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Kinematografisch eingehegte Erreger von Lukas Foerster

Weg von den Apparaturen

Weg von den Apparaturen

Wer dieser Tage Filme über Virenkatastrophen guckt, mag von mancher Seite nur Spott und Hohn ernten. Dabei versprechen Virenfilme gerade in Zeiten der Pandemie, Spekulationen über den Topos des Viralen anzustellen und damit fiktionale Angebote für kollektiv verbindliche Kategorien von Sinnstiftung zu machen. Im fünften Beitrag unserer Kolumne „Notes from Quarantine“ erklärt der Filmkritiker Lukas Foerster, inwiefern Pandemie-Blockbuster wie „Contagion“ oder „Outbreak“ die Mechanismen der physischen Ausbreitung des Virus nachzeichnen und zugleich bestimmte Entwürfe von Gesellschaft darlegen. Diagnose inklusive: „Somewhere in the world, the wrong pig met up with the wrong bat.“

Als Filmkritiker im Angesicht einer Virenkatastrophe ausgerechnet Filme über Virenkatastrophen zu schauen, mag fast schon als Parodie aufs Fachidiotentum durchgehen und hat jedenfalls etwas Solipsistisches. Eben deshalb könnte es freilich auch eine angemessene Reaktion auf den derzeitigen Zustand sein. Faktisch bin ich, als zu Hause festsitzender, ökonomisch (noch) einigermaßen abgesicherter Systemirrelevanter sowieso dazu verurteilt, die Coronakrise so zu verfolgen, als sei sie ein Katastrophenfilm.

Wenn man sich dazu entschließt, die Katastrophe als das wahrzunehmen, was sie ohnehin zumindest auch ist, eine ästhetische Erfahrung, dann verändert das den Blick auf Filme, oder eben spezifischer, auf Virenfilme. In den meisten Fällen trägt diese Erfahrung ein Ungenügen ein in die Bilder fiktiver Katastrophen: Die realen Viren kritisieren die gefilmten. Der Satz soll natürlich nicht dazu auffordern, Filme in Krisenzeiten, unter sozusagen gesteigertem Realitätsdruck, auf Abbildrealismus zu reduzieren. Ganz im Gegenteil springt mir, wenn ich mir dieser Tage Virenfilme ansehe, ein eklatanter Mangel an Fantasie ins Auge. Kaum ein Film stellt sich dem, was die aktuelle Situation vielleicht vor allem auszeichnet: der existenziellen Unsicherheit einer plötzlich scheinbar völlig offenen, unlesbar gewordenen Zukunft.

Als ein Medium, dessen wichtigste und vielleicht letztlich einzig verlässliche Waffe die Sichtbarkeit ist, hat das Kino schon prinzipiell einen schweren Stand gegen das Virus, den unsichtbaren Killer par excellence. Die Epidemie-Blockbuster jüngeren Datums, prototypisch etwa Wolfgang Petersens Outbreak (1995), neutralisieren die Herausforderung, die die mikrobiologischen Erreger für das Prinzip visueller Repräsentation darstellen, mithilfe einer Doppelstrategie: Einerseits wird das Nichtdarstellbare in der bildlichen Rhetorik der bildgebenden Verfahren doch wieder zur Darstellung gebracht (in Outbreak schaut das Ebola-ähnliche Virus, das Amerika heimsucht, unterm Mikroskop aus wie ein fieser Enterhaken). Andererseits wird die Epidemie erzählerisch handhabbar gemacht, indem sie im Laufe des Films auf eine Verschwörung finsterer Typen reduziert bzw. umgeleitet wird, gegen die sich nur ein individualistischer Heroismus alter Schule bewähren kann; in der absurdesten Szene des Films manövriert Hauptdarsteller Dustin Hoffman seinen Hubschrauber in die Flugbahn eines Kampfflugzeugs, um die militärische Endlösung der Virenfrage zu sabotieren.

Auch ein avancierterer Genrebeitrag wie Steven Soderberghs im Stil und auch im Gestus eines technokratischen Planspiels konstruierter Epidemiethriller Contagion (2011) bleibt dem Schema insofern treu, als er das Virus als etwas darstellt, das in eine Abfolge klar definierter Aktions-Reaktions-Muster überführt und damit erzählökonomisch umstellt werden kann. Wir verfolgen Ausbruch und Bekämpfung der Krankheit multiperspektivisch, vermittels modellhafter Mininarrative, die von Quarantäne über Fake News bis zur verzweifelten Suche nach Impfstoffen fast alles vorwegnehmen, was wir derzeit gleich noch einmal, in Echtzeit, erleben; in der souveränen Konstellation dieser Narrative jedoch – und auch in ihrer dramaturgischen Zuspitzung hin auf einen wie auch immer gearteten Wendepunkt – etabliert Soderbergh einen kinematografisch-teleologischen Ordnungs- und Tröstungsmechanismus, der von unseren aktuellen Erfahrungen kaum weiter entfernt sein könnte.

Apparaturen

Apparaturen

In Zeiten von Corona wirkt nicht nur das Mainstream-Genrekino hilflos. Das noch einmal deutlich radikalere Gegenmodell zu dessen Formeln, das Peter Fleischmann in Die Hamburger Krankheit (1979) entwerfen möchte, schneidet nicht viel besser ab. Fleischmann verweigert sich dem identifikatorischen Zugriff auf die Krankheit, die von der Reeperbahn ausgehend Deutschland überschwemmt; stattdessen konstruiert er panoramatische Wimmelbilder einer mit rapider Geschwindigkeit desintegrierenden Gesellschaft, die sich stringenten dramaturgischen Zuspitzungen entziehen. Ein Arzt, dessen proaktives Handeln und allgemeine Kernigkeit ihn als den vermeintlichen Helden kennzeichnen, stirbt auf halber Strecke, ohne dass das irgendjemand groß kümmern würde. Allerdings wird das Virusmotiv dabei ebenfalls, wenn auch auf andere Weise, stillgestellt und entschärft: Es verkommt zur bloßen Metapher. Der Virus, das sind wir alle, die Gesellschaft ist immer schon infiziert, und der medizinische Notfall bringt nur jene chaotischen, atavistischen Züge an ihr zum Vorschein, die latent eh schon gegenwärtig sind. Kurz vor dem Tod krümmen sich die Erkrankten in die Fötusstellung – die ultimative privatistische Regression: zurück in den Mutterleib. Dass gleichzeitig im Zusammenbruch gesellschaftlicher Ordnung utopische Momente aufleuchten, etwa in der anarchisch-lustvollen Überschreitung von Klassen- und Geschlechtergrenzen, macht die Sache nicht besser, sondern ist lediglich die andere Seite derselben Medaille. Aus heutiger Sicht erscheint Die Hamburger Krankheit vor allem wie ein einziges überdrehtes Schaulaufen der politischen Antagonismen der 1970er Jahre.

Ein gemeinsames Strukturprinzip der drei Filme, möglicherweise des Virenkinos allgemein, wäre vielleicht das Contact Tracing. Nicht nur zeichnen alle Filme, mal mehr, mal weniger elegant, die Mechanismen der physischen Ausbreitung des Virus nach, darüber hinaus synthetisieren sie in ihrem Blick auf die Krankheit und die diversen Konflikte, die sich um sie herum anlagern, einen jeweils spezifischen Gesellschaftsentwurf: In Outbreak werden die Erreger zu Agenten von Patriarchat und Patriotismus, Contagion setzt eine immerhin weitgehend rational organisierte Expertokratie ins Bild, Die Hamburger Krankheit macht sie zum Symptom einer in ihren zentralen Konflikten unerlösten pluralistischen Gemeinschaft. Zudem artikulieren sich in diesen Konstruktionen je verschiedene Zeittendenzen: bei Petersen eine restaurative Rhetorik am ‚Ende der Geschichte‘, bei Soderbergh zeitgenössisches Netzwerkdenken, bei Fleischmann die Nachwirkungen, aber auch die beginnende Abkehr von 68.

Dass dieselbe Semantik der Ansteckung und Kontamination, die das Virus zu einer lebensbedrohlichen Gefahr für Kollektive macht, gesellschaftliche Zusammenhänge und ‚Kontaktzonen‘, die ansonsten verborgen bleiben, in den Blick bringen kann, ist eine interessante Paradoxie, die das Virenkino freilich in einen Widerspruch setzt zu einer phänomenologischen Perspektive auf die Katastrophe. Contact Tracing mag in der außerkinematografischen Coronawelt zu den aussichtsreicheren und auch humaneren Taktiken im Kampf gegen das Virus zählen. Die Erfahrung, die unser Alltagsleben derzeit bestimmt, ist jedoch gerade die unterbrochener bzw. nur noch unter großen Mühen aufrechterhaltener Kontakte. Mit anderen Worten: Was Hollywood, den deutschen Autorenfilm und vielleicht überhaupt die meisten Erzählungen von Virenkatastrophen eint, ist der Anthropozentrismus. Die fiktionalen Viren hegt die Welt, hier wie da, in die Grenzen ihrer jeweiligen sozialen Gegenwart und ideologischen Bedingtheit ein. Vielleicht ist es eine Aufgabe des Kinos nach Corona, Formen zu entwickeln, die etwas mitteilen von der Entmächtigung nicht nur individuellen Handelns, sondern auch kollektiv verbindlicher Kategorien von Sinnstiftung, als die wir unseren aktuellen Zustand gerade erfahren.

Lukas Foerster ist Filmkritiker und Medienwissenschaftler.

Image credit: Lukas Foerster