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EIN MANN VOR EINEM BILD von Constanze Ruhm

Christiana Perschon, „Sie ist der andere Blick“, 2018, Filmstill

Christiana Perschon, „Sie ist der andere Blick“, 2018, Filmstill

Zu einem Zeitpunkt, da Denkmäler von ihren Sockeln gestoßen werden, geraten auch und erneut problematische Rollenbilder und Mythen der Kunst unter Druck: So etwa das Bild vom männlichen weißen Künstler im Atelier, vom Genie bei der Arbeit, von männlicher Schaffenskraft. Im 18. Beitrag unserer Kolumne „Notes from Quarantine“ nimmt die Filmemacherin, Künstlerin und Professorin Constanze Ruhm eine kürzlich im „SZ-Magazin“ erschienene Bildserie mit Daniel Richter zum Ausgangspunkt einer Reihe von kurzen Überlegungen zu einer Politik der Bilder, die mit Themen wie Posen, Mythen, Ironie, Zitat, Überaffirmation und Appropriation verbunden ist. Ein Kommentar auf die Repräsentationsmacht von „Männerphantasien“ (Theweleit) in der Kunst.

Am 25. Juni publizierte das SZ-Magazin anlässlich einer Reihe aktueller Ausstellungen einen ausführlichen Beitrag zu Daniel Richter mit dem Titel „Ein Bild von einem Mann: Wie entsteht ein Kunstwerk?“ sowie dem Untertitel „Der Maler hat das SZ Magazin einmal den ganzen Weg von der leeren Leinwand bis zur ausverkauften Ausstellung begleiten lassen.“ [1]

Der Titel des Beitrags verspricht, der Leser*in Einblick in einen beispielhaften künstlerischen Schaffensprozess zu geben, der zugleich anschaulich mit der gespenstischen Verwandlung von nichts in etwas (Kunst) und dann in Ware verkoppelt ist. Das Drama der Transformation einer leeren (jungfräulichen) Leinwand, die sich nach erfolgreicher Bemalung bzw. Vollendung durch den Künstler in ein Objekt des Begehrens verwandelt, wird vom auserwählten Journalisten als Langzeitbeobachter begleitet. Der Wortwitz des Titels changiert – so wie auch die Perspektive des Autors – zwischen Ironie und Bewunderung; in der Fotoserie von Hanna Putz, die den Text illustriert, zeigt sich der Maler u.a. in vitruvianisch-aktionistischen Posen in seinem Atelier, die Leinwand ist auf die Dimensionen seines Körpers zugeschnitten: zeitgenössische Variante einer historischen Vorlage, in der ein weißer Mann schlicht Maßstab der Welt ist.

Dieser Text möchte jenen Beitrag symptomatisch zum Ausgangspunkt einer Reihe von kurzen Überlegungen zu einer Politik der Bilder nehmen, die mit Themen wie Posen, Mythen, Ironie, Zitat, Überaffirmation und Appropriation verbunden ist. Er versteht sich als Kommentar und richtet sich nicht gegen bestimmte Personen (gegen den Maler oder den Autor des SZ-Beitrags), sondern wirft einen kritischen Blick auf strukturelle Probleme, die einer bestimmten Form von Repräsentationsmacht zugrunde liegen, aus der Geschichte vertraut sind und die auch heute noch perpetuiert werden: Nicht um die Bilder eines Malers geht es und auch nicht um den Maler, sondern um Bilder, die diesen Maler darstellen, um „repräsentative“ mediale Bilder, die bestimmte Rollen und Zuschreibungen wiederholen, affirmieren und dadurch verstärken.

MYTHEN

Zu einem Zeitpunkt, zu dem allgegenwärtig historisch problematische Rollenbilder und Mythen(-bildungen) infrage gestellt und Denkmäler von ihren Sockeln gestoßen werden, entwirft der Beitrag im SZ-Magazin eine wenngleich ironische, dennoch direkte Linie oder auch mythologische Erbfolge, die von Leonardos Vitruv über manche Umwege bis zu Daniel Richter führt. Die berühmte leere Leinwand, vor welcher der Künstler im Atelier effektvoll posiert und die später etwas abbilden wird, ist auf den Fotos zwar materiell noch unbeschrieben, deswegen aber nicht automatisch ein historisch leerer Raum, schon gar nicht, wenn der Künstler, der sich in sie einschreiben wird, davorsteht, sich also in sein eigenes noch unsichtbares Bild setzt. Auch daran wird bereits etwas sichtbar, Positionen und Posen werden evoziert, die auf einen problematischen historischen Diskurs verweisen: auf jenen, der vom männlichen weißen Künstler im Atelier handelt, vom Genie bei der Arbeit, von männlicher Schaffenskraft usw. Etwas wird in dieser Unsichtbarkeit bereits sichtbar, noch bevor das eigentliche, malerische Bild entstanden sein wird: nämlich die Unsichtbarkeit der Präsenz, der Darstellung jener, die von woanders aus sprechen, denen historisch der Zugang zur Sichtbarkeit verwehrt war (und zum Teil immer noch verwehrt ist) – weibliche Malerinnen, nur zum Beispiel.

IRONIE & ÜBERAFFIRMATION

Ironisch evoziert wird hier also das klassische Sujet der Pose des männlichen Künstlers am Ort der Produktion, das sich – absichtsvoll oder unbewusst – auf zahlreiche Vorgänger bezieht, darunter auf so manche ikonische Fotografien von Jackson Pollock („Jack The Dripper“) bei der Arbeit an seinen Drip Paintings. Natürlich kann man eine solche direkte oder indirekte Bezugnahme als ironisches Zitat lesen, denn so ist sie auch gemeint. Natürlich latscht man nicht in diese Falle, natürlich geht es hier nicht darum, sich über das als Übertreibung deutlich gekennzeichnete Herumposen eines Malerstars aufzuregen. Doch das ist genau der Punkt, an dem das Problem beginnt: Weder Zitat noch Ironie helfen hier weiter, denn es wird an diesen historischen Positionen (im sinnbildlichen und wörtlichen Sinn) nicht gerüttelt, sie werden bloß wiederholt – und somit werden auch all die mit ihnen verbundenen zeithistorischen Probleme aufgerufen und aus einer vermeintlich fernen Vergangenheit einfach bruchlos in die Gegenwart transportiert, wo sie jetzt gemeinsam mit dem Maler vor dem leeren Bild herumstehen. Dass sie sozusagen Probleme zweiter Ordnung in selbstreflexiv gebastelten Anführungszeichen sind, ändert gar nichts; so wie auch ironische Referenzialität nichts am eigentlichen Machtanspruch von Prinzen und Paschas verändert, denn an ihnen kleben dieselben Mythen wie an ihren geistigen Vätern – während den Frauen die Mythen sowieso verwehrt blieben und bleiben, außer vielleicht Figuren wie beispielsweise Medea oder Camille Claudel, die ja aber angeblich wahnsinnig waren.

Christiana Perschon, „Sie ist der andere Blick“, 2018, Filmstill

Christiana Perschon, „Sie ist der andere Blick“, 2018, Filmstill

Bereits mit Giorgio Vasari beginnt eine Art der Hermeneutik, innerhalb der die Kunstproduktion unauflöslich mit Biografie und Lebenswelt des männlichen, heroischen Künstlers verquickt wird – so weit reicht die ironische Homestory des SZ-Magazins gewissermaßen zurück. Die augenzwinkernde Geste der Überaffirmation historisch obsoleter Rollenbilder und Posen ist als (damals noch kritisches) strategisches Tool erfolgreicher Künstler*innen aus den 1980er und 1990er Jahren bekannt (Kippenberger hat es konsequent und erfolgreich vorgemacht). Die Frage ist jedoch, was solche Tools heute noch taugen. Was kommunizieren sie? Entsprechen solche Gesten und Posen als Zeichen noch einer Welt, deren Gegenwarten auf vielfältige Weisen zersplittert sind? Einer Welt, in der keine stabile Mehrheitsgesellschaft als anzupunkendes, ironisch herauszuforderndes Gegenüber mehr existiert, sondern vielmehr eine komplexe, widersprüchliche, raue Polyphonie vieler Stimmen, die aus der Wirklichkeit der Städte und ihrer großen Protestbewegungen, aus vergessenen rust belts, aus den Verstärkersystemen der Sozialen Medien und von den Podien der Politiker*innen jeglicher Couleur schallen, wo inzwischen auch viele mitsprechen, die früher nichts zu sagen hatten, aber auch viele, die Grauenhaftes sagen? Ironie bedarf eines Kontextes, auf den angespielt werden kann; und der Eindruck entsteht, dass der Kontext, auf den Maler und Autor sich hier beziehen, schon lange unzeitgemäß geworden ist.

POSEN

Nun ist zum Thema der Pose viel Kluges geschrieben worden, nicht zuletzt von Diedrich Diederichsen, der Posen unterschiedlichster Genealogie im Kontext popkultureller Repräsentationsformen auf das Genaueste analysiert hat. Hier geht es aber nicht nur um die Pose und die Frage, was diese als repräsentationskritisches Tool vermag, sondern auch darum, wie und von wem diese eingesetzt wird; es geht um den schmalen Grat zwischen schlichter Wiederholung und reflexiver Aneignung. Die Aneignung oder Appropriation einer Geste, eines Stils, eines Motivs, einer Methode, einer Position, eines Begriffs in der Kunst (aber freilich auch in anderen gesellschaftlichen Kontexten) funktioniert nur, wenn eine Person sich etwas aneignet, was ihr ursprünglich nicht gehört hat, und wenn sie dies tut, um sich Gehör zu verschaffen. So funktioniert camp: Queere Künstler*innen haben solche Formen der Aneignung in ihrer künstlerischen und politischen Praxis auf unterschiedlichste, sinnfällige Weise demonstriert. Etwas wird appropriiert, um sich durch diese Art der Inbesitznahme selbst zu ermächtigen, um auf diese Weise hegemonische kulturelle Positionen zu markieren und als soziale Konstruktionen sichtbar zu machen, die die Gewalttätigkeit von Patriarchat, Kapitalismus etc. und deren innewohnende strukturelle (und oft auch reale) Gewalt (u.a. durch Mythenbildung) verschleiern.

Wenn also beispielsweise ein sehr berühmter, erfolgreicher weißer männlicher Maler die Posen eines anderen, mittlerweile schon längst verstorbenen, ebenso berühmten, erfolgreichen weißen männlichen Malers zitiert, genauer: dessen Art und Weise, sich ins fotografische Bild zu setzen, um die „Produktionspose“ sozusagen zu ironisieren und damit sein Wissen um die mit der eigenen Position verbundenen Probleme auszustellen, so verbleibt diese Geste schlicht in der Sicherheit einer weißen, männlichen Hegemonie und ihrer Geschichte von Gewalt und Ausschluss. Man ironisiert, parodiert, ist natürlich auf der Höhe des Diskurses und dennoch schreibt man sich ein in diese patrilineare Geschichte der Erbfolge: Man zwinkert sich intergenerationell wohlwollend zu, Beifall tönt aus einem längst verloschen geglaubten Schattenreich, und die Parodie bleibt in der Familie: das Schlachtfeld des Ateliers, der Kampf des Malers mit der weißen Leinwand, die bald im Rahmen des rätselhaften Prozesses künstlerischen Schaffens ein Bild preisgeben wird, auf das sich die Sammler*innen stürzen werden („Ausverkauft!“), das ironische Selbstbild, das den Leser*innen geboten wird, schließt sich kurz mit anderen, bekannten Bildern aus der Geschichte malerischer Selbstdarstellung (nicht im gemalten Bild, als Sujet, sondern am Ort der Produktion). Eine unwiderstehliche teleologische Logik entfaltet sich in einer Geste, die zwischen ironischer Referenz und unentrinnbarer Erzähldramaturgie oszilliert. Zugleich werden hier in einer smarten Doppelbewegung scheinbar alle bedient: die schlauen Theorienasen, aber auch diejenigen, die ihren Künstler genau so haben wollen. Diese Pose ist eine Pose und bleibt eine Pose, auch wenn sie sich als eine Pose zweiter Ordnung versteht.

SCHWALBEN UND NESTER

Über die realen Geschichten von Ausschluss und Auslöschung wird so jedoch gar nichts erzählt. Nichts darüber, was es bedeutet, aus der Geschichte herausgeschrieben oder in diese erst gar nicht hineingelassen zu werden. Wenn weibliche Malerinnen, denen der Zugang zu Institutionen, zum Markt, zur Rezeption, zum ökonomischen Erfolg aus bekannten Gründen verwehrt geblieben ist, an anderer Stelle als „Schwalben“ [2] bezeichnet werden, die sich – weil man sie nicht rein- oder ranlässt – dann eben anderswo ihre solidarischen Nester bauen, wird es noch problematischer. Man beginnt leise daran zu zweifeln, dass die Pose ironische Referenz ist. Man fragt sich auch, ob hier nicht unter der Tarnkappe des Witzes ein Glauben überlebt, den man für abgeschafft hielt. In der Übertreibung und Amplifizierung, in der Vergrößerung gewissermaßen von Posen, Gesten, sozialen Regeln, Ritualen, Genres usf. wird natürlich die unbewusste Norm offenbar, die diesen innewohnt: Sexismus, Misogynie, heroisches Künstlertum. Zugleich aber eröffnet sich hier schillernd ein Feedbackloop, innerhalb dessen diese Formen renormalisiert, um nicht zu sagen: repatriiert werden. Das Gegenteil von dem, was man selbst für cool hält, sich anzueignen und zum Gegenstand der Übertreibung zu machen, ist eine alte und auch historisch erfolgreiche Strategie – aber ob diese heute noch funktioniert, ist zu bezweifeln.

Ein Mann steht also vor einem Bild und auch mitten in einem anderen Bild. Er steht im Weg, und so nimmt er einem beinahe die Sicht auf die Dinge, auf eine Geschichte, die von ironischen Männern fortgeschrieben wird; die diese, ob sie es wollen oder nicht, so relegitimieren und sich ohne Not auch wieder darin einschreiben, weil sie finden, dass sie da auch hingehören. Und das ist am Ende wahrscheinlich auch wirklich so – sie gehören da hin. Denn das Ganze ist ja nur ein Witz. Aber zugleich ist es eben auch wirklich: ein Witz.

Dank an Janina Audick, Sabeth Buchmann, Gogo Kempinger, Caroline Peters und Axel Stockburger für ihr Feedback und ihre Gedanken an einem verregneten Samstag.

Constanze Ruhm ist Filmemacherin, Künstlerin, Kuratorin und Autorin und lehrt seit 2006 an der Akademie der bildenden Künste Wien.

Image credit: Christiana Perschon