CLAUDE MONET, ELIZA DOUGLAS, RAINALD GOETZ Seen & Read – von Isabelle Graw
Claude Monets bewegte Biografie, sein künstlerisches Wirken und soziales Milieu, neu beleuchtet von Jackie Wullschläger; Eliza Douglas’ „Schleifenbilder“, die gerade bei Contemporary Fine Arts in Berlin ausgestellt sind; Rainald Goetz’ Altersmilde und Anmerkungen zu #MeToo in Ausschnitten seines „Arbeitsjournals“, nun vom Merkur veröffentlicht. – Als Auswahl der Dinge auf ihrem Radar bespricht Isabelle Graw diese drei in einer neuen Runde von „Seen & Read“.
Jackie Wullschläger, Monet: The Restless Vision
Claude Monets Leben und Werk werden in diesem Buch unter Einbeziehung von Sozial-, Kultur- und Rezeptionsgeschichte packend erzählt. Auch detaillierte Bildbeschreibungen kommen nicht zu kurz: Wullschläger analysiert nicht nur, was auf Monets Bildern passiert, sondern vermittelt zudem, worin der malerische Einsatz der Bilder besteht. Dass Monet und Édouard Manet trotz ihres Konkurrenzverhältnisses miteinander befreundet waren, wird ebenfalls thematisiert. Wullschläger zeichnet Monet als einen eng mit seinem Milieu verwobenen Künstler, dessen Projekt ohne Mitstreiter*innen, wie dem früh verstorbenen Frédéric Bazille und später Pierre-Auguste Renoir, anders ausgesehen hätte. Monets Haltung war zudem entscheidend für die Ablösung des akademischen Salons durch das „dealer-critic“-System (Cynthia White / Harrison White): Nach zahlreichen vergeblichen Bewerbungen beschloss er, seine Bilder nicht mehr beim Salon einzureichen. Stattdessen organisierte er unabhängige Ausstellungen mit Kolleg*innen und begann die Zusammenarbeit mit dem Kunsthändler Paul Durand-Ruel. Dass Monet lange Zeit bitterarm war und regelmäßig demütigende Bittbriefe in alle Richtungen schrieb, zieht sich wie ein roter Faden durch Wullschlägers Bericht. Auch sein Privatleben charakterisiert sie als von Turbulenzen gezeichnet: Seine erste Frau Camille Doncieux, deren modische Selbstinszenierungen für sein Frühwerk wesentlich waren, starb qualvoll in jungem Alter. Monets neue Gefährtin Alice Hoschedé zog zwar seine Kinder mit auf, war aber offiziell mit seinem ehemaligen Mäzen Ernest Hoschedé verheiratet. Wie sich die Wirtschaftskrisen des späten 19. Jahrhunderts auf die Kunstverkäufe der Impressionist*innen auswirkten, wird im Buch ebenfalls ausgeführt. Auch bei den Bildern Monets kam es regelmäßig zu Preisabstürzen und verheerenden Ergebnissen bei Versteigerungen, was aus heutiger Sicht angesichts von stabil hohen Preisen erstaunlich wirkt.
Penguin / Allen Lane, 2023, 576 Seiten.
„Eliza Douglas: Gift“
Der Ausstellungstitel „Gift“ ist hier programmatisch zu verstehen. Mithilfe von visuell dominanten Schleifen hat Douglas ihre zumeist fotorealistischen Gemälde wie Geschenke verpackt. Jede Schleife ist farblich auf die Farbtöne ihres Bildmotivs abgestimmt – passend zu den flaschengrünen Haaren der Figur in Sapphire Eyes (2024) kommt beispielsweise eine hellgrüne Schleife zum Einsatz. Neben Close-ups von Gesichtern mit weit aufgerissenen Mündern, die entfernt an die in der Kunstwelt eigentlich verpönte Ästhetik Gottfried Helnweins erinnern, trifft man auf Seestücke oder Landschaften, so etwa auf das Motiv eines blühenden Feldes in Blossoms & Blossoms (2024), das eine Schleife mit Dollarzeichen „trägt“. Auch das Genre der Tiermalerei wird bedient, und zwar in Form einer weißen Katze (mit rosa Schleife) oder einer Kuh (mit Polkadot-Schleife). Die aus steifem Textil bestehenden und zum Teil von Balenciaga hergestellten Schleifen haben eine doppelte Funktion: Sie verdecken den Bildgegenstand in demselben Maße, wie sie ihn schmücken; verhindern die unverstellte Wahrnehmung der fotorealistischen Motive und lassen keinen Zweifel an der Warenform des gemalten Bildes. Die Trope der Schleife kommuniziert zudem mit den „Bows“ aus Jeff Koons Serie Celebration. Auch in Jutta Koethers Werk zirkuliert die Schleife als malerische Trope. Doch indem Douglas ihre Bilder zum „Gift“, zur Gabe, erklärt, legt sie den Akzent weniger auf das „Décor“-Moment der Schleife als auf die ökonomischen Tauschbeziehungen, in die ihre Bilder eingelassen sind. Zuletzt noch ein Wort zum Herstellungsprozess dieser Bilder: Ihre Gegenstände wurden mithilfe von KI generiert. Vergleichbar einem Fluxus-Score beauftragte die Künstlerin KI mit bestimmten Motiven, die sie anschließend in fotorealistische Malerei übersetzen ließ. Die Arbeit wurde also gleich doppelt delegiert, weshalb die sprachlichen Anweisungen der Künstlerin in diesen Bildern latent mitschwingen.
Contemporary Fine Arts, Berlin, 26. April bis 1. Juni 2024.
Rainald Goetz, „Moral Mazes 24. Arbeitsjournal“
Im Merkur wurde kürzlich ein Ausschnitt des „Arbeitsjournals“ von Rainald Goetz aus dem Jahr 2019 veröffentlicht. Prompt stürzten sich einige Journalist*innen des deutschen Feuilletons darauf. Man las seine sprachlich elegant geschriebenen Notizen in erster Linie als Abrechnung mit seinem verstorbenen Mentor Michael Rutschky, von dessen Tagebüchern sich Goetz verraten fühlt. Aus meiner Sicht bedenkenswert sind jedoch vor allem seine Überlegungen zum autobiografischen Schreiben, denn sein Credo lautet diesbezüglich: „Nicht schlecht über andere reden. Nicht bösartig scharf beobachten. Nicht zu viel über sich selbst nachdenken.“ Hätte Marcel Proust diese Maxime von Goetz verinnerlicht, dann wäre seine Recherche weniger radikal ausgefallen. Doch für Goetz ist „Güte […] wichtiger als Radikalität“. Zwar stimme ich ihm dahingehend zu, dass man andere in seinen Texten möglichst nicht kränken und auch dem Hang zu Bitterkeit und Ressentiment – im Alter besonders verbreitet – nicht nachgeben sollte. Aber seine Forderung, nicht mehr „bösartig scharf“ zu beobachten, finde ich fragwürdig. Gerade weil Proust oder Honoré de Balzac und nach ihnen Annie Ernaux oder Virginie Despentes so scharf und manchmal auch bösartig beobachten, können sie die Gewalt der kapitalistischen Gesellschaft aufzeigen. Und bei Goetz’ Ablehnung des Projekts des Über-sich-selbst-Nachdenkens scheint es sich mir ganz klassisch um Widerstand im psychoanalytischen Sinne zu handeln: Bloß nicht in die eigenen Abgründe schauen! Doch warum eigentlich nicht? Hat nicht Franz Kafka gezeigt, dass gerade das Eintauchen in diese Abgründe – so etwa in seine Angstzustände – gute Literatur hervorbringen kann? Im Feuilleton wurde mit Erstaunen registriert, dass sich Goetz in seinen Notizen für die #MeToo-Bewegung begeistert. Tatsächlich schwärmt er von der „Hysterie“ dieser Bewegung und erklärt, dass man sich der „Herrschaft der Hysterie“ verschreiben müsse, da die Macht eine „leisere Sprache“ nicht verstehe. Es ist schon verrückt und auch ein bisschen perfide, wie hier ein heterosexueller Mann die #MeToo-Bewegung ausgerechnet für ihre „Hysterie“ lobt – also jene misogyne Zuschreibung mobilisiert, mit der Frauen seit jeher abgewertet und pathologisiert werden. Dass Goetz für #MeToo schwärmt, ist auch angesichts seines mehrheitlich männlichen Kosmos paradox: Mit Ausnahme von Hanna Engelmeier, die er lobt, sind die Fixsterne an seinem Himmel nach wie vor ausschließlich Männer.
Merkur, Nr. 900, 5, Mai 2024.
Isabelle Graw ist Herausgeberin von TEXTE ZUR KUNST und lehrt Kunstgeschichte und Kunsttheorie an der Hochschule für Bildende Künste – Städelschule in Frankfurt/M. Ihre jüngsten Publikationen sind: In einer anderen Welt: Notizen 2014–2017 (DCV, 2020), Three Cases of Value Reflection: Ponge, Whitten, Banksy (Sternberg Press, 2021) und Vom Nutzen der Freundschaft (Spector Books, 2022).
Image credit: 1. Photo Rob Kulisek; 2. Public domain; 3. Courtesy of Contemporary Fine Arts, photo Nick Ash; 4. Public domain