CONTAINER Lisa Jeschke über das, was noch nicht ist und jetzt schon fehlt
Der neuste Beitrag zu unserer Kolumne „Current Attractions“, in der Autor*innen verschiedener Disziplinen ein kulturelles Objekt vorstellen, das thematisch mit unserer aktuellen Ausgabe zusammenhängt, ist ein Gedicht der Lyriker*in Lisa Jeschke. Container erzählt unter anderem von der Trauer um das, was noch nicht ist und jetzt schon fehlt. Der Text ist Teil der aktuellen lyrischen Auseinandersetzung Jeschkes mit dem Arbeitstitel Beschreibung der FDP.
(1)
Im persönlichen Home OfficeTräumen sie (wer?) davonAn der frischen LuftZur EntspannungAls AusflugAm WochenendeUnter einemWunderschönen brutalistischen BauAuf dem RückenZu liegen(Wie der Junge auf der Postkarte)GeschütztUnter den BalkonenIm SchattenWo 1 SchattenNiemandem abgekauft werden mussSondern geteilt werden kannUnd dort liegend, im SchattenKönnten sieVor dem HintergrundMassiver Rauchschwaden vor dem Horizont– Horizont, der nicht rot ist, nicht einmal rötlichSondern: nicht sichtbar –Könnten sieEndlich rational davon träumenEndlich rational trauern zu können
(2)
Rational trauernHieße, nicht nurRückwärts zu trauern (aber auch)Sondern auch vorwärtsIn Bezug auf das, was noch nicht istUnd niemals genau jetzt gewesen sein wirdAuch wenn es später kommen magFür jetzt ist es verloren360°-Trauer+ wäre dasIn Bezug erstens auf dasWas unvorstellbar istUnd mir trotzdem fehlt– Das, was ich mir nicht vorstellen kannFehlt mir am meisten –Und zweitens auf dasWas vorstellbar istAber, ohne Umsetzung, täglich totgemacht wird– Erinnerst du dichMit Tränen in den AugenZum Beispiel daranWie es sein wirdWenn der Achtstundentag verringert istUnter Achtung der selbstbestimmten Grenzen vonRobotermädchen und trans Roboter*innen(And all others!!)Bei gleichzeitiger Öffnung der Borders –Eine Konstellation-Die mir so sehr fehlt, dass etwas in mir-Es tut weh-Es gehört nicht einmal dem Klischee an-Des Unbeschreibbaren, es ist-Eine tiefe Masse-Die eine Leere ist-Die ich (nicht ich!)-: (Schon seit Jahren-In mir trage!Und wegen der ich oftUnd nicht nur ichAm Abend im NebenzimmerWeine. Leere Masse, die ich nicht gebären kann.Darf. Nur Fülle ist erlaubt, nur Kinder habenGeht
(3)
Wer so viel rationale TrauerIn sich trägtSo viel LeereIm Traum im TraumMuss beobachtet werdenPro träumendem*r Roboter*in im Schatten1 Agent und 1 Agentin [sic] der FDP als SchattenUnd diese sindEcht, kein TraumKein WitzReal istIhr Interesse für das IndividuumSie halten, immer ergebenIhre Augen und OhrenOffenFür privates Glück, das zu gewährleisten ihnenExtremistisch wichtig istWeswegenDie Agentin und der Agent [sic]Es konsternierendFinden, dass dieDie hier im Schatten relaxenKeinen eigenen Garten haben(Wollen?)((Oder können?))(((Und was wäre schlimmerNicht wollen oder nicht können?)))Das ist für den jeweiligen Agenten [sic]Und die jeweilige Agentin [sic]Nicht im Traum nachvollziehbarDen beiden erscheinen die hier TräumendenVerschlossenUnd sie entscheidenAuf dem ParteitagDie träumenden Roboter*innenDie von träumenden Roboter*innen unter BalkonenTräumenAm Ursprung zu kontaktierenIn ihrem Home Office
(4)
Und wie behandelt man jemanden im Home OfficeMan beginnt mit einer MailUnd was schreibt man in einer solchen MailMan spricht an, begrüßt, fragtSchließt, signiert, sendetWartetAuf eine AntwortWenn keine Antwort kommtSchreibt man ein zweites MalUnd wenn auch dann keine Antwort kommtWächstDie Verunsicherung der ParteiOb sie nicht gewollt seiSchlimmer, ob die Sache als Streik aufzufassen seiSchlimmer, ob am anderen EndeVielleicht gar niemand sitzeOb es das andere Ende gar nicht gebeDas Ende am Ende seiUnd damit kein Ende habeWas wiederum das Ende der Partei bedeuten würdeDeren Programm darauf beruhtDass Roboter*innen am Ende sindUnd auf jede Frage eine Antwort folgtWährend das Ende der ParteiAuch ein EndeDer WaldbrändeBedeuten würdeUnd damit eine sichtbare Röte am Horizont
(5)
Und ein solches Ende des Endes müsseBeschließt die ParteiUnbedingt verhindert werdenWeswegen sich Agentin und Agent [sic]In Zweierteams persönlich auf den Weg machenIns Home Office der zugeordneten Roboter*inVor Ort. Demokratisch die Tür.Aufbrechen. Lassen. Demokratisch, weilSie machen das. Nicht selbst.Sondern bitten.Eine. In der NachbarschaftHerumstreunende Roboter*innenmagdDarum.Die bestimmtSo das ParteiprogrammDas Geld. Braucht.Endlich stehtIhnenDie WohnungOffenUnd sie könnenDen*die jeweilige Roboter*in befragenDazu, warum sie davonTräumtenUnter einem brutalistischen BauIm Schatten zu liegenUm dort davon träumen zu könnenEndlich rational trauern zu könnenAlso dazu befragenWarum sie eine solche DüsternisIn sich trügenWo dem Horizont die Düsternis doch vorbehaltenSeiUnd ob es ihnen ernst seiMit dem GebärenVon was? Von Nichts! BähUnd dazu, letztendlich, ob sieÜberhaupt statistisch relevant seienMit ihren Roboterkörper*innen, -träumenUnd falls ja und falls neinOb sie nicht spaßiger sein wollten/könntenUnd ob sie nicht spaßiger sein könnten/wolltenUnabhängig vom GeschlechtUnd falls nein und falls jaWer sie überhaupt seienUnd falls nein und falls neinOb sie überhaupt (noch) da seienAber egal, wie hartAgent und Agentin [sic] ihre Fragen stellenIn den WohnungenSie bekommen keine Antwort.Und fragen.Großzügig.Keine Antwort heißt keine Antwort.
Lisa Jeschke lebt in München und ist Lyriker*in und Performer*in. 2019 erschien bei hochroth München deren Gedichtband Die Anthologie der Gedichte betrunkener Frauen.