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SICHERE RÄUME, SACKGASSEN UND DIE GHETTOISIERUNG DER GERECHTIGKEIT Von Michaela Dudley

Die Autorin mit ihrem Buch „Race Relations“

Die Autorin mit ihrem Buch „Race Relations“

Jedes Jahr werden weitere trans* Personen Opfer von Gewalt. Mit ihrem Beitrag zu unserer Kolumne „Current Attractions“ ergänzt Michaela Dudley die „Trans Perspectives“ der aktuellen Ausgabe und plädiert dafür, dass endlich auch die Würde von trans* Menschen unantastbar wird – ohne dass dabei neue Formen der Marginalisierung entstehen: Safe Spaces sollten nicht als Endstation auf dem Weg in ein sicheres Leben verstanden werden. Sie bieten vielmehr als Warteräume Schutz vor einem feindlichen Klima, bis die Gesellschaft endlich über ihren transphoben Schatten gesprungen ist. Wie als Kabarettistin auf der Bühne entlockt Dudley auch als Autorin ihrem Publikum noch da ein Schmunzeln, wo es eigentlich nichts mehr zu lachen gibt.

Vorab eine Offenbarung: „Ich bin eine Frau ohne Menstruationshintergrund, aber mit Herzblut, in der Regel.“ So lautet mein Kabarettlied, und so lebe ich im Alltag. Nämlich als trans* Frau mit Leib und Seele. Eine Schwarze dazu. Ja, nicht lediglich auf der Kleinkunstbühne. Es ist also mehr als eine Rolle. Es ist auch mehr als ein Ritus, den ich am 31. März zum Internationalen Tag für die Sichtbarkeit von trans* Personen zelebriere. Es ist eine Realität, die ich 24/7/365 lebe. Eine Realität, die in der Mainstreamgesellschaft durchaus mit Risiken und Nebenwirkungen verbunden ist. Wir werden da draußen nämlich als Faszinationsobjekte begafft, als Freaks begutachtet und als Feindbilder bedrängt. Denn, wie ein weiteres Lied aus meiner Feder lamentiert: „Die Würde des Menschen ist unten antastbar.“

Im Zeitraum zwischen Anfang Oktober 2021 und Ende September 2022 wurden laut dem Projekt Trans Murder Monitoring (TMM) 327 trans* und genderfluide Menschen weltweit ermordet. Etwa 95 Prozent der Ermordeten waren trans* Frauen, etwa 65 Prozent Persons of Color, und mehr als 35 Prozent der in Europa ermordeten trans* Personen waren Migrant*innen. Auch trans* Männer fallen dem Hass zum Opfer, wie der Fall Malte C. beweist. Malte, der Held, der im August 2022 in Münster Zivilcourage zeigte, musste sein Leben bereits mit 25 Jahren lassen, weil er bedrohte Lesben schützen wollte. Jenes Gewaltverbrechen, das zu seinem Tode führte, ereignete sich auf offener Straße, am helllichten Tag und ausgerechnet am Christopher Street Day. Der Totschläger wurde lediglich zu fünf Jahren Haft verurteilt, was als Schlag ins Gesicht der queeren Community überhaupt zu bewerten ist.

Um unserer Toten, die durch Transfeindlichkeit das Zeitliche segnen, gebührend zu gedenken, feiern wir jährlich den Transgender Day of Remembrance (TDOR). Er findet stets am 20. November statt und ist auf die Bemühungen der amerikanischen trans* Aktivistin Gwendolyn Ann Smith zurückzuführen. Die Aktion begann als eine Art Mahnwache zu Ehren von Rita Hester, die 1998 in Boston ermordet wurde. Rita, eine afroamerikanische trans* Frau und Performerin, war kurz vor ihrem 35. Geburtstag erstochen worden – und das geschah drei Jahre, nachdem ein Täter die Schwarze trans* Frau Chanelle Pickett erwürgt hatte, ebenfalls in Boston. Chanelle war erst 23 Jahre alt. Posthum wurde sie noch einmal zum Opfer; der geständige Täter berief sich mit Erfolg auf die „Trans-Panik-Verteidigung“, weil er vor seinem ersehnten Liebestreffen mit Chanelle nichts von ihrer Transsexualität gewusst habe. So wurde er lediglich wegen Körperverletzung verurteilt und musste nur knapp zwei Jahre im Gefängnis verbringen.

Erfahrungen mit Transfeindlichkeit habe ich nolens volens auch am eigenen Leib gesammelt. Vor rund fünf Jahren bin ich in einer belebten Kölner Fußgängerzone von vier transfeindlichen Jungs überfallen worden. Begrapscht, beleidigt, beklaut. Anders als zwei Tage zuvor auf dem CSD war ich diesmal nicht als Domina mit Peitsche unterwegs, sondern als Business Lady mit Regenschirm. Die vielen Passant*innen schauten beim Angriff jedenfalls nicht weg, sondern tatenlos zu. Ich schrie vergeblich um Hilfe und wehrte mich behelfsmäßig mit dem Schirm. Dann lief ich den Angreifern minutenlang hinterher. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die testosteronstarken Täter – Wortspiel hin, Wortspiel her – in eine Sackgasse gerieten. Als das Blaulicht heranrückte, ergaben sich die vier ohne Widerstand. Drei von ihnen wurden Monate später zu Jugendstrafen verurteilt.

Auch in Berlin wurde ich unter anderem aus transfeindlichen Beweggründen tätlich angegriffen. Die Polizei und die Justiz handelten vorbildlich, wie in NRW. So weit, so gut. Allerdings fällt es auf, dass Städte, die sich weltoffen schimpfen, wie die Metropolen an der Spree und am Rhein, nicht vor antiqueeren Straftaten gefeit sind. Mehr als die Hälfte der 2022 in Berlin angezeigten Delikte sind Beleidigungen, aber der Anteil an Körperverletzungen stieg bis auf nahezu 25 Prozent. Dass mehr Straftaten erfasst werden, hängt bestimmt mit einer erhöhten Anzeigebereitschaft zusammen. Die Statistik ist trotzdem besorgniserregend.

Safe Spaces gefällig? Oder Safe Spaces gefährlich? Beides stimmt. Es ist wunderbar und wichtig, dass Schutzräume für unsere physische und psychische Unversehrtheit eingerichtet werden. Aber Zufluchtsstätten allein bilden keine Zukunftsstrategie. Wenn man sich damit abfindet, die Gerechtigkeit hier und da zu ghettoisieren, werden Gefährdete zu Gefangenen. Das Konzept der sicheren Plätze muss also auf die gesamte Gesellschaft ausgeweitet werden.

Zu viel verlangt? Eigentlich wollen wir keine Sonderrechte, sondern Rechte. Dafür aber muss zunächst das strukturelle Unrecht gegen uns behoben werden. So ist es notwendig, das seit 1981 geltende, menschenverachtende Transsexuellengesetz (TSG) endlich zu kippen und durch das Selbstbestimmungsgesetz zu ersetzen. Letzteres ist nicht als Allheilmittel, sondern als kleiner Schritt in Richtung Würde zu betrachten. Es hätte das Potenzial, als rechtlich verankerte Kampfansage an alle zu fungieren, die mittels Halbwahrheiten und Hetze versuchen, unser Existenzrecht laufend infrage zu stellen. Unsere Gegnerinnen und Gegner bilden eine unheilige Allianz, die sich aus religiösen Fundamentalistinnen und Fundamentalisten, Neonazis, der unfreiwillig abstinenten „Inceligentsia“, wie meine Wenigkeit sie zu nennen pflegt, und nicht zuletzt den TERFs bei Bedarf zusammensetzt.

TERFs, kurz für „Trans Exclusionary Radical Feminists“, bilden zwar eine kleine Minderheit, aber sie treten laut und aggressiv in Erscheinung. Überdies können sie sich auf einige hochprofilierte Fürsprecherinnen verlassen, wie eine Hexendichterin aus Hogwarts und eine Ikone aus dem Tante-Emma-Laden. Gemäß dem Drehbuch der Demagog*innen verraten sie ihre Verdrängungsängste. Hier geht es speziell um die angebliche „Überfremdung“ traditionell weiblicher Bereiche von Damentoiletten bis hin zu Frauenschutzhäusern durch trans* Frauen, obwohl trans* Personen (Frauen sowie Männer mitsamt nonbinären Personen) schätzungsweise nur zwei bis fünf Prozent der Weltbevölkerung ausmachen. Propaganda und Pseudowissenschaft zwecks Panikmache.

Im Volksmund heißt es so schön, man solle über seinen eigenen Schatten springen. Die Redewendung bringt wohl die Erkenntnis zum Ausdruck, dass einige Handlungen im Leben scheinbar unmöglich sind. In der trans* Community bemächtigt sich unser immer wieder das Gefühl, über den eigenen Schatten springen zu müssen, und zwar auch jenseits der Scheinwerfer und Straßenlaternen. Solch ein Bravourstück in Finsternis zu absolvieren, würde in der Tat die Quadratur des Kreises bedeuten. Zum einen gibt es ohne Licht keinen Schatten, zum anderen ist es selbst mit entsprechender Beleuchtung unmöglich, sich von der eigenen Silhouette physisch loszulösen. Unmöglich zumindest außerhalb der Erzählung, die von dem androgynen Fabelwesen Peter Pan handelt. Man erinnert sich eventuell: Peter Pans abhandengekommener Schatten musste ihm durch die gute Fee Tinkerbell wieder angenäht werden.

Die Gesellschaft strapaziert immer wieder unsere Nerven. Doch sie fürchtet sich vor ihrem eigenen Schatten und lässt uns weiterhin über die Klinge springen. Wir fordern sie auf, ihre finsteren Vorurteile abzulegen und die Vorteile des friedlichen Zusammenlebens anzunehmen. Wir sind übrigens nicht etwa gegen die Biologie, sondern gegen die Bigotterie, mit der man unsere Autonomie angreift.

Image credit: © Michaela Dudley

Michaela Dudley (Jg. 1961), Berlinerin mit afroamerikanischen Wurzeln, ist Publizistin, Kabarettistin, Queerfeministin und gelernte Juristin (Juris Dr., US). Sie ist zudem Autorin des Buches Race Relations: Essays über Rassismus (2022) und Urheberin des Leitsatzes: „Die Entmenschlichung fängt mit dem Wort an, die Emanzipierung aber auch.“