. berufen und gründete dort die Ausstellungshalle Portikus. Diese Orte und auch die Stadt selbst machte König zu einem Pulverfass für zeitgenössische Kunst, wie man es in der Bankenstadt vorher nicht gesehen hatte. Es folgten Jahre der Festanstellung und Konzentration auf die jeweilige Position.
König war auch Berater für Privatsammlungen und machte seinen großen Einfluss in vielen Fragen der Kunstwelt geltend. Dabei war er nicht zimperlich und kämpfte immer mit offenem Visier für seine Ansichten. Das brachte ihm nicht nur Freund*innen ein.
In Berlin eröffnete er ein eigenes Büro, in dem er nicht nur Postkarten collagierte, sondern aktiv bis zum Schluss am Kunstleben teilnahm.
Kasper König hatte die Kraft, nie aufzuhören. Er war ein Gigant. Wir vermissen ihn!
Servus Herr König!
Christian Nagel ist Galerist. 1990 eröffnete er die Galerie Christian Nagel in Köln, 2002 kam eine zweite Galerie in Berlin hinzu. Seit 2013 führt er die Galerie gemeinsam mit Saskia Draxler unter dem Namen Galerie Nagel Draxler in beiden Städten.
Image credit: Courtesy of Galerie Nagel Draxler