Für ein bedingungsloses Grundeinkommen aus Künstler*innenperspektive von Nadja Abt
In einer der vielen derzeit im Netz geführten Diskussionen über die politischen Konsequenzen der „Corona-Krise“ sprach kürzlich Naomi Klein mit Angela Davis über die Möglichkeit, die der Wirtschaft auferlegte Pause für die Stärkung linker Stimmen zu nutzen, um bei einer erhofften späteren Neuorientierung der Welt nicht den Rechten das Ruder zu überlassen. [1] Schließlich zeigt sich in unserer Stay-Home-Phase des Über-Lebens wieder einmal mehr der strukturelle Rassismus und Klassismus unserer neoliberalen Gesellschaft. Ein System, das von diesem entschleunigten Hiat durch eine politische Umstrukturierung und wirtschaftliche Umverteilung auf Dauer profitieren würde, ist der Kunstmarkt und vor allem: die Kunst selbst. Ich berichte hier, was wir – die Kunstschaffenden – eigentlich schon seit Jahren wissen: Die Spekulationen auf dem Kunstmarkt haben in den letzten Jahrzehnten dazu geführt, dass wir fast von einer Spaltung innerhalb der Kunstwelt sprechen müssen. Whose side are you on? Bist du eher so die Institutionskünstlerin oder die Galeriekünstlerin? Wie viele Anträge auf Stipendien hast du dieses Jahr schon geschrieben und bist du lange genug auf dem gallery dinner geblieben, um doch endlich zu einer Gruppenausstellung eingeladen zu werden? Die monopolhafte Stellung großer Galerien und Messen hat nicht nur dazu geführt, dass die meisten kleinen und mittelständischen Galerien in den letzten Jahren schließen mussten, sondern auch zu einer wortwörtlichen Verflachung der Kunst auf Leinwände ohne überraschende Wagnisse (inhaltlich wie formal), die dem Wert der Ware schaden könnten. Das Galeriensystem in seiner jetzigen Form scheint für Künstler*innen meiner Generation, also jener, die in den Nullerjahren ihr Studium beendet haben und nicht mit dem nötigen monetären Hintergrund ausgestattet waren, um sich nach der Kunsthochschule erst einmal ins Atelier zurückziehen zu können, verschlossen. Dieser Ausschluss liegt nicht nur an der eventuell nicht ausreichenden Kunstproduktion der Künstler*innen, sondern auch daran, dass junge Galerien fehlen, die ihren festen Künstler*innenstamm nicht bereits in den 1990er Jahren so gut wie abgeschlossen haben und mit diesem gewachsen sind (was u.a. auch daran liegt, dass dieses langsame, mit der Galerie auf dem Kunstmarkt Wachsen in der heutigen Shootingstar-Produktion gar nicht mehr gefördert wird).
Es ließe sich diese Kritik am Kunstmarkt als unattraktive Frustration begreifen (was wahrscheinlich vor allem Frauen entgegnet wird), würden sich nicht eben auch jene Künstler*innen beklagen, die es in eine Galerie ‚geschafft‘ haben. Auch sie verspüren den Druck, Ware im Studio produzieren zu müssen. Für Experimente in Form und Inhalt bleibt ihnen weder Zeit, noch sind diese von Sammler*innen oder Händler*innen überhaupt gewollt, denn als ‚Shootingstar‘, der sehr schnell sehr hohe Preise mit seiner Kunst erzielt, wären solche Phasen des Ausprobierens in der Produktion ein enormer wirtschaftlicher Risikofaktor für alle Beteiligten. Umgekehrt werden sogenannte Institutionskünstler*innen und freiberufliche Kurator*innen zu ‚Inhalt‘ regelrecht gezwungen: Stets sollten sie auf der Hut sein, welche Welle an Referenztexten und -namen nun wieder über die zahlreichen Paneldiskussionen in die eigene Bibliothek hineinschwappen wird, die es irgendwie gilt, in die eigenen Arbeiten und Anträge einzubauen. Ich argumentiere hier nicht gegen wichtige Theorie- und Diskursbildung, nur sollten Künstler*innen Freiheiten jenseits kuratorischer ‚Ideen‘ und institutioneller Auflagen erhalten bleiben. Sowohl das Galerien- als auch das Institutionssystem haben direkte Auswirkungen auf die Kunstproduktion: Sie bedienen eine Klassengesellschaft, da, wer referenzgeschwängerte Stipendienanträge schreiben möchte, eine akademische Bildung braucht, die nicht allen gegeben und auch nicht von allen gewollt ist. Wer kein Geld aus dem Elternhaus mitbringt, muss sich für die Kunstproduktion entweder vom Staat überwachen lassen (Hartz IV) oder einen Job finden, mit dem man dann entweder genug Geld verdient, aber keine Zeit mehr für Kunstproduktion hat, oder eben nicht genug Geld heranschafft, um sich Dinge jenseits der künstlerischen und lebensnotwendigen Grundausstattung leisten zu können. Wer täglich über seine monatliche Existenzsicherung nachdenken muss, dem bleibt selten noch headspace für Atelierstunden, denn tiefe Grundsicherungsängste sind nur schwer auszutricksen.
Eine Lösung für all diese Teufelskreise wäre das bedingungslose Grundeinkommen. Diese in den letzten Wochen oft geäußerte Forderung klingt zunächst fast unverschämt, ist aber in der Kunst- und Kulturwelt schlicht und einfach ein Gehalt für all die bisher unbezahlte Arbeit der Millionen von Künstler*innen und freiberuflichen Kulturschaffenden. Der hohe Druck und die schier unerträglich gewordenen finanziellen und patriarchal geprägten Abhängigkeits- und Machtverhältnisse könnten dann endlich offengelegt und mutig geäußert werden, ohne Angst davor, deswegen gleich aus dem Spiel gekickt zu werden. Man denke hier etwa daran, wie schnell die damals von Coco Fusco und anderen losgetretene #MeToo-Debatte an Kunsthochschulen verebbt ist. Wären wir mit dem Grundeinkommen abgesichert, wären wir auf jene Menschen, die ihre Stellung für demütigende Machtausübung missbrauchen, gar nicht erst finanziell angewiesen, fände sich also womöglich auch mehr Mut zur Aussprache. Zudem könnten auch junge Galerist*innen den Einstieg in den Kunstmarkt wieder wagen, da nicht sofort der Druck einer gegenseitigen finanziellen Abhängigkeit das Verhältnis zur Künstler*in bestimmen würde. Dies sollte allerdings keinesfalls so verstanden werden, dass Künstler*innen und Kulturschaffende nicht auch von Institutionen für ihre Arbeit angemessen bezahlt werden sollten, da eine staatliche bedingungslose Grundsicherung lediglich existenzsichernde Kosten trägt. Neben dem Abbau von materieller Ungleichheit geht es bei der Forderung nach Grundsicherung nicht zuletzt aber auch um die positiven psychologischen Effekte (Mündigkeit, Angstabbau, Selbstbewusstsein, Anerkennung des Berufs als Beruf etc.), die ein Grundeinkommen auf Kunst- und Kulturproduzent*innen haben würde. Das Grundeinkommen wäre daher nicht nur eine klassenlose und somit den strukturellen Rassismus abbauende Existenzsicherung, sondern könnte durch das Verringern von Abhängigkeiten auch andere Formen und Denkweisen von Kunst ermöglichen. Es könnte die Stunde derjenigen werden, die durch Diskriminierung, Xenophobie und Misogynie von finanziellen Mitteln bisher ausgeschlossen waren und endlich das machen könnten, was sie als Beruf gewählt haben: Kunst.
Nadja Abt ist Künstlerin und Redakteurin bei TEXTE ZUR KUNST.
Anmerkung
[1] | Vgl. #risingmajority: https://www.facebook.com/TheRisingMajority/videos/1001191156942525/. |