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EINLEITUNG ZUM POSTSKRIPTUM ZUR ANTI-ANTISEMITISMUS-AUSGABE VON „TEXTE ZUR KUNST“

Wir, das heißt die fünf Verantwortlichen für „Anti-Antisemitismus“, dem Septemberheft von Texte zur Kunst, sind uns der Anfecht- und Streitbarkeit dieser Ausgabe bewusst. Wie bereits aus dessen Vorwort hervorgeht, ist dieser Streit auch ein Streit unter uns. Doch in diesem Fall sind die Reaktionen auch unter einigen unserer Mitstreiter*innen und Kolleg*innen, vor allem auf die Beiträge zur Bewegung „Boycott, Divestment and Sanctions“ (BDS), so heftig ausgefallen, dass wir diesen Streit – in Form des Statements einer Gruppe des Beirats wie auch weiterer kritischer und konstruktiver Kommentare zum Heft – in den kommenden Wochen an dieser Stelle abbilden wollen.

Keine Texte zur Kunst-Ausgabe erhebt den Anspruch, das letzte zu Wort haben, sondern stellt vielmehr den Auftakt zu weiteren Diskussionen dar, die es unserer Meinung nach transparent zu machen gilt. Diskurs- und Urteilsbildung in Anspruch nehmend, sieht sich die Zeitschrift seit ihrer Gründung ihrerseits immer wieder mit Kritik konfrontiert. Insofern die vorliegende Ausgabe jedoch teilweise massive Reaktionen bis hin zur Ablehnung ausgelöst hat, veranlasst uns dies zu einer Stellungnahme. Zunächst gilt es, den Grundgedanken des Heftes nochmals präziser zu formulieren: Die Ausgabe sucht der Spezifik des Antisemitismus in seinen aktuellen rechten und linken Erscheinungsformen nachzugehen, und zwar sowohl in Bezug auf als auch in Abgrenzung zu kulturellen und ästhetischen Manifestationen von Rassismus. Auch wenn die Auseinandersetzung mit BDS aus aktuellem Anlass im Vordergrund steht, wird nicht behauptet, dass es sich hierbei um eine monolithische, in jeder ihrer – ja oft berechtigten – Forderungen antisemitische und daher zu boykottierende Bewegung handelt. Gegenstand der Analysen ist vielmehr deren in unseren Augen teils problematische Rhetorik, die Art und Weise etwa, wie Israel zum „kolonialen Bösen“ deklariert wird. Und nicht zuletzt gehen wir auch der Frage nach, weshalb diese Bewegung im Unterschied zu anderen globalen Menschenrechtsbewegungen in linken Zusammenhängen auf so viel Resonanz stößt.

Auch die Bedeutung der Postcolonial Studies wird von der vorliegenden Ausgabe keineswegs infrage gestellt. Im Gegenteil wird auf deren Errungenschaften und Leistungen hingewiesen, etwa mit Blick auf gegenwärtige Restitutionsdebatten, dekoloniale Herausforderungen in der Kunstvermittlung und in Bezug auf künstlerische Entwürfe kollektiven Erinnerns. Der Einwand mancher Texte bezieht sich auf die bisweilen zu beobachtende Subsumtion von Antisemitismus unter Rassismuskonzepte, die der ideologischen Spezifik antisemitischer Diskriminierung aus unserer Sicht nicht gerecht wird. Antisemitismus wird in der vorliegenden Ausgabe aber auch im Hinblick auf misogyne Konnotationen der Diskriminierung von Jüd*innen sowie auf antijudaistische Tendenzen in der jüngeren Geistesgeschichte analysiert. Im Rückgriff auf multiperspektivische und intersektionale Konzepte zieht das Heft zudem eine nicht identitäre Perspektive auf jüdische Kunst und Kultur ein. Es plädiert, wie in seinem Vorwort festgehalten, für eine Revision der eigenen theoretischen Prämissen und der in ihnen aufscheinenden blinden Flecken.

Um entstandene Missverständnisse auszuräumen, möchten wir an dieser Stelle wiederholt und nachdrücklich betonen, dass wir die rechtsautoritäre Politik Benjamin Netanjahus ebenso wie die menschenrechtsverletzende Politik Israels in den besetzten Gebieten und den diskriminierenden Umgang mit der palästinensisch-arabischen Bevölkerung ablehnen. Auch die Instrumentalisierung der Shoah, wie sie die nationalistische Rechte Israels mitunter betreibt, kritisieren wir. Saul Friedländer hat kürzlich den Double Bind beschrieben, mit dem er sich in seiner Arbeit als Historiker konfrontiert sieht: So wie er einerseits die Erinnerung an die Shoah um jeden Preis aufrechterhalten möchte, lehnt er doch zugleich den nationalistischen Gebrauch ab, den die Politik Netanjahus davon macht. Er benennt hier treffend eine der zahlreichen Aporien, mit denen auch wir uns, obwohl in einer anderen Situation als Friedländer, beim Nachdenken über Antisemitismus und seiner Kritik konfrontiert sahen und weiterhin sehen.

Der Fokus des Heftes liegt auf der historischen und gegenwärtigen Situation eines virulenten Antisemitismus, der von Deutschland aus, aber eben nicht nur in seiner deutschen Spezifik untersucht werden sollte. Dies führte uns zu der Frage, von welchem Standpunkt auf jüdische Kunst- und Kulturpraktiken reflektiert werden kann, was intern eine Auseinandersetzung um die Frage mangelnder Inklusivität auslöste. Wir bedauern es sehr, diesen Dissenz nicht schon im Heft berücksichtigt zu haben, und möchten ihm sowie den Reaktionen auf diese Ausgabe mit diesem Postskriptum umso mehr Raum geben. Kritik kam von außerhalb aber auch aus den eigenen Reihen – eine interne Debatte, die wir in Form eines Statements, verfasst von einigen Mitgliedern des Beirats, an dieser Stelle ebenfalls dokumentieren. Redaktion, Gastredaktion und ein Teil des Beirats haben sich hierzu gemeinsam entschieden.

Mit diesem „Postscriptum“ möchten wir sowohl den kritisch-ablehnenden als auch den abwägend-positiven respektive ambivalenten Heftlektüren ein Forum bieten. Dabei behalten wir uns vor, persönliche Angriffe auf einzelne Autor*innen sowie Versuche, deren Arbeit und Kompetenz öffentlich zu diffamieren, nicht zu publizieren.

Die Redaktion und Gastredaktion
Berlin, 24. September 2020