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HERMENEUTISCHER ZIRKEL: DER FALL #FREEBRITNEY Von Ekkehard Knörer

Samantha Stark, „Framing Britney Spears“, 2021, Videostill

Samantha Stark, „Framing Britney Spears“, 2021, Videostill

Seit 2008 steht Britney Spears unter der Vormundschaft ihres Vaters. Im Herbst 2019 erwirkte sie vor Gericht bereits die Niederlegung von dessen Verantwortung für ihr physisches Wohlergehen. Nun stimmte die Richterin des Verfahrens Britneys Antrag auf Anhörung zu und setzte diese für den 29. Juni fest. Ziel der Anhörung ist es, dem Vater in Zukunft auch die Aufsicht über Britneys ungeheures Vermögen zu entziehen. Der Vormundschaftsstreit hatte bereits Anfang Februar erneut Fahrt aufgenommen, nachdem ein von der „New York Times“ produzierter Dokumentarfilm über den Fall ausgestrahlt worden war und seither Rekordabrufe verbucht. Die Perspektive des Films ist mehr oder weniger die der Fan-Bewegung #FreeBritney, gesprochen wird im Namen des Stars. Dabei entsteht zuweilen der Eindruck, so Ekkehard Knörer, dass das als bevormundet beschriebene Subjekt Britney Spears, das sich in der Öffentlichkeit bislang kaum und jedenfalls nie frank und frei geäußert hat, nun erneut bevormundet wird – diesmal aber im Zeichen der Freiheit.

Framing Britney Spears, so der Titel einer aktuellen Dokumentation über Britney Spears, spielt bewusst mit dem Doppelsinn des Wortes „Framing“, also nicht nur „Framen“ im auch im Deutschen verwendeten Sinn einer spezifischen Rahmung, sondern auch, wenn nicht eher: „jemanden reinlegen“. Dass sie reingelegt worden ist, das ist eine Version der Geschichte von Spears, die Version, die die Fan-Bewegung #FreeBritney erzählt und mit der sich der Film durchaus gemein macht. Es ist zugleich die Version, in der der Vater des Superstars, James Spears, die Rolle des Bösewichts übernimmt, der sich die Vormundschaft über die Tochter (und vor allem über ihr ungeheures Vermögen) ergaunert; James Spears, Alkoholiker, als Vater lange Zeit kaum präsent, der recht plötzlich 2008, als die Tochter mehrfach öffentlich austickt, das Sorgerecht für die Kinder verliert und in die Psychiatrie eingeliefert wird, vor einem Gericht in Los Angeles erscheint und dem, gemeinsam mit seinem Anwalt, die Vormundschaft (engl.: conservatorship) für die Tochter übertragen wird, nämlich die Aufsicht über die Finanzen der Tochter, aber auch die Verantwortung für ihr physisches Wohlergehen; eine in aller Regel auf Dauer nur bei unzurechnungsfähigen, meist älteren, dementen Menschen eingesetzte juristische Verfügung.

The New York Times Presents heißt die Dokureihe, in deren Rahmen Samantha Starks Film für den Pay-TV-Sender FX (der zu Disney gehört) produziert worden ist. Es geht dabei stets um die Fortsetzung oder Verlängerung oder Vertiefung von aktuellem Schlagzeilenmaterial. Das Vorgängerformat hieß The Weekly, war kürzer; Stark hat dafür unter anderem eine Folge über eine 92-Jährige gedreht, die zum ersten Mal in ihrem Leben an einem Schönheitswettbewerb teilnimmt. Die einzelnen Folgen von The New York Times Presents, nun mehr oder minder spielfilmlang, werden monatlich produziert. Stark hat als feste Mitarbeiterin in der Videoabteilung der New York Times gearbeitet, die die Zeitung in Anpassung an den Medienwandel konsequent aufgebaut hat. Mit Dokumentarfilm im künstlerischen Sinn hat Framing Britney Spears allerdings nichts zu tun, kann und soll es auch nicht. Die Doku hat Gebrauchsfilm-Format, die Grenze zum Boulevard ist eher behauptet als im Ergebnis erkennbar. Die Behauptung, dass – wie die Regisseurin an einer Stelle erwähnt – ein großes Team von Rechercheur*innen und Anwält*innen im Hintergrund tätig war, glaubt man sofort. An der Lieblosigkeit und x-Beliebigkeit der Form ändert das nichts: Man sieht eifrig zusammengesammeltes Material in chronologischer Folge, Bewegtbilder, Fotos, Flug über Spears’ Herkunftsort Kentwood in Louisiana, Talking Heads im Garten, vor Wand, auf der Straße und so weiter.

Der Film positioniert sich nicht ausdrücklich zur #FreeBritney-Bewegung, sein eigenes Framing des Falls spricht allerdings Bände, und dies unter dem Banner der New York Times als Seriositätsmarker, verstärkt noch dadurch, dass der sehr ernstzunehmende Filmkritiker der Zeitung Wesley Morris und der New-York-Times-Reporter Joe Coscarelli als vermeintlich neutrale Kommentatoren ins Bild gerückt werden. Mehr als Sound Bites dürfen aber auch sie nicht liefern, sie stehen so als Feigenblatt für etwas, das der Film nicht in Ansätzen leisten will: die Analyse einer Industrie und von Strukturen nämlich, die komplexe Figuren wie den weiblichen Star, der Identifikationspotenzial, Agency, Kontrolle performen muss, erst hervorbringt. Britney Spears hat als ihre wichtigsten Vorbilder Madonna, Janet Jackson und Whitney Houston genannt. Sie kam zu Ruhm über die Kinderstarproduktion zu Zeiten, in denen am Markt vor allem Boygroups reüssierten. Spears verkörpert, als erfolgreichstes Produkt dieser Zeit, zugleich den Systemabsturz, der dann den sehr viel selbstbestimmteren Star-Modellen wie Lady Gaga und auch Taylor Swift den Boden bereiten half. Von all dem im Film jedoch keine Silbe: Er personalisiert, psychologisiert und verharmlost so das Problem.

Und er verteilt hier und grundsätzlich Sprechpositionen, ohne allerdings auf die Wahl und die Mittel zu reflektieren – und er muss damit leben, dass die wichtigsten Beteiligten (vor allem Britney und James Spears) jede Auskunft verweigern. Das Bildmaterial, von frühen Auftritten in zerfließenden VHS-Bildern, von Auftritten unter anderem in Las Vegas, aus Spears’ Instagram-Kanal; Paparazzi-Fotos, die berüchtigten Bilder, auf denen Spears sich die Haare komplett abrasiert, ist zitiertes, zuvor schon kurrentes, als neutral präsentiertes Material. Der Film rahmt sich die Geschichte, die er erzählt, ausdrücklich mit Aktionen und Auftritten der #FreeBritney-Aktivist*innen, die er dann in einem Selbstverstärkungs- und Rückkopplungseffekt erst recht noch einmal aktiviert: Die Bewegung hat nach der Ausstrahlung deutlich Zulauf bekommen.

Samantha Stark, „Framing Britney Spears“, 2021, Videostill

Samantha Stark, „Framing Britney Spears“, 2021, Videostill

So wenig ausdrücklich das Framing ist, so klar wird hier die Position des „Take Back Control“ affirmiert, die die #FreeBritney-Aktivist*innen lautstark vertreten. Nur wird es in diesem Fall gleich sehr kompliziert. Weniger, weil an einigen der Sprecher*innen deutlich wird, wie sehr sie eigene, interessanterweise auch queere Emanzipations- und Anerkennungskämpfe auf die Star-Figur projizieren. Das ist im Rahmen der sozialen Popstarfunktion nur zu normal. Problematischer ist die Stellvertretung, die Aneignung der Subjektposition, das Sprechen im Namen des Stars, das der Film ohne sichtbare Distanz, ja, ohne dieses stellvertretende Sprechen selbst noch einmal zu analysieren, übernimmt. Das als bevormundet beschriebene Subjekt, Britney Spears, das sich in der Öffentlichkeit kaum und jedenfalls nie frank und frei äußert, wird nun seinerseits bevormundet, aber im Namen und Zeichen der Freiheit. Die Frontstellung ist eine kategorial andere als beispielsweise in Taylor Swifts Kampf gegen die Platten- bzw. Musikrechteinvestoren-Industrie: Swift eignet sich im eigenen Namen, im Namen des emphatisch affirmierten Starsubjekts Taylor Swift, die verlorenen Rechte durch den Akt der möglichst identischen Wiederholung, also der Form nach einer geradezu klassischen re-appropiation, wieder an. Soeben hat sie (nicht als #FreeTaylor, sondern als „Taylors Version“) ihr erstes Album komplett neu eingespielt, um die erste Version, an der sie keine Urheberinnenrechte mehr hat, durch Ersetzung vom Markt zu fegen. Mit Erfolg: Die kopierte Wiederaufnahme landete sogleich auf Platz eins der US-Charts.

Das sind klare Fronten, mit dem Kampf des Stars gegen die Industrie kann sich der Fan durch den Erwerb von „Taylors Version“ leicht identifizieren. Im Fall von Britney Spears liegt die Sache komplizierter, denn keiner weiß, ob der Star überhaupt befreit werden möchte. Es bedarf darum der durchaus schwerwiegenden Unterstellung, sie würde sich im eigenen Namen gegen die Vormundschaft äußern, wenn sie nur dürfte. Nur dass sie es leider nicht (wirklich) tut. Das ist schwierig, denn müsste man annehmen, sie sei dazu von sich aus nicht in der Lage, wäre sie genau das geschwächte und gefährdete Subjekt, als das sie von den Verteidigern der Vormundschaft dargestellt wird. Um nun ihrerseits das Gefangenschaftsnarrativ zu belegen, operieren die #FreeBritney-Aktivist*innen am Rande einer verschwörungstheoretischen Hermeneutik: Sie scannen die Instagram-Bilder des Stars – und näher als über diese Repräsentation von Intimität kommen sie an den Star nicht heran – auf versteckte Botschaften, die als Kassiber einer in der Vormundschaft Gefangenen lesbar sein könnten. Was hat es mit dem roten Kühlschrank auf sich, dessen Foto sie postet? Das ist so sinnlos, dass es etwas damit auf sich haben muss. (Botschaft Fan an Britney: „PLEASE WEAR A RED DRESS IN YOUR NEXT POST IF YOU ARENT OKAY!!“)

Samantha Stark, „Framing Britney Spears“, 2021, Videostill

Samantha Stark, „Framing Britney Spears“, 2021, Videostill

Der Film bleibt zu diesem hochspekulativen Graubereich des mehrfachen Instagram-Bild-oder-Schriftsinns höchstens auf Halbdistanz. Sein investigativer Impetus stößt auf die vertrauten Mauern des Schweigens: Gerichte, der Vater, Britney Spears selbst – niemand will sich öffentlich äußern. So unterlegt er seiner Britney-Geschichte den Selbstkontrolldiskurs als Schema, aber das erweist sich von Anfang an als schwierig, weil schon der Beginn von Britney Spears’ Karriere als Kinderstar in The Mickey Mouse Club nur unter Begleitung und Aufsicht der Mutter stattfinden konnte; bald darauf, mit dem ersten Plattenvertrag, kam, an der Seite und in Vertretung der Mutter, als Aufsichtsperson die mütterliche Freundin Felicia Culotta dazu, die im Film ausführlich zu Wort kommt – und unter nicht ganz klaren Umständen 2007 (also recht unmittelbar vor Spears’ öffentlichen Zusammenbrüchen) den inneren Zirkel um den Star verließ. Regisseurin Stark forciert diesen nicht wegzudiskutierenden Assistenzfiguren zum Trotz Autonomiebehauptungen: Britney selbst spricht in einem Clip aus der Zeit ihrer größten Erfolge von dem Wunsch, „to take it all in my hands“. Einer ihrer Tänzer bestätigt: „She was the boss.“ Die Rolle der Industrie, von Produzenten, Plattenfirma etc. kommt nicht vor, stattdessen wird die schmutzige Wäsche von einst (die Männer: Justin Timberlake, Kevin Federline; die Autofahrt mit dem kleinen Kind auf dem Schoß; die Kopfhaarrasur) noch einmal gewaschen, wobei vor allem die sehr undurchsichtige Figur des Sam Lutfi wichtig ist, der im Krisenjahr 2008 als eine Art Manager des Stars zu agieren begann und dem die Eltern unterstellen: „He had taken control of her life, her finances.“ Lutfi, gegen den noch 2019 eine weitere „restraining order“ erlassen wurde, wäre durchaus als Erbschleicher-Figur lesbar, was allerdings die Vormundschaft wieder plausibilisieren würde. Der Film bleibt da, vielleicht deshalb, lieber raunend diffus.

Wie immer kritisch man #FreeBritney, die impliziten Unterstellungen und auch den in mancher Hinsicht unseriösen Film sehen will: Framing Britney Spears hat über alles Erwarten performt. Sky in UK verkündet Rekordabrufe, auch Britney Spears hat auf ihrem Instagram-Account reagiert: „I was embarrassed by the light they put me in … I cried for two weeks and well … I still cry sometimes!!!!“ Für die #FreeBritney-Aktivist*innen eher eine Bestätigung des Verdachts, dass ihr Star in Wahrheit nicht die Kontrolle über diesen derzeit einzigen Kanal zur Öffentlichkeit hat. Zuletzt sah man sie hier vor allem, meist sehr leicht bekleidet, in Solotanz-Performances im heimischen Wohnzimmer Kreise drehen. Das kann man als Hospitalismussyndrom oder gleich allegorisch als getanzten Zirkel hermeneutischer Unterstellungen verstehen: Befreit? Der Befreiung bedürftig? Oder einfach nur: Miss Bad Media Karma? Weiterhin deutungsoffen. So viel steht fest.

Ekkehard Knörer, geb. 1971, Mitherausgeber der Zeitschriften Merkur und Cargo , schreibt über Film, Literatur, Theater für die taz und andere Medien.

Image credit: 1. und 3. ©️ Felicia Culotta; 2. © The New York Time Company