MEL RAMSDEN (1944–2024) Von Felix Vogel
Mel Ramsden hätte es gefallen, dass der Autor dieser Zeilen beim Schreiben über ihn Schwierigkeiten hat. Nicht aus Boshaftigkeit (die nun gar nicht seinem Naturell entsprach), sondern weil er sich der Tatsache sehr bewusst war, dass Dinge einfach kompliziert sind. Im Zweifel ging es Ramsden immer eher um eine Steigerung von Komplexität als um deren Reduktion. Der sprezzatura seiner Texte im eigenen Schreiben gerecht zu werden, scheint geradezu unmöglich. Eine weitere Schwierigkeit besteht schon darin, dass Ramsden fast ausschließlich in kollektiven Zusammenhängen arbeitete und damit individuelle Autor*innenschaft, die ja für das Genre des Nachrufs zentral ist, infrage stellte. Die Vorstellung eines aus sich selbst schöpfenden Künstlers oder einer aus sich selbst schöpfenden Künstlerin lehnte er grundsätzlich ab: „The idea of the artist as originator of all causal chains is offensive to me, for it produces a form of conceptual art as genetic property that can only have paranoia as its defense. It’s also a belligerent view of human beings as self-contained entities with ‚wills of their own‘.“
Viel wichtiger war Ramsden stattdessen die Etablierung eines dialogischen Modells sowohl mit anderen Künstler*innen als auch mit dem Publikum (wobei oft beides identisch war). Es verwundert daher nicht, dass zwei zentrale Aspekte seines Schaffens die Auseinandersetzung mit den grundlegenden Bedingungen von Kunst (oder Kunstobjekten) und die Frage nach der künstlerischen und politischen, respektive künstlerischen als politischen Praxis waren.
Mitte der 1960er Jahre begann Ramsden die Zusammenarbeit mit Ian Burn. Beide lernten sich 1962 im Kunststudium an der National Gallery School in Melbourne kennen, zogen im Jahr darauf nach London und 1967 schließlich nach New York. Das erste gemeinsame Werk Soft-Tap entstand zwar bereits 1966, wurde aber erst 1990 zum ersten Mal installiert. Es bestand aus einem knappen Wandtext und einem Kassettenrekorder, der ein vertontes, von Ramsden verfasstes Manuskript wiedergab. Die Lautstärke sollte so leise eingestellt sein, dass die Tonspur gerade noch hörbar ist. Über die Idee dahinter gab der Wandtext Auskunft: „This is quite intentional, so that any kind of variance (i.e., form the meaning of the words to the effect of the recorded sound) is due both to the physical position of the spectator and to the amount of attention he is prepared to give. […] ANY determining decisions a spectator makes when confronted with this piece are a part of the intent of the piece.“ [1]
Auch die Tonspur zeugt von einer gewissen Selbstreflexivität, wenn etwa behauptet wird, dass „the entire context of one’s work ought somehow to be made apparent. It seems that we are conscious of our art-works no longer ‚speaking for themselves‘, they are no longer (as nothing really is) self sufficient. We consider words, either spoken or written, to be a necessary part of our objects.“ Und schließlich: „In fact there does seem the possibility that an object may not possess any internal or external determination until perceived.“ Es geht hier weder um wahrnehmungspsychologische Fragen noch um eine vermeintliche „Kommentarbedürftigkeit“ der Kunst (diese Idee scheint geradezu lächerlich), sondern um die fundamentale Einsicht der Kontextabhängigkeit: Produktion und Rezeption sind nicht transparent oder lassen sich nicht ohne Verlust ineinander übersetzen; das Verhältnis ist instabil, fluide, ungenau und kontingent. Während die meisten textbasierten Werke früher konzeptueller Kunst Sprache benutzen, um etwas Abwesendes zu evozieren, wird hier mittels Sprache die Funktionsweise von Kunst selbst analysiert, allerdings auf eine Weise, die ihre Prekarität selbst ausstellt. Eine derartige Befragung der Ontologien des Kunstwerks, die zur Hauptbeschäftigung der nächsten knapp 60 Jahre von Art & Language werden sollte, war auch das wichtigste Thema der äußerst obskuren Society for Theoretical Art and Analysis (1969/70), die Ramsden gemeinsam mit Burn und Roger Cutforth gründete. Seine Zusammenarbeit mit Burn hielt bis 1977 an, ging aber zunehmend in der amerikanischen Fraktion von Art & Language (ALNY) auf. Neben der maßgeblichen Beteiligung an den Index-Arbeiten (ab 1972), die den Versuch darstellten, der umfangreichen idiosynkratischen Textproduktion von ALNY und der britischen Fraktion (ALUK, bestehend aus unter anderen Terry Atkinson, Michael Baldwin, Philip Pilkington, Paul Wood) eine Ordnungsstruktur in Form quasi-skulptural präsentierter Ablagesysteme zu geben, sowie der Beteiligung an zahlreichen Ausstellungen, einigen Beiträgen in der Zeitschrift Art-Language (oft gemeinsam mit Burn) war Ramsden in seiner New Yorker Zeit insbesondere für die kurzlebige Zeitschrift The Fox (1975/76) eine, wenn nicht die zentrale Stimme. Was in Soft-Tape und den drei unter dem Titel Proceedings veröffentlichten Texten (und einzigen Zeugnissen) der Society for Theoretical Art and Analysis noch auf kunstimmanente Kontextfragen bezogen war, verlagerte sich zunehmend auf Fragen des politischen Kontexts der Kunst. Ramsdens Aufsatz „On Practice“ in der ersten Ausgabe von The Fox, in dem zum ersten Mal überhaupt der Begriff „Institutional Critique“ fällt und in dem er genau eine solche zu begründen versuchte, ist dafür ein gutes Beispiel – und zeigt zugleich, dass er diese radikaler auslegte, als sie heute (vielfach) verstanden wird.
In „On Practice“ arbeitete er sich unter anderem an der Art Workers Coalition (AWC) und dem Scheitern des politischen Anspruchs der Conceptual Art ab. Für viele gilt die AWC noch heute als eine der wichtigsten politisch linken Gruppierungen im Kunstsektor, Ramsden warf ihr jedoch vor, keinen klar gefassten Begriff von Arbeit zu haben (für ihn kann ein solcher nur in materialistischer Auslegung Geltung beanspruchen) und am Ende einen marktförmigen Begriff von Kunst zu reproduzieren. Auch das Scheitern der Conceptual Art – genauer: deren rasche Einhegung in den Markt – sah er darin begründet, dass nicht grundsätzlich andere Praktiken und Institutionen entwickelt wurden: „So it seemed […] whereas the AWC had been disarmed by an essentially inadequate reform program, Conceptual Art might indeed be such a ‚revolution‘. It wasn’t#, and there were reasons. First of all it wasn’t even a contradiction because it was basically limited to insular-tautological spectacle. It wasn’t enough; it was a diversification, not a contradiction because this is the way the institutions make things work today.“ [2]
Ramsden verlangte, solche Paradoxien nicht auszublenden, sondern sie in das Werk selbst zu integrieren. Was letztlich die absolute Hinterfragung der Rolle der Institutionen bedeutet, der Bedingungen künstlerischer Produktion, der Ausbildung, insbesondere aber auch des Warencharakters von Kunst und dessen Distributionssystems – immer jedoch als etwas, das dem Kunstwerk nicht äußerlich bleiben darf. An diesen Widersprüchen ging letztlich auch ALNY zugrunde.
Nachdem das transatlantische Projekt Art & Language 1976 – je nach Zählweise ein Zusammenschluss von bis zu 30 Künstler*innen – implodierte, blieben nur noch Baldwin und Ramsden, der flugs nach England übersiedelte, übrig, ergänzt durch den Kunsthistoriker Charles Harrison und gelegentliche Kollaborationen mit der US-amerikanischen Band Red Krayola oder dem Freiburger Performanceprojekt Jackson Pollock Bar. In dieser neuen Konstellation erfolgte die Hinwendung zur Malerei. Oder besser gesagt: zu etwas, das so aussieht. Es wäre zu einfach, diesen Move als einen Rückschritt vor die Conceptual Art zu verstehen (die im Fall von Art & Language quasi ausschließlich textbasiert war), auch greift es zu kurz, Bilder wie Portrait of V.I. Lenin with Cap in the Style of Jackson Pollock (1980) lediglich als ironische Kommentare auf zwei vermeintlich miteinander unvereinbare politische und kunsthistorische Traditionen zu verstehen. Die Malereien knüpfen an frühe Werke Ramsdens an, etwa an die Serien Secret Painting (1967/68) oder 100% Abstract (1968), mit denen er das Verhältnis von Bildinhalt, dessen Beschreibung und dem, was auf dem Bildträger sichtbar ist, auslotete. Malerei ist bei Art & Language immer ihre Kommentierung im jeweils zeitgenössischen Funktionszusammenhang: Sei es das Lächerlich-Machen des männlichen Malereibooms der 1980er Jahre durch die Pinselführung im Mund in der mit dem Beititel painted by mouth gekennzeichneten Serie („It is difficult to be masculinely aggressive with your arse stuck in the air and a brush in your mouth.“) [3] oder das Zusammenschustern von bemalten Leinwänden (welche wiederum frühere Werke von Art & Language rekombinierten) zu Stühlen, die die Ubiquität von allen möglichen Möbeln als Kunst um 2000 ad absurdum führen. In der von Brüchen nicht gerade verschont gebliebenen sowie von einer konstanten Selbstbefragung und -historisierung der eigenen Praxis geprägten Geschichte von Art & Language stellt Ramsdens Tod den wohl größten Bruch dar. Obwohl das Projekt nun allein durch Baldwin fortgesetzt wird, möchte man Matthew Jesse Jacksons Statement – „Art & Language are fucking decent contemporary artists“ [4] – weder in den Singular noch in die Vergangenheit setzen.
Felix Vogel ist Professor für Kunst und Wissen an der Universität Kassel und Mitglied des documenta Instituts. Er arbeitet an einer Monografie über Art & Language.
Image credit: Portraitzeichnung vom Cover der Zeitschrift „Art-Language, Vol. 5 / No.1, 1982
Anmerkungen
[1] | „Michael Baldwin and Mel Ramsden on Art & Language“, in: Art & Text, 35, 1990, S. 23–37, hier: S. 25. |
[2] | Mel Ramsden, „On Practice“, in: The Fox, 1, 1975, S. 66–83, hier: S. 83. |
[3] | Art & Language, „Extracts from a conversation with Sanda Miller“, in: Artscribe, 47, 1984, S. 13–18, hier: S. 18. |
[4] | Matthew Jesse Jackson, „If You Were Art & Language, Then You’d Be A Fucking Decent Contemporary Artist“, in: Art & Language Uncompleted, Ausst.-Kat., MACBA, Barcelona 2014, S. 16–22. |