Afrofuturistisches Projektil von Sonja Eismann
„I believe that when Black people tell our own stories, we can shift the axis of the world and tell our REAL history of generational wealth and richness of soul that are not told in our history books“, erklärt Beyoncé – trotz ausbleibender Nummer-1-Hits einzig verlässliche Hüterin der globalen Deutungshoheit über politisch relevantes Popkultursuperstardom – die Motivation für ihren neuen Musikfilm Black is King. Aus der ursprünglichen Idee, zu einigen der Stücke aus ihrem Soundtrackalbum The Gift (2019) zur Neuverfilmung von The Lion King einminütige Clips im Garten ihres Anwesens in den Hamptons zu drehen, wird schließlich eine ein Jahr beanspruchende Mammutproduktion: ein visual album mit Drehorten in Nigeria, Ghana, Südafrika, England, den USA und Belgien, das Beyoncé – wie immer ohne großen Vorlauf – am 31. Juli 2020 über ein Streamingangebot, dieses Mal von Disney+, droppt. Auch die Lebensgeschichte von Solomon Linda, dem südafrikanischen Musiker und Komponisten von „Mbube“, habe Beyoncé zu ihrem Film motiviert: Das auf isiZulu verfasste Lied wurde in seiner englischen Version als „The Lion Sleeps Tonight“ ein Welthit und ohne Zustimmung der Erben in der Erstverfilmung von Der König der Löwen (1994) genutzt. Tantiemen bekam sein Schöpfer zu Lebzeiten jedoch keine.
Die Story von Black is King, die lose angelehnt ist an The Lion King, folgt einem kleinen Menschenjungen, das als Baby ausgesetzt wird und diverse Lebensprüfungen zwischen Wüste, urbaner Bikergang und Luxusvilla bestehen muss, um am Ende doch noch seinen rechtmäßigen Thron in Afrika zu besteigen. In einem regelrechten Bildersturm aus Landschaften, Kostümen, Hairstyles und Tänzen orchestriert die Musikerin, die wieder selbst Regie geführt hat, einen Überwältigungsreigen aus Anspielungen, Metaphern, (fiktiv amalgamierten) Traditionen und afrofuturistischen Zukunftsvisionen. Julie Dashs Daughters of the Dust trifft auf Touki Bouki von Djibril Diop Mambéty trifft auf die unlängst auch in Bernardine Evaristos Girl, Woman, Other zu Ehren gekommenen Dahomey-Amazonen, auf Orishas und Beyoncé als Muttergottes-Madonna sowie auf Wasser-Assoziationen von der Bibel bis zur Middle Passage. Diese lose Abfolge aus Videoclip-artigen Sequenzen (laut) und Naturdoku-nahen Impressionen (leise) folgt dabei keiner stringenten Narration. Auch die Rollen von Beyoncé selbst als Erzählerin außerhalb des Bildes und als Hauptfigur innerhalb des Bildes sind im besten Sinne verwirrend. Funktion und Grenzen von Medien wie Spielfilm, Musikvideo, Musical oder Musikfilm (was ist das?) stellt Beyoncé produktiv infrage. Was passiert hier, wieso dauert das so lang, und warum wird es doch nicht langweilig?
Auch wenn sich im visuellen Exzess einzelne Bildinformationen wiederholen und variieren – so sehen wir etwa alle relevanten Mitglieder der Familie Knowles-Carter, Kinder, Mann und Mutter, Wegbegleiterinnen wie Kelly Rowland, Naomi Campbell oder Lupita Nyong’o sowie im Westen weitgehend unbekannte afrikanische Stars wie Yemi Alade oder Moonchild Sanelly, denen Beyoncé uneitel die Bühne überlässt –, ist es doch am Publikum, aus diesen Blitzen die Erzählung zu konstruieren. Zu blöd, und auch lustig, wer an westlich normierten Erzählschemata klebt und sich ratlos an den geflüsterten Gedichtzeilen von Warsan Shire und Yrsa Daley-Ward entlanghangeln will. Ironisch könnte man sagen, dass dieser Film das bisher intensivste Beispiel von Beyoncés ‚Muchismo‘ ist, der immer noch weiter und perfekter ausholt und der in diesem Fall, noch so eine ironische Anmerkung, auch erklären könnte, warum der Film Black is King und nicht Black is Queen nach seiner Schöpferin Queen Bey heißt.
In Wirklichkeit ist der Film Beyoncés Sohn Sir Carter gewidmet, von dem man sich erzählt, dass er seinen ungewöhnlichen Vornamen erhielt, um nie in kolonial-rassistischer Manier als etwas weniger als ein Mann, weniger als ein Mensch abgewertet zu werden, sondern immer als feiner Herr angesprochen werden zu müssen. Denn neben der Assoziation von Königlichkeit als universaler Herrschaftskategorie, die im Patriarchat nach wie vor die Königinnenschaft als partikuläres Nebengleis trumpft, ist es auch die Aufmerksamkeit für die seit jeher von Weißen so gefürchtete wie bekämpfte Schwarze Männlichkeit, die dem Film seinen Titel gibt. Eine namenlose Erzählerstimme weist darauf hin, wie besonders Schwarzen Männern beigebracht werde, sich nicht zu lieben. In einer Gesellschaft, in der dieser verinnerlichte Hass immer wieder in Form von rassistischer Polizeigewalt und Lynchingmentalität manifest wird, kommt ein solches filmisches Statement genau zur rechten Zeit.
Doch die Morde an George Floyd und Breonna Taylor, für deren Aufklärung sich Beyoncé und ihre Schwester Solange öffentlich eingesetzt haben, und die in ihnen sich ausdrückende rassistische und tödliche Diskriminierung einer bestimmten Bevölkerungsgruppe ist ein Übel, von dem viele in Afrika lebende Menschen denken, dass eine verklärende, alle 54 heutigen Staaten eines Kontinents zu einem fiktiv-mythologischen Motherland amalgamierende Ursprungserzählung mit einer christlich-messianisch angelegten Hauptfigur und einer Privilegierung westafrikanischer Ästhetiken es nicht heilen kann. „That Black Is King Beyoncé wakanda bullshit is worse than cultural appropriation. I hate how black Americans portray Africa. It’s disgusting. They should delete that nonsense.“, schrieb der Südafrikaner Frank Katesi nach Ansicht des Filmtrailers entnervt auf Twitter – und wurde von vielen sekundiert, die an dem Film primitivistische Tropen von Leopardenfellkostümen und weiß bemalten Stammeskriegern beklagten, die auf außer-afrikanische Bedürfnisse zugeschnitten seien und ähnlich wenig mit dem kontemporänen Afrika zu tun hätten wie die Wakanda-Bildwelten des in den USA enorm erfolgreichen Blockbusters Black Panther (2018).
Überhaupt, so tönt es aus allen Ecken der Welt, sei Beyoncé, die schwarze Kapitalistin, die mit ihrem Film sich und die weißen alten Männer von Disney noch ein bisschen reicher mache, doch selbst nie auf Tour in Afrika gegangen. Die Myriaden an Kostümen im Film kämen zudem hauptsächlich von weißen westlichen Designer*innenhäusern wie Valentino, Erdem oder Burberry und die Anfangssequenz am Strand sehe ohnehin aus wie eine cheesy Parfumwerbung. „Granted“, sagt die andere Seite, aber es ist Popkultur: „It’s not that deep. (And it’s not supposed to be.)“, wie Timmhotep Aku schreibt, der bei Teen Vogue tongue in cheek beklagt, dass also in Zeiten einer Pandemie und afropessimistischen Denkens „being a Black celebrity with good intentions“ wohl nicht mehr ausreiche.
Dabei sollte jedoch nicht übersehen werden, dass abseits all dieser – wie auch immer zu Recht – kritisierten Implikationen zwei physikalische Phänomene durchaus für den auch politischen Erfolg von Beyoncé sprechen, nämlich der schiere Wille, Schwarze Existenzen und Identitäten in Raum und Zeit auszubreiten. Indem sie sich in einem (mehr oder weniger) global erhältlichen Entertainmentformat als Schwarze Künstlerin innerhalb einer Schwarzen Community (die einzigen Weißen, die im Film vorkommen, sind alte weiße Diener in der Luxusvilla, die in blauen Adidas-Trainingsanzügen zur Verfügung stehen) spekulativ in die Vergangenheit und auch die Zukunft entwirft: etwa dann, wenn der kleine Messias wie ein afrofuturistisches Projektil durchs Weltall rast. Aber auch die Masse an Protagonist*innen unterschiedlichster Hauttöne, die alle „Schwarz“ genannt werden, wie auch die Präsenz von Beyoncés eindrucksvollem Körper, verlangen Raum. Dieser mythenumwobene Körper, der mit den Jahren selbstbewusst immer mehr Platz einnimmt und sich nun mit Tänzerinnen umgibt, die, wie Beyoncé selbst, ein neues Schönheitsideal mehr sind als es zu verlangen. Zwar stellt dieses immer noch ein diszipliniertes und disziplinierendes Ideal dar. Es weicht aber deutlich vom meist weiß-weiblich konnotierten Schlankheitsparadigma ab. Kurz: Es sind Bilder, aber sie machen sich breiter.
Für die fiktive Funktion Afrikas als mythischem Ursprungsort für die Schwarze Diaspora, der im steten Widerstreit mit den aktuellen Artikulationen und Realitäten des physischen Afrikas liegt, lohnt es sich, Maryse Condé zu lesen. In ihrer soeben auf Deutsch erschienenen Autobiografie Das ungeschminkte Leben erinnert sich die karibische Schriftstellerin an eine Reise nach Dahomey, ins heutige Benin. Um Abstand von ihrem unglücklichen Beziehungsleben zu bekommen, bucht die seit Ende 1959 in Westafrika lebende, zukünftige Nobelpreisträgerin in den späten 1960er Jahren einen der noch hauptsächlich von Afroamerikaner*innen genutzten Trips, die sie über ihre Herkunft aufklären sollen. Schon im Flugzeug sprechen sie zwei Schwarze Amerikanerinnen als „Sister“ an. Condé, die sich als Négritude-begeisterte Aktivistin aus der Mittelschicht Guadeloupes sowohl in Europa wie auch in Afrika marginalisiert fühlt, ist befremdet von den touristischen Aufführungen. Ihre Mitreisenden sind dagegen begeistert von Schlangentempel, Gefangenenlager und Nachtclub. „Was bedeutete Afrika für diese afroamerikanischen Tourist*innen?“, fragt Condé, die sich nach eigenen Aussagen immer mehr für Gegenwart und Zukunft der Schwarzen Gemeinschaft denn für deren Vergangenheit interessierte.
Afrika existiert heute, 50 Jahre später, immer noch mindestens doppelt: Während Beyoncé alle begeistert auf einen empowernden Fantasy-Trip nach hinten mitnimmt, katapultiert Condé alle freundlich nach vorne in die Realität. Ein Projektil im Präteritum also – und eines im Futur.
Beyoncé, Black is King, Disney+, USA 2020.
Sonja Eismann ist Mitgründerin und -herausgeberin des Missy Magazine und lebt als freie Autorin in Berlin.
Image credit: Travis Matthews, Disney+
Anmerkungen
[1] | Maryse Condé, Das ungeschminkte Leben, aus dem Französischen von Beate Thill, Luchterhand: 2020, S.210. [Frz. Originalausgabe unter dem Titel La vie sans fards 2011 bei JC Lattès] |