EISBEIN UND HUNDESCHEISSE von Mania Godarzani-Bakhtiari und Esra Nagel
Die weltweiten antirassistischen Proteste dieser Tage veranlassen auch Studierende an Kunsthochschulen dazu, die Strukturen ihrer jeweiligen Institution kritisch zu hinterfragen. Neue Initiativen bilden sich, bestehende verzeichnen Zuwachs, zudem wird an einer überregionalen Vernetzung gearbeitet. In diesem Text möchten wir exemplarisch auf aktuelle Entwicklungen an der Universität der Künste Berlin (UdK), der Kunsthochschule Berlin-Weißensee sowie der Frankfurter Städelschule eingehen. An allen drei Hochschulen gibt es derzeit Auseinandersetzungen aufgrund von rassistischen Vorfällen, wobei die Gemengelage jeweils so komplex ist und der Rassismus sich zum Teil so unterschiedlich äußert, dass wir uns hier nur auf einen kleinen Ausschnitt dieser Situation beschränken werden.
Ein Telefonat zwischen zwei Studierenden, der Städelschule und der UdK. Beide kennen sich erst flüchtig. Fürs Erste also nur zwei Stimmen. Sie sprechen miteinander, weil an der Städelschule und der UdK jeweils ein Brief veröffentlicht wurde. [1] Wie viele Briefe wurden schon verfasst in diesem Jahrtausend? Wer hat mitgezählt? In Frankfurt wird nach den vor allem von Studierenden getragenen Protesten gegen die Hängung des Bildes Ziegeln**** (1981) von Georg Herold im Städelmuseum nun auch die benachbarte Städelschule kritisch in den Blick genommen. Vorerst intern werden mit Verfassen des Briefes die Lehrenden und die Hochschulleitung von den Studierenden zum lange überfälligen Dialog über notwendige Veränderungen an der Hochschule angesichts rassistischer Diskriminierungen gebeten.
In beiden Briefen wird gefordert, dass Strukturen geschaffen werden, die über antirassistische Affekte hinausgehen, dass also grundlegende Veränderungen herbeigeführt werden, um Studierenden „ein Studium an einer Universität [zu ermöglichen], die ihre strukturellen Barrieren und Diskriminierungen anerkennt, diese [...] nachhaltig aufarbeitet und sich geschlossen für eine diversitätsorientierte und antirassistische Organisationsentwicklung einsetzt“ [2] . Außerdem bezieht sich der offene Brief der studentischen Protestorganisation #exitracismUDK auf 19 Forderungen, die von der AG Intersektionale Diversität aufgestellt wurden, einem Zusammenschluss aus acht Initiativen, die innerhalb der Hochschule Antidiskriminierungsarbeit leisten. Konkret wird mehr Geld für bestehende Initiativen sowie die Schaffung von Stellen für ein neu eingerichtetes intersektionales Antidiskriminierungsbüro gefordert. Unter anderem soll dieses dann mit der Datenerhebung zu verschiedenen Diskriminierungsformen an der Hochschule beauftragt werden. [3] Außerdem wird mehr Repräsentation von BIPoC, LGBTQAIs+ und Menschen mit Behinderung auf allen Ebenen verlangt. Über 50 Erfahrungsberichte von Studierenden der UdK, denen an der Institution rassistische Gewalt widerfahren ist, wurden innerhalb kürzester Zeit gesammelt. Dies zeigt einmal mehr den dringenden Handlungsbedarf. [4] An der UdK findet für gewöhnlich jedes Jahr im Juli der Rundgang als Jahresabschlussausstellung der Fakultät Bildende Kunst statt. Normalerweise eine Großveranstaltung, die auch viele Menschen anzieht, die sonst keinen direkten Einblick in die Institution haben. Dieses Jahr war freilich Corona-bedingt alles anders. Da business as usual aus Gründen des Infektionsschutzes nicht möglich war, wurde ein Bildschirm auf dem Steinplatz gegenüber der Hochschule aufgestellt und jeder Klasse ein paar Minuten Screentime für jeweils einen Beitrag zugestanden. Nachdem allerdings die Banner, die Studierende in Solidarität mit der BLM-Bewegung an der Außenfassade der Hochschule angebracht hatten, noch in derselben Nacht vonseiten der Uni abgehängt und entwendet wurden, entschieden die Studierenden, sich klassenübergreifend zusammenzuschließen, auf das Zeigen von Arbeiten zu verzichten und stattdessen gemeinsam unter dem Hashtag #exitracismUDK gegen strukturellen Rassismus an der UdK zu protestieren.
Am Abend des ausgefallen Rundgangs und der Proteste ließen Studierende aus den Ateliers im ersten Stock der Hardenbergstraße 33 überdimensionale Banner herunter, auf denen einige Kernfragen der Debatte zu lesen waren. So wurde unter anderem gefragt: „Wer spricht? Wer spricht nicht? Wer lehrt? Wer lehrt nicht?” Die Fassade wurde zusätzlich mit den Erfahrungsberichten und Forderungen plakatiert. Auf der anderen Straßenseite liefen auf einer LED-Wand entsprechende Videobeiträge.
In kleinen Gruppen ließen sich Studierende und Besucher*innen auf dem Rasenplatz davor nieder. Von einigen wurden Protestschilder getragen, Securities disziplinierten die Anwesenden teilweise aus Langeweile. Gegenüber des Platzes betrachteten Professor*innen von der Außenterrasse eines Restaurants den Protest. Konnte man aus dieser Distanz die gezeigten Berichte von Verunglimpfung, von alltäglichem Schmerz, verursacht durch rassistische Diskriminierungen überhaupt noch lesen?
Es war ein Protest ohne Schlachtrufe, eher ein mahnendes Innehalten. Während die Erfahrungsberichte für einige eine schockierende Neuigkeit darstellten, war es für die von Rassismus betroffenen Studierenden lediglich ein Aufzeigen gelebter Realitäten an der Universität der Künste sowie überall dort, wo es unter dem Pathosmantel der Kunstfreiheit nach Eisbein und Hundescheiße riecht. Ein Flyer einer Gruppe von Studierenden, „Weißensee ist zu weiß“, forderte schon 2016, dass „die Machtverhältnisse [innerhalb der Hochschule, Anm.] gerecht verteilt werden und dass [...] alle repräsentiert und nicht nur präsentiert werden“. Außerdem wird angemahnt, dass es „Raum geben [muss] für Perspektiven außerhalb des weißen und eurozentrischen Mainstreams“. Nach wie vor stehen diese Forderungen an die Kunsthochschule Berlin-Weißensee uneingelöst im Raum. Vonseiten der Hochschule muss immer wieder ein umfassendes Versagen im Umgang mit Rassismus konstatiert werden. Derart berichtet auch die Schwarze Hochschulaktivistin Mariama Sow von einem mangelhaften Beschwerdemanagement im Umgang mit unterschiedlichen Diskriminierungserfahrungen: „Wenn es zu Beschwerden gegenüber Lehrpersonal oder anderen Studierenden kommt, wird das doch immer krass abgeblockt.“ Sow beschreibt, wie der alltäglich erfahrene Rassismus, das konstante Gefühl, ‚nicht reinzupassen‘ und eigene Bedürfnisse nicht äußern zu können, dazu führt, „dass Leute aufhören zu studieren oder die Uni wechseln oder am Ende ihres Studiums denken: Ach nee, ich bin doch keine Künstler*in oder doch keine Gestalter*in.
Kürzlich wurde angekündigt, dass die Hochschule in Weißensee eine vorerst befristete Empowerment-Stelle einrichten wird, deren Fokus darauf liegen soll, „Strategien für eine hochschulweite Internationalisierung und Diversifizierung zu entwickeln, die sich an Perspektiven von BPoC orientiert und den Zugang für geflüchtete Bewerber*innen erleichtert“ [5] . Dies kann als Erfolg der foundationClass, einzelner Personen im Lehrpersonal und vor allem des trotz aller Blockaden stattfindenden Widerstands von zumeist BIPoC-Studierenden gewertet werden. Ob dies den Anfang einer nachhaltigen Veränderung an der Kunsthochschule einläuten wird, kann noch nicht abschließend gesagt werden. Noch hat der Name der weiter oben erwähnten Gruppe nichts an Aktualität verloren: Weißensee ist (noch immer) zu weiß!
Kritik kann nur dann auch zu Veränderung führen, wenn sie die eigene Subjektivität einschließt. Diese Sätze richten sich an eine wie auch immer verbundene Gemeinschaft aus Kulturarbeiter*innen, die von sich selbst gern denkt, dass sie den Gegebenheiten kritisch gegenübersteht. Wir treffen uns in Bars und Galerien, auf halber Strecke zwischen prekarisierter Arbeit und Professur. Die an der Universität geknüpften Freundschaften, Sympathien und Allianzen bleiben meist ein exklusives Netzwerk, dessen Zugang vielen marginalisierten Menschen strukturell verbaut wird. Eine beharrliche emanzipatorische Arbeit muss solche Zusammenhänge allerdings jeden Tag aufs Neue problematisieren.
Die hier beschriebenen Zustände sind in keiner Weise nur an Universitäten vorzufinden, sondern lassen sich auch an anderen Orten des Kunstbetriebs feststellen. Als Ausdruck gesellschaftlicher Strukturen kann Hochschulpolitik nicht losgelöst von globalen emanzipatorischen und antikapitalistischen Bewegungen gedacht werden. Deswegen lassen sich die aktuell gestellten Forderungen auch nur als Zwischenschritt, als längst überfällige Reform eines antiquierten Apparats verstehen. Dafür kann auch argumentieren, wer sich ansonsten politischen Diskussionen verweigert, unter dem Vorwand, sich „nur für Kunst“ zu interessieren. Im Gegenteil ist es künstlerischer Arbeit nicht zuträglich, sich in einem so realitätsfernen und homogenen Milieu ausbilden zu lassen. Noch während an der Durchsetzung der Reformen gearbeitet wird, muss mit James Baldwin gefragt werden: „Will ich wirklich in ein brennendes Haus integriert werden?“ [6] Denn bevor es keine transparent umgesetzten Pläne für strukturelle Veränderung gibt, darf es für diejenigen, die sich in Machtpositionen befinden und sich bislang nur in Worten empathisch zeigten, keinen Vertrauensvorschuss geben. Spart euch eure Anteilsbekundungen! Es ist Zeit, die Verantwortung, die euch gegeben ist, ernst zu nehmen und zu handeln!
Esra Nagel und Mania Godarzani-Bakhtiari studieren Bildende Kunst an der Universität der Künste Berlin. Mania Godarzani-Bakhtiari ist Mit-Initatorin der #exitracismUdK Proteste.
Image credit: 1. David Amberg, 2. Jonas Kuck
Anmerkungen
[1] | Der Brief an der Städel ist ein vorerst hochschulinternes Papier. Der offene Brief der Studierenden der UdK sowie die Forderungen an die Hochschulleitung sind hier zu finden: https://exitracismudk.wordpress.com Der Brief kann von Angehörigen/Alumni der Universität weiterhin unterschrieben werden. |
[2] | Ebd. |
[3] | Bislang wurden keinerlei Daten zu Diskriminierung an der UdK erhoben. Anzumerken ist, dass Datenerhebung, in Anbetracht der Gefahr, dass solche Daten auch immer in falsche Hände geraten können, unter den Aktivist*innen teils kontrovers diskutiert wird. |
[4] | Aus Gründen des Persönlichkeitsrechts wurden wir gebeten, die Erfahrungsberichte nicht direkt zu zitieren, sondern nur als Fotografien zu teilen. |
[5] | https://www.facebook.com/foundationclassweissensee/posts/2621337344770833?__tn__=K- R. |
[6] | Die Soziologin Bafta Sarbo zitiert Baldwin im Zusammenhang von aktueller Armuts- und Rassismusforschung aus einer linken Schwarzen Perspektive hier: https://www.neues-deutschland.de/artikel/1138373.rassismus-armut-nicht-nur-bunter-machen. |