ELIZABETH CATLETT, MARCELLO MIO, VIEUX Seen & Read – von Isabelle Graw
Im MMK Tower war bis vor wenigen Tagen die eindrucksvoll inszenierte Präsentation des grafischen und skulpturalen Werks von Elizabeth Catlett zu sehen. In Christophe Honorés Film Marcello Mio spielen Catherine Deneuve und ihre Tochter Chiara Mastroianni sich selbst und reinszenieren dabei reale sowie fiktionalisierte Episoden ihrer eignen Familiengeschichte, die vom Verlust von Chiaras berühmtem Vater geprägt ist. Ein neues Magazin des französischen Journalisten Antoine de Caunes widmet sich einem von der Lifestylepresse sonst allzu gern ausgesparten Thema: dem Alter. Isabelle Graw hat all dies gesehen, gelesen und in Kurzrezensionen beurteilt.
„ELIZABETH CATLETT“
Diese Ausstellung überzeugt schon auf der Ebene ihrer Inszenierung. Einmal mehr wird im MMK Tower mit verschiedenfarbigen Wänden gearbeitet, die der eingängigen Bildsprache von Elizabeth Catletts grafischem und skulpturalem Werk die passende Rahmung verleihen. Dies bewirkt, dass die intensive, vignettenhafte und gesellschaftskritische Rhetorik der Schwarzen Künstlerin noch besser zur Geltung kommt. Die in Ocker- oder Blautönen gehaltenen Räume stellen eine meditative Atmosphäre her, in der sich die in Catletts imposanten Drucken und Objekten verhandelte soziale Wirklichkeit konzentriert betrachten lässt. Es gelingt der Künstlerin immer wieder, zum Beispiel mit Arbeiten wie I Am The Black Woman (1946/47), politischen Inhalt und künstlerische Form als etwas unmittelbar miteinander korrespondierendes darzustellen. So sehr sich ihre Porträts inhaltlich auch als eine Hommage an das Leben von Schwarzen Frauen und deren antirassistische Kämpfe lesen lassen, weisen sie zugleich durchgängig bestimmte formalästhetische Kennzeichen auf, so etwa dicht gesetzte Schraffuren, die die Gesichter plastisch wirken lassen; starke Schwarz-Weiß-Kontraste, die Pathos erzeugen; sowie codierte Gesten wie den erhobenen Zeigefinger in dem Porträt von Sojourner Truth (1947). Einige von Catletts Figuren treten uns dank dieser Bildrhetorik wie Überlebende entgegen: Ihre ungeheure Präsenz macht sie sogleich unvergesslich. Auch Catletts Arbeiten zum Mutter-Kind-Thema sind an Intensität kaum zu übertreffen, da sie das Verhältnis von Mutter und Kind (vor allem in den Skulpturen) wie eine Fusion zeichnen: Ihre Körper sind untrennbar miteinander verschlungen. Doch indem Catlett die materielle Form dieser Arbeiten sichtbar intensiv bearbeitet hat, wird eine Brücke zu den Urszenen modernistischer Skulptur geschlagen. Man fühlt sich unweigerlich an die biomorphe Formensprache von Künstlern wie Constantin Brâncuși oder Henry Moore erinnert. Wie stark sich politisierte Kontexte auf Catletts Themen und Verfahren ausgewirkt haben, ist ihren im Rahmen der Werkstatt für volkstümliche Grafik in Mexiko, „Taller de Gráfica Popular“, produzierten Drucken abzulesen. In letzteren thematisiert sie die Lebensumstände der mexikanischen Bevölkerung. Aber auch hier findet sich die für Catlett charakteristische souveräne und eindringliche Linienführung.
MMK Tower, Frankfurt/M., 18. November 2023 bis 16. Juni 2024.
CHRISTOPHE HONORÉ, MARCELLO MIO
An diesem Film begeistert eigentlich nur die Performance seiner Schauspieler*innen. Catherine Deneuve spielt sich selbst als Mutter von Chiara Mastroianni, ihrer Tochter aus der Beziehung mit Marcello Mastroianni. Diese Tochter, die sich ebenfalls selbst spielt, steht im Zentrum des Geschehens und sehnt sich nach ihrem verstorbenen Vater. In einer Szene betritt Deneuve die Wohnung ihrer Tochter in Birkenstocks – ein ungewohnter Anblick, zumal man sie sonst meist in Pumps sieht. Der herrliche Fabrice Luchini tritt wie schon in Éric Rohmers Filmen der 1980er Jahre in der Rolle des schmeichelnden Frauenverstehers auf. Er sucht die Nähe zu Chiara Mastroianni vor allem aufgrund des Celebrity-Status ihrer Eltern. Sie hingegen leidet darunter, aus einer Schauspieler*innen-Dynastie zu stammen und stets auf diese reduziert zu werden. Sie vermisst ihren Vater und will ihm näherkommen, indem sie mithilfe von Kurzhaarschnitt, Anzug und Schnurrbart in seine Haut zu schlüpfen versucht. In dieser Aufmachung sieht sie Marcello Mastroianni tatsächlich verblüffend ähnlich. Der Rest ist leider Klamotte – Chiara mutiert zu Marcello, fliegt nach Rom und sammelt wie dieser zu seinen Lebzeiten streunende Hunde auf. Genaueres über dieses Vater-Tochter-Verhältnis erfährt man jedoch nicht. Auch die psychischen Folgen, die aus einem abwesenden Vater resultieren, bleiben ausgeblendet. Dafür kann man sich am großartigen Schauspiel von Deneuve und Luchini erfreuen – allein deshalb lohnt sich der Film.
Frankreich/Italien, 2024.
VIEUX – LE MAGAZINE QU‘ON FINIRA TOUS PAR LIRE
Der Journalist Antoine de Caunes, Anfang 70 und gut vernetzt innerhalb des Pariser Kulturlebens, hat ein neues Magazin mit dem programmatischen Titel „Vieux“ (dt. Alt) gegründet. In dessen Untertitel wird selbstbewusst verkündet, dass wir diese Zeitschrift alle irgendwann lesen werden. Denn unser Altwerden sei unausweichlich, so lautet die schlichte Botschaft. Da die Boomer-Generation allmählich in Rente geht, bedarf es augenscheinlich eines Produkts, das auf diese Leser*innenschaft abzielt. Das Layout von Vieux wirkt entsprechend etwas altbacken, zumal auf fotografische Abbildungen durchgehend verzichtet wird. Stattdessen trifft man auf gezeichnete Illustrationen, so etwa in Form von Porträts der interviewten Personen, die alle über 60 sind. Möchte man seinen Leser*innen durch den Verzicht auf Fotos keine Falten zumuten, oder geht es darum, ihre Vorstellungskraft zu beflügeln? Die Stimme des Magazins ist mehrheitlich männlich, was auch daran liegt, dass der Herausgeber die meisten Interviews selbst und vor allem mit seinen Geschlechtsgenossen führt. Dem Gespräch mit dem Schauspieler Daniel Auteuil ist zu entnehmen, dass er mit 72 noch viel vorhat und so lange wie möglich leben will, um sein jüngstes Kind – jetzt im Teenageralter – zu begleiten. Was man in diesen und anderen Gesprächen über das Altern erfährt, sind zumeist Binsenweisheiten: Auteuil zufolge muss man sich im Alter vor Treppen hüten und den Zustand seiner Arterien tunlichst ignorieren. Eine Kardiologin namens Véronique Fournier, die eine Art Thinktank für Altersfragen gegründet hat, berichtet über die gegenderte Dimension des Älterwerdens: Während sich ältere heterosexuelle Männer gar nicht „alt“ fühlten und die Zuschreibung deshalb ablehnten, nähmen Frauen, die aufgrund ihres Alters ohnehin stigmatisiert würden, diese Kategorisierung bereitwilliger auf sich. Ein weiterer Beitrag versammelt die Zeichen, an denen sich erkennen lässt, dass man alt ist: Wenn man sich nicht mehr in die pralle Sonne legt, einen Badeanzug statt Bikini trägt oder mit Sodbrennen zu kämpfen hat. Vive la vieillesse!
Erste Ausgabe: 29. Mai 2024.
Isabelle Graw ist Herausgeberin von TEXTE ZUR KUNST und lehrt Kunstgeschichte und Kunsttheorie an der Hochschule für Bildende Künste – Städelschule in Frankfurt/M. Ihre jüngsten Publikationen sind: In einer anderen Welt: Notizen 2014–2017 (DCV, 2020), Three Cases of Value Reflection: Ponge, Whitten, Banksy (Sternberg Press, 2021) und Vom Nutzen der Freundschaft (Spector Books, 2022).
Image credit: 1. Photo Rob Kulisek; 2. © Elizabeth Catlett Family Trust / VG Bild-Kunst, Bonn 2024, photo Frank Sperling; 3. Photo © Jean Louis Fernandez; 4. © CMI France