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CHEZ ROMY HAAG Nora Eckert über das West-Berliner Travestiecabaret

Nora Eckert im Foyer von „Chez Romy Haag“, ca. 1978; Foto privat

Nora Eckert im Foyer von „Chez Romy Haag“, ca. 1978; Foto privat

Seit 2009 kreist ein Kleinplanet mit dem Namen Romyhaag um die Sonne und erinnert an einen fast vergessenen Star des West-Berliner Nachthimmels: Die Niederländerin Romy Haag stieg schon mit nur 13 Jahren ins Showbusiness ein und gelangte über Stationen in Paris und den USA vor gut 50 Jahren in die damals geteilte Stadt. Mit „Chez Romy Haag“ eröffnete sie dort ein Travestiecabaret, das bald zum Magneten für Schöneberger Kiez-Queers und Größen der Entertainmentindustrie wurde. Zum Personal und engeren Kreis des Lokals zählte Nora Eckert, die sich im ersten Beitrag unserer Kolumne „Current Attractions“ zum Thema „Trans Perspectives“ an die West-Berliner Institution erinnert.

Es dauerte kein Jahr und das Travestiecabaret „Chez Romy Haag“ war zur In-Adresse im West-Berliner Nachtleben avanciert und zum Stadtgespräch geworden. Wie kam es dazu? Die aus den Niederlanden stammende Künstlerin Romy Haag entschied 1974, ihre eigene Bühne zu eröffnen, um dort zu zeigen, was sie zuvor in Paris und New York gelernt hatte – nämlich: Wie eine gute Show aussieht. Damit spürte sie in West-Berlin genau die Lücke auf, die ihr Lokal und ihre Bühne für ein Jahrzehnt füllen sollte, und bot ein Programm, auf das das Publikum scheinbar nur gewartet hatte.

2014 erinnerte sich der Sänger Bryan Ferry von der Artrock-Band Roxy Music an jene hedonistischen Jahre in West-Berlin, das er „die dekadenteste Stadt Europas“ nannte: „Wir gingen zu Romy Haag, solche Clubs gab es woanders nicht, […] das war ein alternatives Nachtleben, das es in London nicht gab […] Die Stadt war heruntergekommener, verruchter als heute, überhaupt nicht bürgerlich.“ [1] Die Halbstadt war zur Insel geworden, war „Frontstadt“ und „Schaufenster des Westens“ zugleich. Zur Absurdität ihrer Lage gehörte die Mauer ringsherum. Der ungarische Komponist György Ligeti bezeichnete das treffend als einen „surrealistischen Käfig“ mit einer Besonderheit: Nur die, „die drinnen sind, sind frei“. [2]

Worin bestand dieses alternative Nachtleben? Travestie gab es ja schon ziemlich lange in West-Berlin – 1958 öffnete das „Chez nous“, das mit dem damals schon altbackenen Slogan warb „Die Herren Damen lassen bitten“. Überhaupt boomte in den 1970ern Travestie mit zahlreichen Tournee-Ensembles wie beispielsweise den „Folies Parisienne“. Doch auf Romys Bühne sollte etwas anderes zu sehen sein als die Star-Imitationen, wie sie typisch für die meisten Shows waren. Zwar wollte auch Romy nicht auf Playback, Glitzer, Federboas und Pailletten verzichten, doch ein neuer Showtyp musste her, und das Lokal selbst sollte in seiner Art anders werden als seine Konkurrenz in der Marburger Straße.

Romy Haag fand in der Welser-/Ecke Fuggerstraße ein passendes Lokal, das zuvor den Nachtclub „Parisiana“ beherbergt hatte. Allerdings fehlte darin eine Bühne. Doch die war schnell in einer Ecke des Raums aufgebaut, nur ein paar Quadratmeter groß mit einem Lurex-Vorhang und einer verdeckten Tür, die nach unten in den Keller zu den Garderoben führte. Außen am Gebäude, direkt über dem Eingang, ragten farbige Leuchtwürfel in den Nachthimmel, jeder mit einem Buchstaben versehen: R O M Y H A A G. Heute befindet sich der schwule Club „Connection“ in den Räumlichkeiten. Vom „Chez Romy Haag“ ist nichts übriggeblieben, außer der Gästegarderobe, meinem ehemaligen Arbeitsplatz.

Das Programm lief für gewöhnlich ein Jahr lang und wechselte jeweils nach der Sommerpause. Die Shows hatten Namen wie „Vive la Plastique“, „Bravo les Clowns“ oder „Illusionen“ und dauerten etwa eine Dreiviertelstunde. Das Audio lief komplett vom Band als Zusammenschnitt von Musiknummern und Sprachzitaten aus Filmen. Stilistisch wurde alles zwischen Chanson und Couplet der Zwanzigerjahre, Oper, Rock und Pop in kleine Szenen von nur wenigen Minuten Dauer verwandelt. Das waren meist groteske, witzige Sketche, die in ihrer Ästhetik vergleichbar mit den Videoclips unserer Tage sind. Die Musik war meistens übersteuert, ihr schriller Effekt natürlich Absicht. Alles war extrem laut, als ginge es darum, die Musik auch körperlich wahrzunehmen. Die Nummern folgten Schlag auf Schlag als Totalangriff auf die Sinne. Tempo und Perfektion waren hier gefragt.

Die Showtime kündigte jeden Abend die knallige Musik „The Stripper“ von David Rose an, dazu rotierten die Lichtsirenen am Bühnenportal. Das war das Zeichen für das Stehpublikum, sich auf die Tanzfläche zu setzen, dahinter saßen die Gäste an den kleinen Tischen und an der Bar. Von einer großen Spiegelwand hinter der Bar abgesehen, war das Lokal eine tiefschwarze Höhle, dezent mit ein paar Art-déco-Elementen geschmückt. In besten Zeiten tummelten sich bis zu elf Künstler*innen auf der Minibühne – das waren trans*Frauen, schwule Männer, die Travestie zu ihrem Beruf gemacht hatten, aber auch eine cis Frau mit dem Bühnennamen Mama Freaks. Sie kamen von überallher, aus den Niederlanden, Frankreich, den USA, Asien, Australien, England. West-Berlin war bekanntlich schon damals attraktiv für Queers.

Das „Chez Romy Haag“ war als queerer Ort offen für alle, die Publikumsmischung nirgendwo so bunt wie in der Welserstraße. Vertreten waren alle Geschlechter, Altersgruppen und sozialen Milieus. Es war Show-Theater, Bar, Kneipe, Disco in einem und bot Raum für die Champagner-Kundschaft ebenso wie für die Stehgäste mit einer Flasche Bier. Hier trafen Welten aufeinander: Tourist*innen und die queere Community, Zuhälter und Politprominenz, Nachtschwärmer*innen und Stars wie David Bowie, Udo Lindenberg, Tina Turner, Grace Jones und viele mehr. Auch das war Teil des Erfolgsrezeptes – hier traf sich buchstäblich die ganze Gesellschaft – vom Provinzler auf Abenteuersuche bis hin zu gefeierten Bühnenstars. Romy kommentierte es später so: „Es gab nicht wie heute die Partyszene, die Modeszene, die Schwulenszene. Die Stadt war kleiner, und alles mischte sich. Man musste miteinander klarkommen, wenn man Spaß haben wollte.“ [3] Und den hatten wir alle in unserem unstillbaren Hunger auf Wirklichkeit.

Nora Eckert, geboren 1954 bei Nürnberg, lebt seit Ende 1973 in Berlin, startete 1976 ihre Transition und lebt seither als trans*Frau. Nach Jahren der Nachtarbeit („Chez Romy Haag“ und in Bars) Rückkehr ins Tagleben als Frau. Sie arbeitete zunächst als Sekretärin und begann nebenher eine Karriere als Opernkritikerin mit zahlreichen Buchpublikationen. Ist heute trans*aktivistisch unterwegs und Vorständin beim Bundesverband Trans* und bei TransInterQueer e.V.

Image credit: Foto privat

Anmerkungen

[1]Ulf Lippitz, „Poplegende Bryan Ferry: ‚Ich würde nie in Jogginghosen rumlaufen‘“, in: Der Tagesspiegel, 28. Dezember 2014.
[2]Zit. nach Thomas Sparr, Hotel Budapest, Berlin … Von Ungarn in Deutschland, Berlin 2021, S. 163.
[3]Zit. nach Philipp Haibach, „Aus der wunderbaren Welt der Berlin Subkulturen“, in: Die Welt, 24. Oktober 2013.